"Noch nie wurde soviel geschrieben wie heute",

sagt laut WAZ die Germanistikprofessorin Karin Pittner von der RUB. Sie meint damit die Veränderung der Kommunikation durch die Computervernetzung (computer mediated communication, CMC), also die schriftliche Kommunikation über Mail, Chat, SMS, die auch die, "die früher nicht schrieben" dazu brächte, sich heutzutage mehr und mehr schriftlich auszudrücken. Das ist sicherlich so und ich finde es gut, dass es so ist!

Warum? Weil es sich beim Schriftlichen um bleibende Ausdrücke menschlicher Empfindungen und Ansichten handelt, von denen zunächst einmal gilt, dass je mehr auch je besser ist, denn eine möglichst große Breite schriftlicher Äußerungen entfaltet erst das Spektrum menschlichen Denkens und Fühlens so richtig. Dass dabei auch so mancher sexistische und politische Dreck zutage tritt, ist zwar weniger schön, vermag aber wenigstens noch als abschreckendes Beispiel und Warnung zu dienen.

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Zudem ist auch von Bedeutung, dass die Schriftlichkeit das Geplauder festhält und fixiert und es so zur akuraten Rekonstruktion von Augenblicken, Perioden und Lebensabschnitten bereithält. Für andere und für die Kommunizierenden selbst. Ich jedenfalls hebe Emails auf und lese wehmütig, belustigt, erfreut noch nach Jahren, was mir mancher liebe Mensch einmal für nette oder lustige Sachen geschrieben hat.

Und die Fixation von Gedanken mag viertens dazu führen, dass die Gedanken ein bisschen besser durchdacht werden, bevor man sie eintippt, als dies in manchem Gespräch und Telefonat der Fall wäre. Die große "Haltbarkeit" des Schriftlichen kann sich allerdings natürlich auch zu einem Bumerang entwickeln, wenn der zukünftige Arbeitgeber einen ergoogelt und den Namen mit dem Nick "bernie89" in Verbindung bringen kann, wenn "bernie89" in irgendwelchen Foren von seiner Trink- und Drogenfestigkeit berichtete.

Ich hänge diese Form der Schriftlichkeit zu hoch meinen Sie? Weil die Mehrheit davon aus Belanglosigkeiten, Verabredungen zu Pizza und Party sowie aus sinnentleerten Äußerungen der Art "Hey, knuddeldrück, greetz die anderen, ich geh´jetzt eine 8-Q, bis bald auf der <:-I" besteht? Nein, das ist mitnichten belanglos. Denn erstens stellt es in der Masse der Äußerungen ein hochinteressantes Abbild der aktuellen (und irgendwann einmal historischen) (Jugend-)Kommunikation dar, das zu beobachten spannend und lehrreich über Kommunikationsweisen, das soziale Miteinander und psychische Befindlichkeiten instruiert. Und zweitens hat jedes einzelne "knuddeldrück" für den Adressaten eine besondere Bedeutung, die anscheinend einem echten, physisch empfindbaren Umarmtwerden wenig nachsteht. (Das sah ich in diesem Aufsatz für das CMC-Magazine vor 11 Jahren anders, revidiere aber meine Meinung mehr und mehr - es scheint, dass es doch echte Nähe auch ohne face-to-face-Kontakte geben kann.)

Noch gar nicht erwähnt sind dabei die unendlich erweiterten Möglichkeiten der Meinungsbildung - durch demokratisierte bis anarchisierte Mitsprachemöglichkeiten in der Massenkommunikation, die ehedem von zwei Fernsehsendern, einer Handvoll Printmedien und dem Dudelradio beherrscht wurde - und vor allem die Möglichkeiten der aktiven Teilhabe an Meinungsbildungsprozessen sowie des Lernens und des Lehrens (denn auch Jugendliche und erwachsene Nichtmitglieder von Lehranstalten können lehren, wenn sie beispielsweise instruktive Blogs unterhalten oder bei Wikipedia sauber recherchierend mitarbeiten). Aber diese Formen der "ernsthaften" Schriftlichkeit sind mir gar nicht zuerst in den Sinn gekommen als ich den WAZ-Artikel las, sondern eben das zwanglose Geplauder und Gezwitscher - schriftlicher Form.

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Gut, dass es das elektronische Gezwitscher gibt, über die als angenehm empfundene Dosis entscheidet ja jede/r selbst. In diesem Sinne - knuddeldrück Winking

Frank