Die Prometheus-Papiere. Eine kleine Geschichte der Science Fiction.
© Frank Weinreich

Bedecke deinen Himmel, Zeus, mit Wolkendunst!
Und übe, Knaben gleich, der Disteln köpft,
An Eichen dich und Bergeshöh'n!
Mußt mir meine Erde doch lassen steh'n,
Und meine Hütte, die du nicht gebaut,
Und meinen Herd, um dessen Glut Du mich beneidest.
(J. W. v. Goethe: Prometheus)

I, Was ist SF?

Ich möchte Ihnen hiermit einen Überblick über die Geschichte der Science Fiction geben. Der kann in einer Dreiviertelstunde Vortragszeit natürlich nur sehr knapp ausfallen, wird aber für das, was ich bezwecke, trotzdem ausreichend sein. Denn es kommt mir nicht auf irgendwie geartete Vollständigkeit an, sondern es geht mir darum, anhand einiger Ereignisse und Werke aufzuzeigen, was Science Fiction ist und in welchem Verhältnis sie zur realen Welt steht. Das geht auch anhand einer ganz restriktiven Auswahl einiger Eckpunkte. Man muss sich dabei nur klarmachen, dass dies Schlaglichter aus einem riesigen Wust von Genreerzeugnissen in Buch, Film und Computerspiel sind. Und Sie sollten mir nicht böse sein, wenn Ihr Lieblingsbuch, Ihre Lieblingsserie nicht vorkommen - ich erwähne auch viele Geschichten nicht, die mir sehr gut gefallen.

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Aufbrüche

Bevor die Übersicht beginnen kann, ist es jedoch erforderlich, zu klären, was Science Fiction überhaupt ist. Dabei tut sich ein ganz typisches Problem auf: die Definition ist sehr schwer. Was allerdings nicht bedeutet, dass es keine Definitionsversuche gäbe. Ganz im Gegenteil. Clute und Nicholls beispielsweise gehen auf 22 verschiedene Definitionen ein, und heben dabei hervor, dass sie die aus einer viel größeren Menge exemplarisch hervorgezogen haben. Und am Ende ihrer Betrachtungen der Definitionsversuche kommen sie zu folgendem Schluss „Es gibt eigentlich keinen Grund anzunehmen, dass es jemals eine brauchbare Definition von SF geben wird“ (Clute/Nicholls; Encyclopedia SF 314; meine Übers.).

Das möchte ich aber bestreiten. Jegliche Definition wird natürlich immer in der Kritik stehen, und die Kritik wird auch immer Punkte finden, wo die Definition Schwächen aufweist. Aber das ist kein Grund, nicht doch eine zu geben. Denn in der Praxis ist es doch so, dass es einen Kernbereich von Inhalten gibt, die in der Regel zu Science Fiction dazugehören und deren Werke so in den meisten Fällen korrekt identifizieren. Und das sehen auch Clute und Nicholls nicht viel anders, denn sie kommen zu dem Schluss, dass es sehr wohl Kernbereiche von Genrewerken in SF oder Fantasy gibt, die sich jeweils relativ problemlos und konfliktfrei zuordnen lassen (vgl. 314).

Die Umrisse dieses Kernbereiches werden dabei von dem Begriff selbst gesetzt: Science Fiction, also Wissenschaftsfiktion. Dieser Begriff stammt von Hugo Gernsback, der ihn im Jahre 1929 im Editorial der ersten Ausgabe von Science Wonder Stories als Erster benutzte. Es gibt übrigens Hardcore-Analysten der SF, die das Genre deshalb auch erst 1929 beginnen lassen, doch dazu gleich mehr.
Science Fiction sind also erfundene Geschichten, die irgendetwas mit Wissenschaft zu tun haben. Nur reicht das natürlich nicht, denn das Wichtigste fehlt dabei. Science Fiction gehört in die Gruppe der Phantastik – Fiktionales über Wissenschaft aber kann man auch schreiben, wenn man eine erfundene Geschichte über Madame Curie oder Charles Darwin brächte. Zu SF wird eine Wissenschaftsfiktion erst, wenn die Geschichte von Unmöglichem handelt, von etwas, dass es nach heutiger Erfahrung nicht gibt: Zeitreisen, Teleportation, Reisen mit Überlichtgeschwindigkeit. In der ersten systematischen literaturwissenschaftlichen Betrachtung der SF aus dem Jahr 1947, Pilgrims Through Space and Time, hebt der Autor James Osler Bailey denn auch hervor: „Science Fiction ist die Erzählung von einer imaginären Erfindung oder Entdeckung innerhalb der Naturwissenschaften und von den sich daraus ergebenden Abenteuern“ (Bailey, Pilgrims 10; meine Übers.).

Das ist nun eine sehr enge Definition, die einen Großteil der Science Fiction der Nachkriegsjahre nicht erfasst. Man denke nur an die gesamte postakopalyptische Literatur und Filme, die von den Ereignissen nach einem globalen Atomkrieg erzählen, wenn die Welt üblicherweise so kaputt ist, dass nix mehr erfunden wird. Aber das Imaginäre und der Wissenschaftscharakter sind in der Tat zentral. Nur müssen es nicht Erfindungen und es müssen auch nicht allein die Naturwissenschaften sein, was uns dann zu so einer Umformulierung von Baileys Definition führen würde: „Science Fiction ist die Erzählung von einer imaginären Erfindung oder Entdeckung innerhalb der Wissenschaften und von den sich daraus ergebenden Folgen.“

Eine der einflussreichsten Science Fiction-Reihen aller Zeiten, der Foundation-Zyklus von Isaac Asimov, dreht sich beispielsweise ganz um die Geschichtswissenschaft. Überhaupt wurden die Naturwissenschaften und ihre unmittelbaren Produkte wie Strahlenwaffen und Raumschiffe ab den Sechziger Jahren stark zurückgedrängt von SF, die über soziologische, politische, psychologische Ideen spekulierte. Alles, was die große Ursula K. Le Guin etwa an SF geschrieben hat, stellt Anthropologie, Soziologie und Psychologie in die Mitte und Raumschiffe werden nur noch benötigt, um Schauplätze zu erreichen, die die Konstruktion von Extremsituationen erlauben, um dann zu spekulieren, wie Menschen sich in ihnen verhalten würden. Dann muss es sich auch nicht unbedingt um eine Erfindung oder Entdeckung handeln, sondern kann auch ganz einfach die Voraussetzung bestimmter Umstände sein. Wichtig ist dabei nur, dass die erzählten Umstände und Geschehnisse den Naturgesetzen nicht widersprechen (Clute/Nicholls 313).

