Warum es uns
gibt
von
Frank Weinreich
Wie es dazu kam, dass es uns
Menschen gibt? Und Millionen anderer intelligenter
Lebensformen im Universum? Das ist doch klar, das hat die
Wissenschaft schon vor einigen Jahrzehnten beantworten
können:
Das Universum entstand in einem Urknall; einige Millionen
Jahre später formten sich Sterne und Sterncluster zu
Galaxien; schwere Elemente wurden in den Sternen gebacken
und verteilten sich im expandierenden All; Planeten, Monde
und Asteroiden, Kometen, Meteoriten und Staub entstanden;
sie vereinten sich zu Sternsystemen; auf den geeigneten
Planeten entstanden aus chemischen Reagenzien und
Sonnenenergie erste sich replizierende Moleküle und bald
darauf protobakterielles und bakterielles Leben; die
Evolution hatte damit einen Ansatzpunkt und ließ das Leben
in all seiner Variationsbreite auferstehen und auf einigen
Planten - aufs gesamte All mit seinen Billionen von
Sternsystemen gesehen, waren das allerdings einige
Millionen Planeten - entwickelte sich Intelligenz. Hier bei
uns zum Beispiel.
So weit, so gut über das
wie. Viel interessanter ist aber doch,
warum es uns gibt.
Nun, das verdankt sich natürlich Gottes Schöpfungsakt. Aber
warum hat er den getan? Um das zu verstehen, muss man sich
erst mal vor Augen halten, wer - oder was? - Gott
eigentlich ist. Er ist allwissend, allmächtig und er war
schon immer da und wird immer da sein. Und er ist allein.
Da ist kein einziges vergleichbares Wesen in all dem
Alles, was es überhaupt gibt. Was macht man aber, wenn
man so allein ist? Und weiß, dass man immer da sein wird?
Da kann es ganz schön schwierig sein, den Tag sinnvoll zu
verbringen, trotz aller Möglichkeiten, die Allmacht einem
so bietet. Selbst für Gott.
Nun leidet Gott nur selten wirklich an Langeweile. Die
meisten Tage verbringt er sinnvoll und erfüllt. Und wir
sprechen hier von sehr, sehr vielen Tagen.
So pflegt er beispielsweise viel zu meditieren, manchmal
hunderte von Ewigkeiten an einem Stück.
Und er spielt gerne. Eine Art multidimensionales Go-Spiel
gegen sich selbst zum Beispiel. Das sind ganz schön
anspruchsvolle Partien; eine dauerte mal 42 Ewigkeiten
lang! Transzendental-Schach gegen sich selbst hingegen ist
da geradezu einfach; ausreichend nur für Blitzpartien von
ein paar Milliarden Jahren, während die Kaffeemaschine ein
paar frische Tassen aufbrüht.
Gott ist auch ein sehr vielseitiger Künstler. Er malt viel
und schafft wunderbare Skulpturen durch das Verweben von
Dimensionen. Und die Sphärenmusik erst - ich kann Ihnen
sagen ...
Aber selbst Gott will mal ausspannen und sich mal berieseln
lassen. Einfach mal zuschauen, sich unterhalten lassen. Was
lernen (insofern das bei Allwissenheit geht; Gott
behauptet, es ginge, aber das wie übersteige unser
Verständnis). Und seien wir mal ehrlich, auch ein
Nobelpreisträger schaut ab und zu Fern. Warum da nicht auch
Gott? Wobei es natürlich nicht „Tatort“ oder gar „Big
Brother“ sind, die er schaut. Nein, Gott mag es, Universen
zu erschaffen.
Das Tolle an so einem Universum ist, dass es, einmal
angestoßen, ganz von alleine läuft. Gott kann sich
zurücklehnen und einfach nur zuschauen. Dafür hat er etwas
ganz Bemerkenswertes erfunden: das Prinzip von Wirkung und
Ursache. Und das geht so: Alles, was passiert, bewirkt
irgendetwas Neues. Und diese neue Wirkung bewirkt wieder
etwas anderes. Wie Dominosteine - einer stößt den nächsten
an, der fällt um und stößt den nächsten an und immer so
weiter. Es muss nur einmal der erste Stein gestoßen werden.
Und das tut Gott. Zum Beispiel mit einem Urknall, aus dem
sich Sterne formen, die ... aber das hatten wir ja gerade
schon.
Tolle Sache, diese
Ursache-Wirkungs-Geschichte. Es geht nämlich noch viel mehr
als bei den Dominosteinen. Wenn das ganze nur komplex genug
ist, kann man nämlich gar nicht mehr vorhersagen, welche
Wirkungen eintreten werden. So kann beispielsweise der
Schlag eines Schmetterlingsflügels am Amazonas einen
Hurrikan über Miami bewirken. (Das haben Sie doch sicher
schon einmal gehört, oder?) Es kommen einfach so viele
verschiedene Umstände hinzu, dass die allerkleinste Ursache
so verstärkt wird, dass eine Wahnsinnswirkung eintritt. Das
nennt man dann ein nichtlineares dynamisches System - total
chaotisch das Ganze.
