Ein Lob den Wissenschaften - Cambridge I

Am vergangenen Montag war ich eingeladen, zusammen mit Margaret Hiley unser Buch Tolkien´s Shorter Works am Regional College in Peterborough vorzustellen. Es war ein schöner Trip nach England, das ich ja sowieso liebe. Genauer gesagt ging es nach Cambridge, eine Stadt, die nahezu zur Gänze Universität ist. Was dabei besonders beeindruckend für mich gewesen ist, war, die Füße auf wirklich bedeutenden wissenschaftlichen Boden setzen zu können.

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Blick vom Turm von St. Mary´s auf die Stadt und einige der Colleges

Auch wenn Wissenschaft, zumindest so wir sie in westlich geprägten Zusammenhängen verstehen und vor allem definieren, nichts mit Spiritualität zu tun hat (es sei denn, sie behandelt sie als Forschungsobjekt), so hat mich der Besuch dieser „heiligen Hallen“ der Wissenschaften doch auf einer ganz irrationalen Ebene berührt. Und mir damit - das sei by the way mal wieder erwähnt - nochmals gezeigt, dass wir Menschen Rationalität und Spiritualität, Emotion und Irrationalität nicht voneinander zu trennen imstande sind. Und nicht trennen sollten ...

Nun, die meisten der großen Geister, die in Cambridge wirkten, würden dem letzten Satz wohl widersprechen, ist Cambridge doch in erster Linie für seine Naturwissenschaftler bekannt. On second thought jedoch ... Vielleicht würden sie es doch gar nicht so eindeutig ablehnen, denn es ist ja so, dass die meisten klugen Forscherinnen und Forscher anerkennen, dass sich mit Rationalität allein nicht alles erklären lässt, und dass weitere Erkenntnisweisen, auch wenn sie subjektiv sind, einen objektiven Wert besitzen.

Auf jeden Fall befand ich mich nun am Samstag mitten in Cambridge, umgeben von Colleges, die weit mehr Nobelpreisträger hervorgebracht haben, als alle deutschen Universitäten zusammengenommen: King´s College, Trinity College, St. John´s ... 800 Jahre Wissenschaftstradition. Hinter größtenteils beeindruckenden Mauern wurde die Welt vielfach verändert, und dies öfter zum Guten, denn zum Schlechten, was mehr ist, als man von den meisten geschichtsträchtigen Orten dieser Welt sagen kann.

Beeindruckend! So stehe ich in Front des Trinity College plötzlich vor einem direkten Abkömmling des Apfelbaumes, der damals jene Frucht fallen ließ, die Newton darauf brachte, die Gravitationstheorie zu formulieren. Dies von Frens Kröger, Margarets Freund, erklärt zu bekommen, löst ein intensives Gefühl des Berührtseins aus.

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Im Winter ohne Blatt und Frucht ...


Und es berührt mich positiv, fast inspirierend, auch wenn mir im gleichen Moment einfällt, dass Newton wegen dieser und anderer Entdeckungen beschimpft wird, den Regenbogen seines Zaubers entkleidet und die Welt ernüchtert und entspiritualisiert zu haben:
„Do not all charms fly
At the mere touch of cold philosophy?
There was an awful rainbow once in heaven:
We know her woof, her texture; she is given
In the dull catalogue of common things.“
(Keats, Lamia, Zeilen 229 - 233; unter „philosophy“ verstand man damals hauptsächlich die Naturwissenschaften)
Was für ein Zufall, dass ich hier bin, um am Montag in meinem Vortrag zu erklären, wie Fantasy die Welt zu respiritualisieren vermag.

Was aber ist richtig davon? Haben Newton, Kopernikus, Kepler und Konsorten (Kopernikus und Kepler allerdings nicht hier in Cambridge) die Welt nüchterner und ärmer gemacht? Können Fantasy, Sagen, Mythen unsere Welt wieder anreichern? Und wenn sie das können, muss man auf die Rationalisten und ihre Modelle verzichten, um angereichert zu bleiben?

Hmm, ganz ungeordnet gedacht, kommt mir in den Sinn zu sagen, dass Newton und Kollegen es doch gar nicht bewirkt haben, die Welt zu ernüchtern - so what´s the bother? Sie haben es natürlich auch gar nicht gewollt, aber sie haben in Sachen Ernüchterung auch gar nicht mehr verursacht, als Wissensgrenzen zu erweitern. Hinter diesen Grenzen sind die Rätsel genauso groß wie vorher und bieten weiterhin alle durch Denken und Fühlen erreichbaren Zugangsmöglichkeiten. Was sie erreicht haben, ist, eine Reihe von Ausdrucksformen des Aberglaubens ad absurdum zu führen, aber das ist nur begrüßenswert.

Können Mythen und ähnliche Gedanken also die Welt wieder ,anreichern‘? Natürlich! Bis auf das „wieder“, denn es ist keine Wieder-Anreicherung - die Welt und die Gedankenwelten waren immer schon von ununterdrückbarem Reichtum. Was der Mythos wieder tun kann und wieder tut, ist, uns Menschen immer wieder daran zu erinnern, dass die Welt größer ist, als Mikro- und Teleskop sie anzuzeigen vermögen und dass unsere Innenwelten an dieser Größe teilhaben können und teilhaben sollten; neben all der Tageshektik und dem Streben nach materiellem Erfolg und Sicherheit.

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Dons and Graduates ...

Muss man sich aber dann nicht wenigstens entscheiden, welchen Zugang zum Sein man wählt, weil beide exklusiv sind? Das ist die schwierigste Frage ... Ich versuche beides, denn Ratio und Emotion zeigen mir, dass jede Seite allein defizient ist. Beide helfen mir nur nicht besonders dabei, zu einem modus convivendi zu kommen. Ich werde aber dranbleiben.

Die Cambridge-Gedanken werden bald fortgesetzt ... dann geht´s um die Biologen.