Das transformiert die Ausgangsdefinition von Bailey dann in meine Fassung: Science Fiction sind phantastische Geschichten, deren irreale Anteile dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand der Autorinnen und Autoren nicht widersprechen. Das setzt auf Seite der Erzähler voraus, dass Science Fiction von Autorinnen und Autoren verfasst und umgesetzt werden, die über eine gewisse wissenschaftliche Grundbildung verfügen. (Eine ausführliche Erläuterung der Definition finden Sie hier.)

Science Fiction erzählt Geschichten vom Noch-Nicht-Möglichen. Kommen in der Geschichte beispielsweise Zauber-Drachen vor – der klassische Märchen-Drache ist nach den Erkenntnissen der Biologie unmöglich (ja, es gibt auch SF-‚Drachen’, etwa in Anne McCaffreys Geschichten von Pern) – oder wird vom Zaubern erzählt – das ist nach allem, was die Physik weiß, unmöglich – dann ist das nicht Science Fiction.

Dies sind die entscheidenden Erkennungsmerkmale von Science Fiction: SF ist Fiktion, SF erzählt von Unmöglichem, das Unmögliche muss aber zumindest theoretisch, und sei es noch so abwegig, möglich sein. Wichtig ist bei letzterem dann noch der jeweilige Erkenntnisstand: Was den Naturgesetzen entspricht oder widerspricht, ist zeitabhängig. Die heutige Physik beispielsweise kann zeigen, dass Zeitreisen theoretisch möglich sind. Aber nur, wenn die zugrundeliegenden Modelle richtig sind. Gerade da ist aber ständig vieles im Fluss, und sollte es eines Tages erwiesen sein, dass die zugrundeliegenden Modelle das Zeitreisen selbst in der Theorie unmöglich machen, so werden neue Zeitreisegeschichten zu Fantasy.

Science Fiction erzählt Geschichten, die zumindest theoretisch möglich sind. Das hat für die Analyse dessen, was SF kann, ganz praktische Auswirkungen. Wenn nämlich alles, was erzählt wird, tatsächlich irgendwie irgendwann auch so geschehen könnte – etwa der Erstkontakt zu anderen intelligenten Lebewesen –, dann spekuliert SF sehr handfest darüber, was der Mensch tun wird, was er tun darf, und welche Auswirkungen das hätte. Das Potenzial von SF ist also ganz eminent politischer und psychologischer Natur. (Während die Fantasy eher philosophisch ist, denn sie fragt, wie Lebewesen reagieren, die keine andere Wahl haben ... als den Ring zu nehmen oder ihn zu vernichten, beispielsweise.)

Damit erklärt sich auch der Titel meines Vortrages: die Prometheus-Papiere. Prometheus war – ich hoffe ich langweile Sie nicht zu sehr mit etwas, das Ihnen schon bekannt ist – in der griechischen Mythologie ein Titan, der den Göttern das Feuer stahl und es den Menschen übergab. Der Philosoph Platon machte aus diesem Mythos ein Gleichnis darüber, wie der Mensch die Kultur errang und sein Schicksal selbst in die Hand nahm (Protagoras 320c-322a). Vorher kreuchten und fleuchten die Menschen wie die Tiere über das Angesicht der Erde; nun hatten sie durch das prometheische Feuer – durch die kulturellen Errungenschaften wie Städtebau, Landwirtschaft, Metallbearbeitung usw. – die Freiheit gewonnen, damit aber auch zugleich ein zweischneidiges Schwert in die Hand genommen. Denn die Figur des Prometheus ist eine Metapher für die Technik und Technik kann ebenso gut helfen wie zerstören. Und das ist genau das, wovon Science Fiction erzählt – sie spekuliert darüber, was passiert, wenn der Mensch sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. In ihr gibt es keine übernatürlichen Kräfte oder Götter, zu denen der Mensch sich verhalten muss. Dadurch dass diese übermenschlichen Kräfte wegfallen, behält der Mensch alle Verantwortung und die SF-Autoren konzentrieren sich ganz auf seine Erfindungen, Unternehmungen und Handlungen und berichten von deren Triumph oder Scheitern. Überspitzt kann man sagen, dass es in der Fantasy darum was wir glauben sollen oder können. SF hingegen beschäftigt sich damit, was wir tun können oder sollen. Das erste ist eine Reaktion; wir stellen uns den unabänderlichen Dingen, wie sie sich uns im Kosmos darstellen. Das zweite, das, was SF vordringlich beschreibt, ist eine Frage der Aktion; es stellen sich uns bestimmte Optionen dar und wir müssen entscheiden, ob wir sie nutzen oder auslassen.

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Tun oder lassen?

Bei dieser Überspitzung darf man nun nicht vergessen, dass es reinrassige Genrewerke in Buch und Film nur selten gibt. Meist vermischen sich verschiedene Inhalte und es ist eine diskussionswürdige Entscheidungsfrage, welche Bestandteile überwiegen und wohin also ein bestimmtes Buch, ein bestimmter Film gehören. Ein Paradebeispiel ist Star Wars. Die meisten Fans und Kenner der Phantastik zählen Star Wars zur Fantasy, denn die Geschichte handelt zuallererst davon, auf welche Seite der übernatürlichen Macht man sich stellt, dunkel oder hell. Trotzdem begegnet einem Star Wars auch immer wieder als angebliche Science Fiction – achten Sie nur darauf, wie es bei der nächsten Fernsehausstrahlung im Programmheft angekündigt werden wird. Fantasy oder Science Fiction? Es ist ganz oft diskutierbar, aber in der überwiegenden Mehrzahl der Fälle doch so, wie Clute und Nicholls sagen: Die meisten Geschichten passen ziemlich eindeutig in den einen oder den anderen Kernbereich. Und wenn Michael Dorn auf der FedCon auftritt, so ist sein Worf ein SF-Charakter und wenn James Marsters auftritt, so ist sein Spike ein Fantasycharakter. Oder muss man Buffy wegen der Vampire zum Horror zählen? Ach, lassen wir das besser und kommen wir zur eigentlichen Geschichte der SF.