Wie gesagt, eine tolle Sache. Aber eben auch sehr
verworren, was die Ergebnisse angeht. Gott hat es ja lieber
einfacher, aber damit auch schöner. Er ist eben ein großer
Ästhet - hört man ja schon an der Sphärenmusik. Gott
erschafft aus diesem Grund üblicherweise lineare dynamische
Universen, in denen jede Ursache exakt planbare Wirkungen
hat. Das ist so ähnlich wie das Gesetz, nach dem Kristalle
wachsen, alles sehr schön regelmäßig. Und es ergibt die
schönsten Universen. Oft versieht Gott diese linearen
Universen sogar mit Leben, aber das beruht dann auf
ungeschlechtlicher Fortpflanzung, auf Knospung. Sex macht
nämlich alles wieder so verworren.
Diese Universen sind so schön und regelmäßig, dass Gott
ihre Erschaffung gerne für ein paar Billionen Jahre der
Entspannung nutzt. (Sie erinnern sich? - Er hat ja
unendlich viel Zeit.) Manche sind so schön, dass Gott sie
ununterbrochen von ihrer Entstehung bis zu ihrem Ende
betrachtet. Meistens geht aber zwischendurch mal aufs Klo,
oder er geht eine rauchen und verpasst in der Mitte ein
paar Dutzend Milliarden Jahre. Macht aber nix, ist ja alles
vorhersehbar in den linearen Universen. (Das mit dem
Rauchen sollten Sie Gott übrigens nicht nachmachen. Er ist
immun gegen die Folgen von Nikotinmissbrauch, Sie nicht.
Und selbst Gott geht wegen des Geruchs zum Rauchen vor die
Tür.)
Manchmal wird es Gott aber auch zu eintönig, dann baut er
was ganz Verrücktes zusammen - nichtlineare dynamische
Universen, in denen er die tollsten Wechselwirkungen
zulässt. Da verquicken sich Ursache und (Wechsel-)Wirkung
auf eine Art, dass die Details nicht einmal für ihn
vorhersagbar sind. Das Ergebnis ist dann nicht ganz so
schön, aber spannender. Und das Endergebnis ist ja doch
immer das gleiche, egal ob Linearität oder Nichtlinearität:
Materie vergeht.
In solchen chaotischen Universen kommt es ganz oft zur
Entwicklung von Leben. Und weil Leben viel dynamischer ist,
wenn es sich geschlechtlich fortpflanzt, ist es fast schon
eine Regel, dass die Einzeller irgendwann die Vereinigung
und die Entwicklung von diploidem Erbmaterial lernen. Und
ist der Sex erst einmal in der Welt, dann wird das Chaos
gleich viel größer. Da wechselwirken dann nicht mehr nur
chemische und physikalische Kräfte; da kommt es durch
Evolutionen zu den absurdesten Gebilden. Da entstehen
riesige Panzerechsen mit winzigen Gehirnen,
geschlechtsindifferente Wanderdünen oder
siebengeschlechtliche Magnetfelder mit telepathischen
Fähigkeiten, die nicht logisch denken können. (Das mit den
Magnetfeldern ist aber schon ein paar Dutzend Schöpfungen
her.)
Und diese ganzen wundersamen
Entwicklungen finden oft alle in einem Universum auf einmal
statt. Das ist für Gott dann wie ein Wimmelbild. Da streift
sein Auge vielleicht wohlwollend über die Galaxie
NGC47-A/8, er amüsiert sich über einen kosmischen
Schluckauf im Pferdekopfnebel, und freut sich selbst an
kleinen Details, etwa über ein Galaktisches Imperium in der
Magellanschen Wolke. Das ist nicht so schön wie ein
lineares System, aber es macht auch Spaß und muss manchmal
einfach sein, denn so ein immerwährendes Dasein dauert
sonst einfach zu lang.
Tja, und so kam es auch zur Entstehung unseres Universums.
Gott brauchte nach einer echt harten Partie Go mal wieder
eine abwechslungsreiche Schöpfung. So, wie Sie abends noch
schnell mal bei „Dr. House“ reinschauen. Also urknallte er
unseren Kosmos ins Dasein und lehnte sich zurück.
Sie fragen sich, ob er uns gerade zuschaut? Ich fürchte,
ich muss sie enttäuschen ... kurz bevor unsere Sonne
geboren wurde, ging Gott eine rauchen, und er wird sie wohl
erst aufhaben, wenn unsere Sonne wieder erloschen ist.
Bochum (4/10)