II, SF als Spiegel ihrer Zeit

Im Großen und Ganzen kann man die Science Fiction problemlos als Prometheusgeschichten klassifizieren. Und es ist kein Zufall, dass die Geschichte der Science Fiction genau mit diesem Namen beginnt. Das erste reinrassige Werk der SF ist nämlich Mary Shelleys (1797-1851) Frankenstein, ein Buch mit dem Untertitel Der moderne Prometheus. Warum gerade Frankenstein?

Zuerst muss es ja so etwas wie Wissenschaft geben, um Wissenschaftsfiktion verfassen zu können. Das Unmögliche als Noch-Nicht-Mögliches, Darko Suvins Novum (Poetik der SF, 93), ist die notwendige Bedingung für die Existenz von SF; Wissenschaft als ihre Grundlage ist die hinreichende Bedingung (95f.). Ein Weltbild, das noch gänzlich nichtempirischem Denken verhaftet ist und das für alle Natur- und Gesellschaftsphänomene übernatürliche Erklärungen bemühen muss, wie es das mittelalterliche Europa tat, bietet einfach nicht die geistige Grundlage für die Entwicklung von Science Fiction. Das wissenschaftliche Weltbild, so wie wir es heute verstehen, beginnt aber erst mit der Entdeckung der empirischen wissenschaftlichen Methodik in der Neuzeit ab dem 17. Jahrhundert.

Zweitens gehört zu SF, wie gerade ausgeführt, dass die Geschehnisse zumindest theoretisch nicht ausgeschlossen sind, was im Umkehrschluss aber auch bedeutet, dass die SF Erklärungen für die geschilderten imaginären Ereignisse oder Techniken anbieten können muss. Aber auch das kann erst gelingen, wenn ein entsprechender Theorieapparat ausgebildet ist, von dem aus die Autoren und Regisseurinnen dann ihre Extrapolationen entwickeln können, die zu Zeitreisen oder der Entstehung künstlichen Lebens führen, wie Shelley es in Frankenstein tut.

Außerdem ist es drittens wichtig, dass die imaginäre Technik oder das imaginäre Ereignis einen zentralen Punkt der Geschichte ausmacht. So gibt es Ende des 18. Jahrhunderts eine ganze Reihe von Geschichten, die imaginäre Ereignisse schildern, ohne gleich übernatürliche Erklärungen dafür anzubieten. Retif de la Bretonne etwa erzählt mit Der fliegende Mensch von einem Mann, der sich einen Flugapparat baut und damit eine ganze Reihe von Abenteuern erlebt. Dass dieser Flugapparat existiert, erleichtert eine Reihe von Geschehnissen des Romans, die man aber auch anders hätte lösen können. Eigentlich geht es in dem Buch um gesellschaftskritische Themen, die mit dem Flugapparat nichts zu tun haben. Außerdem ist das Ding so armselig konstruiert, dass nicht einmal die theoretische Möglichkeit bestand, dass es funktioniert hätte. Darauf kam es dem Autor auch gar nicht an, sondern auf seine Gesellschaftssatire.

Auf Frankenstein aber treffen die genannten Punkte erstmals alle zu. Mary Shelleys Geschichte entsteht erstens zu einer Zeit, als nicht nur die wissenschaftliche Methode nach 200 Jahren Praxis vollkommen etabliert ist, sondern als außerdem die Aufklärung ein rationalisiertes Weltbild geschaffen hat, das schon weitgehend ohne Gott auskommt. (Die erste schriftliche Äußerung, in der sich ein Mensch zur eigenen atheistischen Überzeugung bekennt, erscheint 60 Jahre vor der Publikation von Frankenstein). Zweitens erschafft der ‚Titelheld’ Viktor Frankenstein seine Kreatur – die übrigens ganz anders als im Film nicht im Geringsten monströs und außerdem hochkultiviert und intelligent ist – mit rein wissenschaftlichen Methoden. Und dieses Schöpfungsereignis ist drittens das zentrale Geschehnis der Erzählung, von dem alles weitere ausgeht. Aus dieser völlig entspiritualisierten Schöpfung entsteht die doppelte Tragödie von Frankenstein. Einerseits geht es um das Thema der Verantwortung des Wissenschaftlers, der Viktor Frankenstein in keiner Weise gerecht wird. Andererseits führt Shelley einen heftigen Schlag gegen die Aufklärung: Frankensteins Kreatur zerbricht daran, dass sein Leben keinen Sinn hat, denn kein Gott erschuf ihn, sondern nur ein normaler Mensch, der nicht mehr wollte, als zu beweisen, dass er es kann. Trotz einer Reihe stilistischer Schwächen und einigen langatmigen Passagen ist das Buch absolut brillant, wenn man daran denkt, dass ein Teenager dieses Meisterwerk schrieb. Und es ist absolut stilbildend für die Science Fiction, die seit Frankenstein immer wieder über das Thema Verantwortung redet.

Und noch ein Punkt lässt sich exemplarisch an diesem ersten echten Science Fiction-Werk zeigen: die Reflexionsfähigkeit des Genres. Science Fiction ist immer ein Spiegel ihrer Zeit; manchmal berstend vor emphatischem Optimismus, manchmal von deprimierendem Pessimismus. Shelley greift in Frankenstein die experimentierwütigen Wissenschaftler ihrer Zeit auf, lässt das Experiment erfolgreich sein und zeigt, wie die Folgen des erfolgreichen Experiments immer katastrophaler werden. Ja, sagt Shelley, Wissenschaft und Aufklärung sind erfolgreich und schaffen, was sie sich vorgenommen haben. Aber, so mahnt sie dann immer eindringlicher, je weiter sich Frankensteins Kreatur ins tragische Geschehen verstrickt, Wissenschaft und Aufklärung haben sich keine Gedanken über die Folgen ihrer Taten gemacht. Damit zeichnet sie exakt nach, wie sich Wissenschaft und Aufklärung im 18. Jahrhundert auf einen Siegeszug begeben haben, und nimmt ebenso die romantische Kritik an der Aufklärung auf, die sich in den 20 Jahren vor der Entstehung ihres Buches formierte. Ein Roman, der sich der imaginären Überspitzung bedient, um die reale Welt der Autorin zu kommentieren. Das wird sich in der Geschichte der Science Fiction ebenfalls vielfach wiederholen.

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Andere Welten, andere Spiele

Dabei geht es nicht immer um Kritik. Man kann sogar sagen, dass ein Gutteil der Science Fiction gänzlich unkritisch ist und stattdessen begeistert über die Möglichkeiten naturwissenschaftlicher wie sozialwissenschaftlicher und psychologischer Entdeckungen spekuliert. Die kritischen Werke warnen dann vor den Folgen eben dieser Entdeckungen.

Diese Zeitgebundenheit und die sich äußernde Zeitkritik sind nun kein Alleinstellungsmerkmal von SF. Literatur und Film weisen dies ganz im Gegenteil durchgängig auf, ob es sich nun um realistische Geschichten handelt oder nicht. Bemerkenswert ist vielmehr, dass die so unrealistische Science Fiction mit ihren Raumschiffen und Genexperimenten so besehen eben überhaupt nicht unrealistisch ist, sondern eben auf ihre Weise die reale Welt kommentiert. Es gibt keinen Grund, von Seiten der sogenannten realistischen Literatur naserümpfend auf die Science Fiction herabzusehen. Natürlich gibt es schlechte Science Fiction, aber schlechte Bücher und Filme gibt es in allen anderen Genres auch. Aber da, wo SF gut ist, braucht sie sich vor keinem Literaturnobelpreisträger zu verstecken.


III, SF überschreitet Grenzen

Die Zeitgebundenheit der SF lässt sich sehr schön an den vorherrschenden Strömungen des Genres und der Entstehungsumstände seiner Werke aufzeigen. Wobei ich zu bedenken bitte, dass das Folgende eine Darstellung genereller Tendenzen ist. Es gibt immer wieder Werke, und oft sind das sicher nicht schlechtesten, die aus dem generellen Trend herausfallen. So kommt es natürlich auch noch zu den Hoch-Zeiten der Technikskepsis in den Siebziger Jahren zum Auftreten optimistischer Space Frontier-Erzählungen.

Nach Mary Shelley kommt es zunächst zu wenigen Genrewerken, in der Phantastik überwiegt noch für Jahrzehnte die Gothic Novel. Aber Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts tauch ein berühmter Name auf, der viel öfter als Mary Shelley im Zusammenhang mit SF genannt wird: Jules Verne (1828-1905). Und Verne läutet nach der wissenschaftsskeptischen Frankenstein-Autorin eine Zeit des Optimismus ein, wenn auch nicht so kritiklos wie spätere Technikenthusiasten.

Mit seinen Geschichten von Reisen zum Mond, zum Meeresgrund und zum Mittelpunkt der Erde sowie einer ganzen Reihe weiterer phantastischer Abenteuer, die aber auf übernatürliche Ereignisse verzichten, ist Verne noch heute ein weit außerhalb der Gemeinschaft der Genrefans bekannter Name. Zu seiner Zeit war er einer der bekanntesten Schriftsteller der Welt und kommerziell so erfolgreich wie heute im Bereich SF höchstens der Regisseur James Cameron.

Verne schrieb zu einer Zeit als europaweit zwei Aufbrüche stattfanden – der Siegeszug der Technik und endlich erste politische Erfolge der Befreiung von der Herrschaft des Adels und der zunehmenden Einflussnahme bürgerlicher Bevölkerungskreise. Die Mehrheit der Bevölkerungen hatte immer noch nichts zu sagen, aber die Mitspracherechte waren schon viel breiter gestreut als noch 50 Jahre zuvor, als Sturm und Drang politische Wogen ohne echte Befreiungserfolge schlugen. Insbesondere die Mittelschicht und die Intellektuellen, aus deren Kreisen sich in Europa fast alle Schriftsteller rekrutierten, erlebten materiellen Wohlstand, der meist in nahem oder fernerem Zusammenhang mit der Industrialisierung und ihrer Technologien stand und sie genossen die Freiheit ehedem ungewohnter politischer Betätigungsmöglichkeiten. Für diese Menschen sah die Welt gut aus, und lange nicht jeder Schriftsteller hatte, wie Heinrich Heine etwa, mögliche Schattenseiten des Fortschritts schon auf dem Schirm.

Kein Wunder also, dass die frühe Science Fiction eines Jules Verne sich optimistisch mit den Möglichkeiten befasste, die die Zukunft bringen würde. Also extrapolierte Verne fleißig, was sich an technischen Möglichkeiten seiner Tage bot und schickte Leute mit Projektilen zum Mond und mit U-Booten unter Wasser. Vieles, was Verne schrieb, waren typische Frontier-Stories, von Menschen, die mit Optimismus und Erfindungskraft Grenzen überschritten und neue Räume erschlossen. Das ist ein Thema, das die Science Fiction bei aller Diversität des Genres wahrscheinlich stärker geprägt hat als jedes andere.

Und es dürfte die Faszinationskraft des Genres am besten erklären, denn die Spekulation zieht die Erfindungskraft des Menschen gewaltig an. Da sich SF zudem innerhalb der Naturgesetze bewegt, ist die Spekulation keine reine Träumerei, denn vielleicht lässt sie sich ja verwirklichen. Wir wissen zwar mit großer Sicherheit, dass wir es nicht erleben werden, dass wir uns nach Feierabend auf Südseeinseln beamen lassen können, aber – hey, wer weiß schon, was nicht vielleicht doch gehen wird ...

Aber auch bei Verne findet sich schon die Sorge, dass Technologie nicht die alleinige Lösung sein wird. Zu Vernes Zeit dachte man zwar noch, dass Technik einmal alles können wird, aber man ahnte auch, dass Alles vielleicht ein bisschen zu viel für den Menschen ist. Vernes charismatischste Figur Kapitän Nemo macht Erfindungen, die die Welt in ein Paradies verwandeln könnten, aber er weiß auch, wie leicht die Kräfte, die er anzuzapfen lernte, missbraucht werden können und gibt sie nicht weiter. Spannender als alle technische Spekulation ist meiner Meinung nach, die Spekulation darüber, was wir merkwürdigen Menschenwesen mit der Technik anstellen würden. Der nächste große SF-Autor stellte denn auch den Menschen völlig in den Vordergrund seiner Erzählungen.


IV, SF handelt vom Menschen

Wir befinden uns immer noch in der bis zum Ersten Weltkrieg anhaltenden Phase eines nahezu weltweiten Optimismus, als ein Autor die Bühne betritt, dessen Themen schon gar nicht mehr optimistisch sind, zumindest nicht in den besten Werken, und geschrieben hat er unheimlich viel. Der Engländer H. G. Wells (1866-1946) ist so etwas wie der Übervater der SF; es gibt praktisch kein großes Thema, das Wells in seinen vielen Romanen und Kurzgeschichten nicht behandelt hätte – das reicht von Raum- und Zeitreisen über Robotergeschichten (auch wenn der Roboter damals noch nicht Roboter hieß) über Genetik und medizinische Experimente bis zu politischen Utopien und Dystopien. Und er hat typischerweise die Nachteile immer mitbedacht.

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Aliens wie Sie und ich ...


Seine stärksten Werke schrieb Wells im ausgehenden viktorianischen Zeitalter und vor Beginn des Ersten Weltkriegs. Die Welt überdehnte damals und die entwickelten Staaten rasten wie riesige Dampfloks in Feindschaft aufeinander zu, man konnte ahnen, dass eine Zeitenwende eintrat und Wells’ Werke nahmen die kommenden Verwerfungen gedanklich vorweg. Nichtsdestotrotz führte er das Genre jedoch erstmals auf die volle Höhe, die das Spekulieren zu erreichen vermag: Er entwarf nachvollziehbare Entwicklungen und berichtete relativ neutral davon, was dieses oder jenes bedeuten würde. Er schrak weder entsetzt vor der Zukunft zurück, noch stürzte er sich unkritisch in ihre Arme.

Überhaupt: die Zukunft. Von der ist natürlich zu sprechen, wenn man die Science Fiction behandelt. Im deutschen Sprachraum wurde SF ja sogar lange Zeit mit „Zukunftsroman“ gleichgesetzt. Allerdings hat die Zukunft zu Recht nichts mit der Definition von SF zu tun, denn theoretische Möglichkeiten lassen sich auch im Hier und Jetzt beschreiben und man kann sie sogar in die Vergangenheit versetzen oder lässt sie in alternativen Realitäten oder einfach nur weit entfernt passieren. Das Extrem ist dann Olaf Stapledons Meisterwerk Star Maker, das aus allen Zeiten und Orten des Universums zugleich berichtet. Da aber SF über Technik und Technologien spekuliert, spielt sie naturgemäß meist in der Zukunft.


V, SF und Pioniergeist

Besonders beliebt war die futuristische Spekulation in der nächsten wichtigen Station der SF, in den amerikanischen Magazinen. Verbunden ist diese Spielart der SF vor allem mit zwei Namen, ausnahmsweise einmal keine Schriftsteller, sondern Herausgeber: Hugo Gernsback (1884-1967) und John W. Campbell (1910-1971). Beide verfassten zwar auch Geschichten, die waren jedoch nicht so bemerkenswert. Umso bemerkenswerter war beider Einfluss als Herausgeber von SF-Magazinen; eine Publikationsform, die eine Unzahl einflussreicher Genreerzählungen hervorbrachte, die riesige us-amerikanische SF-Szene entscheidend prägte und vielen Autoren eine Karriere als Schriftsteller ermöglichte. Man kann die amerikanischen Science Fiction-Magazine von 1926 bis in die Fünfziger Jahre hinein mit Fug und Recht als eigenes Sub-Genre der SF bezeichnen. Anders als im Falle der oft überschaubaren Leserschaft der europäischen Autoren dieser Zeit, waren die Magazine auch ein Publikumserfolg, und im nachhinein werden die Jahre der Magazine auch als das Goldene Zeitalter der Science Fiction bezeichnet. Der Einfluss dieser Zeit und Szene wurde nur noch von den Drehbuchautoren der SF-Serien ab den Sechziger Jahren überboten.

Gernsback, nach dem einer der wichtigsten Literaturpreise der Phantastik benannt ist, der HUGO, gründete 1926 mit Amazing Stories das erste reinrassige SF-Magazin. Gernsbacks Interesse galt in erster Linie der Vorhersage technologischer Errungenschaften. Der Titel eines weiteren seiner Magazine steckte das Programm ab, für das Gernsback stand: Science Wonder Stories. Halbwegs begründbare Ausblicke auf die kommenden Triumphe der Menschheit, die in erster Linie auf Ingenieurskunst beruhten bildeten die Basis seiner Magazine, und auch das Gros der in den Zwanziger bis Vierziger Jahren erscheinenden us-amerikanischen SF-Geschichten; ein grundsätzlicher Optimismus und die Hoffnung auf eine glorreiche Entwicklung kennzeichneten den Grundtenor.

Dies war auch in John Campbells Astounding so, wenn auch schon mit größerer Differenziertheit. Gernsbacks Amazing Stories hatte die Magazin-SF eröffnet und einen inhaltlichen Rahmen abgesteckt, Campbells Astounding führte Qualität und Originalität in das Sub-Genre ein, denn dieser Herausgeber legte literarische Maßstäbe an seine Autoren, denen man als Schreiber erst einmal genügen musste. Und er ermutigte Autoren anderer Genres sowie junge Männer, die vielleicht gar nicht daran gedacht hatten SF zu schreiben, zu Autorschaften. Auf diese Weise entdeckte Campbell praktisch die gesamte Elite amerikanischer SF-Autoren im Alleingang: Robert A. Heinlein, A. E. van Vogt, Theodore Sturgeon und viele andere bis hin zum unvergesslichen Isaac Asimov.

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Erstkontakt, selbst mit Alien geht das freundlich ...

Junge Männer? Wieso nur junge Männer? Weil es praktisch nur weiße, mehr oder weniger junge Männer waren, die für die Magazine schrieben; die meisten zudem mit einer technischen oder naturwissenschaftlichen Ausbildung im Hintergrund. Frauen und Mitglieder anderer Ethnien kamen in der amerikanischen Science Fiction bis in die Fünfziger Jahre kaum vor. Einen sehr schönen kleinen Einblick in diese Szene gibt übrigens die vielleicht beste SF-Folge der Fernsehgeschichte Far Beyond the Stars aus der sechsten Staffel von Star Trek Deep Space Nine. Hier träumt Captain Benjamin Sisko, dass er ein schwarzer Magazinautor auf der Erde Mitte des Zwanzigsten Jahrhunderts sei, und es stellt sich die letztlich unbeantwortete Frage, ob nicht das gesamte Star Trek-Universum von ein paar halbverrückten Schriftstellern in weit zurückliegender Vergangenheit erdacht wurde. Ein unglaublich ausgeklügeltes, selbstironisches Spiel mit den Realitäten, eingebettet in eine 45-minütige Fernsehfolge. Nebenbei beschreibt die Folge aber auch, wie unannehmbar es für die Genrefans damals war, dass Frauen oder Nichtweiße an den geliebten SF-Magazinen mitarbeiteten.

Insgesamt gesehen war die Zeit der amerikanischen Magazine eine Zeit der technophilen, optimistischen Zukunftsausblicke, trotz oder gerade weil sich meist auch dichter Schlachtenrauch über die Geschichten legte. Obwohl, dieser Vergleich hinkt, denn Strahlenwaffen erzeugen wenig Rauch – Schlachten aber waren ein beliebtes Sujet, besonders in den ebenfalls erstmals in dieser Zeit erzählten Space Operas, man denke nur an E. E. „Doc“ Smith und seine legendären Lensmen. Dabei kam es aber auch zu Geschichten, die nicht unbedenklich waren, erzählte Smith doch beispielsweise auch mit relativ leichter Hand von lebensunwürdigen Geschöpfen, die denn auch bedenkenlos niedergemacht werden. Robert Heinlein erschuf eine zutiefst autoritäre Weltordnung, in der Bürgerrechte nur die Soldaten haben (Starship Troopers). Und Hans Dominik bewegte sich in gefährlicher gedanklicher Nähe zu den Nazis, wahrscheinlich absichtlich, war er doch auch dadurch der kommerziell bei weitem erfolgreichste deutsche SF-Schriftsteller zwischen den Kriegen und im Dritten Reich.


VI, Geschichten von der Zukunft erklären Vergangenes

Die europäische Science Fiction der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg stellte jedoch eher einen Gegenentwurf zum optimistischen amerikanischen SF-Genre dar und war auch in dieser Hinsicht Spiegel ihrer Zeit. Amerika war trotz Teilnahme am Weltkrieg von ihm relativ unberührt geblieben, während in Europa ganze Landstriche verwüstet waren, die meisten Familien Opfer zu beklagen hatten und so gut wie alle männlichen Schriftsteller den Krieg mitgemacht hatten. Einen Krieg der erschreckend anders war. Vorige Kriege waren von kurzen, heftigen Schlachten bestimmt, nachfolgende Kriege sind aufgrund der Technologie – Raketen, Jets, Kampfhubschrauber, Computer – durch ständig neue Situationen charakterisiert. Im Ersten Weltkrieg aber lagen sich die Soldaten jahrelang in schlammigen Gräben gegenüber und starben stückweise, weniger an Waffeneinwirkung als an Krankheit und Verzweiflung. Das schlägt sich in der Europäischen Nachkriegsliteratur nieder, etwa T. S. Elitos Waste Land oder Erich Maria Remarques Im Westen nichts Neues. Und auch die Phantastik war nicht unbetroffen – die lebensfeindliche Ödnis Mordor in Tolkiens Der Herr der Ringe hatte der Autor in französischen Schützengräben selbst kennengelernt.

Damit aber nicht genug, fanden in Europa Umwälzungen statt, die mit den USA in keiner Weise vergleichbar waren. Deutschland war ein unglückliches Land, das 15 Jahre mit sich selbst haderte und sich dann das größtmögliche Übel wählte. England verlor langsam aber sicher seine Kolonien und damit sein Selbstverständnis und in Sowjet-Russland begann ein grausames gesellschaftspolitisches Experiment ohne Gewinner. Und wieder zeigt sich die Zeitabhängigkeit und Kommentarfunktion der Science Fiction, denn europäische Autoren erfinden die ersten großen technisch und sozialtechnologisch bedingten Utopien der SF. Von denen die meisten allerdings Dystopien sind.

Der erste große Wurf gelingt Jewgeni Samjatin schon drei Jahre nach der Oktoberrevolution mit seiner bissigen Abrechnung mit totalitären politischen Regimen, dem Roman Wir, der Vision einer vollständig unterdrückten Gesellschaft, die eng an die sich abzeichnende Entwicklung der Sowjetunion angelehnt ist. Die meisten sowjetischen Autoren der Zwischenkriegszeit schrieben allerdings auf Linie, was schade ist, denn Russland, das Land vieler berühmter phantastischer Autoren und Regisseure, verfügt über eine großartige Science Fiction-Tradition, zu der parteilich bestellte Jubelhymnen allerdings wenig beitragen. Noch berühmter als Wir wurde Aldous Huxleys Dystopie Schöne neue Welt. In ihr wird die Welt von Sozialtechnologen so umgestaltet, dass die Menschen mittels Drogen und anderen medizinischen Eingriffen jeglicher Freiheit beraubt werden und dabei auch noch glücklich sind. Interessant sind hier nicht die eingesetzten Techniken, sondern das, was sie auf psychischer und gesellschaftlicher Ebene bewirken. Wir und Brave New World sind großartige SF auch weil sie von der bloßen Technik absehen und eine technisch wirkende Gesellschaftsplanung in den Mittelpunkt stellen, die zeigt, dass auch Sozialtechnologien Werkzeuge sind, die mit kaum absehbaren Folgen eingesetzt werden können. Dass dies nicht immer negativ daherkommen muss, zeigt dann Isaac Asimov mit seinem Foundation-Zyklus, in der eine solche Sozialtechnologie, die Psychohistorik, die letzte Hoffnung für die Menschheit darstellt. Weitere Höhepunkte finden derartige gesellschaftliche Spekulationen dann in zwei späteren SF-Meisterwerken, 1984 von George Orwell und Planet der Habenichtse von Ursula K. Le Guin.


VII, Sorgen und Philosophie

Doch zurück zur Zwischenkriegszeit und einem absolut für sich stehenden SF-Autor, dessen Einfluss nur noch von H. G. Wells übertroffen wird: Olaf Stapledon (1886-1950). Stapledon ist ein englischer Philosoph – Kriegsteilnehmer wie Tolkien, Eliot, Remarque – der eine Menschheits- und eine universale Geschichte schrieb, die voller phantastischer Motive sind, die von unzähligen Autoren und Regisseuren aufgenommen wurden. Das eigentlich Besondere an Last and First Men und Star Maker ist jedoch der tiefgründige Optimismus der Werke. Last and First Men erzählt die Geschichte der Menschheit ab dem 20. Jahrhundert bis in eine Milliarden von Jahren entfernte Zukunft, Star Maker erzählt die Geschichte des Universums von Anfang bis Ende. Beide Bücher enthalten keine eigentliche Handlung, sondern sind wie echte Geschichtsbücher aufgebaut. Und die Geschichte der Menschen wie die des Universums sind von aufeinanderfolgenden Tragödien gekennzeichnet, die die echte erlebte Tragödie des Autors, den Ersten Weltkrieg, klein erscheinen lassen. Das Ende beider Geschichten ist jedoch ein hoffnungsvolles, erlösendes, denn Menschheit und Universum enden in Perfektion und Erleuchtung, ein hegelianisches Ende der Aufgeklärtheit und des ewigen Friedens. Allerdings konnte der Autor auch anders, und zeigt beispielsweise in Sirius: a Fantasy of Love and Discord eher pessimistische Überzeugungen. Stapledon ist jednefalls der größte Visionär eines Genres, das von Visionen lebt.

Dann kam es zum Zweiten Weltkrieg und darin zu zwei Ereignissen, die die Science Fiction bis heute beschäftigen: der Massenmord in den Konzentrationslagern und der Abwurf der Atombomben. Der versuchte umfassende Genozid der Nazis warf ein Licht darauf, zu welch vorher unvorstellbarem Bösen Menschen fähig sind und die Atomkraft rief nach einer kurzen Phase der euphorischen Spekulationen vor allem Zweifel und Ängste über die Verantwortungsfähigkeit des Menschen hervor: Die Zukunft in der SF wurde immer dystopischer.

Auch wenn sich ganz bemerkenswerte Werke unter der kritischen SF befinden, reicht es im Rahmen dieses Vortrages, darauf hinzuweisen, dass die generelle Genreentwicklung in Richtung Kritik und Pessimismus ging, und dass sich optimistische Ausblicke und hoffnungsvolle SF-Abenteuer eigentlich erst seit den Neunziger Jahren wieder auf dem Vormarsch befinden. Mit einer großen Ausnahme allerdings: Gene Roddenberry (1921-1991), der Schöpfer von Star Trek, der das Wesen des Humanismus in 50 Minuten zu erklären verstand.

Ich glaube, dass ich käfigweise Eulen nach Athen trüge, wenn ich hier auf der FedCon über die Geschichte von Star Trek spräche, weshalb ich uns das einfach erspare. Was die Serien jedoch so bemerkenswert macht, möchte ich hervorheben, weil es für die Geschichte der SF so wichtig ist: das sind der unglaublich optimistische Duktus, auf dem Roddenberry bestand, und die außerordentliche Tiefe eines oberflächlich rein unterhaltend aussehenden Medienereignisses. In Star Trek können Probleme und Verständigungsschwierigkeiten selbst kosmische Ausmaße annehmen, sie lassen sich so gut wie immer vernünftig lösen. (Ganz bemerkenswert ist übrigens, dass die einzige Folge in der Originalserie, die eine rein gewalttätige Lösung als ultima ratio präsentiert, die Folge ist, in der die Crew um Kirk es mit einem Nazi-Planeten zu tun hat – Patterns of Force). Die inhärente Friedfertigkeit der Föderation lässt zwar in den späteren Serien teilweise stark nach, verliert sich aber nie völlig, so dass Roddenberrys Vorgaben sich im Prinzip erhalten haben.

Ebenso bemerkenswert an Star Trek ist die Qualität der Drehbücher, die eigentlich immer hochintelligent unterhalten, teilweise aber sogar Sternstunden der phantastischen philosophischen Spekulation darstellen. So beispielsweise die immer wiederkehrenden Themen der Welt hinter den Spiegeln oder die Geschichten um den allmächtigen Q, und wie leicht Allmacht zu Ohnmacht wird. Erwähnt hatte ich schon die großartige Behandlung des Realitätenproblems in Far Beyond the Stars aus Deep Space Nine. Noch berühmter ist wohl die TNG-Folge Darmok, in der es um die Kommunikation zwischen Lebewesen mit völlig unterschiedlicher Denkensart geht. Diese Folge wird übrigens vielfach von Linguisten in der universitären Lehre als Anschauungsbeispiel eingesetzt.

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Far beyond the Stars

Die Liste ließe sich mit Leichtigkeit verlängern, so dass man das Star Trek-Universum bedenkenlos als eines der schönsten Beispiele für einen Science Fiction-Kosmos loben kann. Und von denen gibt es ja eine ganze Menge, die bis hin zu einem Phänomen von mehreren tausend Büchern und Geschichten wie den Perry Rhodan-Erzählungen reichen. Oder zur längsten Sendereihe der Fernsehgeschichte, der seit über vierzig Jahren laufenden Serie Doctor Who. Serien, oft mit zahlreichen Spin offs verbunden, sind offensichtlich ganz typisch für die Phantastik und zeigen, dass sie in vielen Fällen eine treue Fangemeinde um sich zu scharen weiß.

Ein weiterer wichtiger Aspekt von Science Fiction neben dem Fernsehen sind die SF-Filme. Da es in diesem kurzen Überblick in erster Linie aber um die Inhalte von SF geht, so ist es nicht unbedingt nötig, den Filmen den gleichen Raum wie den Büchern einzuräumen. Denn die Filme folgen in der Regel den gleichen Strömungen, die auch die Genreliteratur bestimmen. Dazu kommt, dass die berühmtesten SF-Filme meist nicht auf Originaldrehbüchern beruhen, sondern Verfilmungen von Büchern sind. 2001: A Space Odyssey, zum Beispiel, das auf dem gleichnamigen Buch von Arthur C. Clarke beruht. Oder als bestes Beispiel für eine kritische Sozialutopie Clockwork Orange nach der Vorlage von Anthony Burgess. Unbestreitbar ist, dass Stanley Kubrick, wohl nicht zufällig der geniale Regisseur beider Filme, in den Geschichten eigene Akzente setzt, aber die generelle Idee blieb die gleiche. So ist es im Falle von Verfilmungen auch oft ein ästhetischer Unterschied, der das eigentlich innovative an der Behandlung des Stoffes ausmacht, ohne dass es in nennenswerter Weise inhaltlich zum Genre beiträgt. Ich denke da etwa an die Eingangsszene aus 2001, die schlicht überwältigt, aber doch nur der Verdeutlichung von Clarkes Gedanken dient, ohne sie zu erweitern. Und auch wenn der erfolgreichste Film aller Zeiten nun ein SF-Film ist, so wage ich doch zu bezweifeln, dass die Pocahontas-Neuerzählung Avatar einen bleibenden Eindruck als Science Fiction hinterlässt.

Dies ist keineswegs als Herabsetzung des Mediums Film gedacht – oder des Comics und der Computerspiele, die ich noch gar nicht erwähnt habe. Aber die Prometheus-Papiere konzentrieren sich auf die Darstellung der Entwicklungslinien von SF, und die zeichnen sich in den Büchern und Magazinen am deutlichsten ab. Eine Geschichte des SF-Films ist ja schon längst geschrieben und eine der entsprechenden Comics und Spiele wird es sicher auch geben, aber nicht an dieser Stelle von mir.
Es ist schwierig genug, jetzt schon einen Abschluss zu finden. Wir befinden uns seit den Neunziger Jahren auf einer Entwicklungsstufe, die Hoffnung und Skepsis, Kritik und technologische Emphase beiderseits berücksichtigt. Weiterhin kommentiert SF auf ihre Weise die Zeitläufte und findet Gutes und Schlechtes dabei.

Seit den Achtzigern ist der Cyberpunk dazu gekommen, der die Rolle der Vernetzung, die wir gerade jetzt am eigenen Leib und ganz real zu spüren bekommen schon beeindruckend vorweg nahm. Stichwort ist hier natürlich William Gibson, aber auch Neil Stephenson sowie eine Reihe von eigenständigen Filmen, nicht zuletzt die Matrix-Trilogie (in qualitativer Hinsicht natürlich nur Teil 1, und der ist von Fassbinders Welt am Draht geklaut). Gleiches gilt für die Aufmerksamkeit, die das Genre den biologischen und medizinischen Entdeckungen widmet und im Transhumanismus beispielsweise von Peter F. Hamilton zum Ausdruck bringt. Wieder geht es in beiden Hinsichten um Ausblicke, diesmal vor allem um Ausblicke, die sich ganz dem Menschsein widmen. Denn das Menschsein an sich wird durch die Vernetzung zu überindividuellen Organismen oder durch die Modifikation des Menschen durch genetische Eingriffe infrage gestellt. Und anders als die jeweiligen Extremisten in der realen politischen Diskussion diskutieren die SF-Autoren und Regisseure das Thema erfreulich offen und stellen mögliche Vor- wie Nachteile einander gegenüber. Andere wichtige Themen sind damit noch gar nicht genannt, etwa die Geschichten, die sich um die Auswirkung von Künstlichen Intelligenzen drehen und und und ...

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Phantastische Zukünfte

Sicher ist nur, es bleibt spannend. Und sicher ist auch, dass SF eine wichtige künstlerische und intellektuelle Reflexionsform ist. Die Vordenker der Science Fiction mögen sich in Detailfragen geirrt haben. Verne lag mit der Antriebsart daneben, aber nicht mit dem Ergebnis, dass der Mensch den Mond betreten würde. Und so wird die SF auch in Zukunft in Details weiter raten müssen, aber in den grundsätzlichen Fragen kann sie mit Beispielen wie in 1984 oder Brave New World die Folgen des (sozial-)technologischen Handelns oder Unterlassens besser illustrieren als jeder Vortrag.

Und dass sie ganz glänzend unterhält, ist Vergnügen und Stärke, denn so spricht sie viel mehr Menschen an!

Hier sitz’ ich, forme Menschen nach meinem Bilde,
ein Geschlecht, das mir gleich sey, zu leiden, zu weinen,
zu genießen und zu freuen sich, und dein nicht zu achten, wie ich!
(J. W. v. Goethe, Prometheus)



Literatur:


Aldiss, Brian/ Wingrove, David: Trillion Year Spree. The History of Science Fiction. London u. a.: Paladin 1988.
Alpers, Hans-Joachim/ Fuchs, Werner/ Hahn, Ronald M./ Jeschke, Wolfgang: Lexikon der Science fiction Literatur. 2 Bände. München: Heyne 1980.
Bailey, James Osler: Pilgrims Through Space and Time. Westport: Greenwood Publishers. First Reprinting 1972.
Clute, John/ Nicholls, Peter: The Encyclopedia of Science Fiction. London: Orbit 1993.
Platon: Sämtliche Dialoge. Hrsg. v. O. Apelt. Hamburg: Meiner 1993.
Stürzer, Anja: Frankenstein. Mary Shelley (1797-1851) erschuf das berühmte Monster. In: Ch. Kerner (Hrsg.): Die fantastischen 6. Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2010. 228-273.
Suvin, Darko: Poetik der Science Fiction. Zur Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung. Frankfurt/M.: Suhrkamp 1979.