Ein Lob den Wissenschaften - Cambridge I
Blick vom Turm von St.
Mary´s auf die Stadt und einige der Colleges
Auch wenn Wissenschaft,
zumindest so wir sie in westlich geprägten
Zusammenhängen verstehen und vor allem definieren,
nichts mit Spiritualität zu tun hat (es sei denn, sie
behandelt sie als Forschungsobjekt), so hat mich der
Besuch dieser „heiligen Hallen“ der Wissenschaften
doch auf einer ganz irrationalen Ebene berührt. Und
mir damit - das sei by the way mal wieder erwähnt -
nochmals gezeigt, dass wir Menschen Rationalität und
Spiritualität, Emotion und Irrationalität nicht
voneinander zu trennen imstande sind. Und nicht
trennen sollten ...
Nun, die meisten der großen Geister, die in Cambridge
wirkten, würden dem letzten Satz wohl widersprechen,
ist Cambridge doch in erster Linie für seine
Naturwissenschaftler bekannt. On second thought
jedoch ... Vielleicht würden sie es doch gar nicht so
eindeutig ablehnen, denn es ist ja so, dass die
meisten klugen Forscherinnen und Forscher anerkennen,
dass sich mit Rationalität allein nicht alles
erklären lässt, und dass weitere Erkenntnisweisen,
auch wenn sie subjektiv sind, einen objektiven Wert
besitzen.
Auf jeden Fall befand ich mich nun am Samstag mitten
in Cambridge, umgeben von Colleges, die weit mehr
Nobelpreisträger hervorgebracht haben, als alle
deutschen Universitäten zusammengenommen: King´s College, Trinity College, St. John´s ... 800 Jahre
Wissenschaftstradition. Hinter größtenteils
beeindruckenden Mauern wurde die Welt vielfach
verändert, und dies öfter zum Guten, denn zum
Schlechten, was mehr ist, als man von den meisten
geschichtsträchtigen Orten dieser Welt sagen kann.
Beeindruckend! So stehe ich in Front des Trinity
College plötzlich vor einem direkten Abkömmling des
Apfelbaumes, der damals jene Frucht fallen ließ, die
Newton darauf brachte, die Gravitationstheorie zu
formulieren. Dies von Frens Kröger, Margarets Freund,
erklärt zu bekommen, löst ein intensives Gefühl des
Berührtseins aus.
Im Winter ohne Blatt und Frucht ...
Und es berührt mich
positiv, fast inspirierend, auch wenn mir im gleichen
Moment einfällt, dass Newton wegen dieser und anderer
Entdeckungen beschimpft wird, den Regenbogen seines
Zaubers entkleidet und die Welt ernüchtert und
entspiritualisiert zu haben:
„Do not all charms fly
At the mere touch of cold philosophy?
There was an awful rainbow once in heaven:
We know her woof, her texture; she is given
In the dull catalogue of common things.“
(Keats, Lamia, Zeilen 229 - 233; unter
„philosophy“ verstand man damals hauptsächlich die
Naturwissenschaften)
Was für ein Zufall, dass ich hier bin, um am Montag
in meinem Vortrag zu erklären, wie Fantasy die Welt
zu respiritualisieren vermag.
Was aber ist richtig davon? Haben Newton, Kopernikus,
Kepler und Konsorten (Kopernikus und Kepler
allerdings nicht hier in Cambridge) die Welt
nüchterner und ärmer gemacht? Können Fantasy, Sagen,
Mythen unsere Welt wieder anreichern? Und wenn sie
das können, muss man auf die Rationalisten und ihre
Modelle verzichten, um angereichert zu bleiben?
Hmm, ganz ungeordnet gedacht, kommt mir in den Sinn
zu sagen, dass Newton und Kollegen es doch gar nicht
bewirkt haben, die Welt zu ernüchtern - so what´s the
bother? Sie haben es natürlich auch gar nicht
gewollt, aber sie haben in Sachen Ernüchterung auch
gar nicht mehr verursacht, als Wissensgrenzen zu
erweitern. Hinter diesen Grenzen sind die Rätsel
genauso groß wie vorher und bieten weiterhin alle
durch Denken und Fühlen erreichbaren
Zugangsmöglichkeiten. Was sie erreicht haben, ist,
eine Reihe von Ausdrucksformen des Aberglaubens ad
absurdum zu führen, aber das ist nur begrüßenswert.
Können Mythen und ähnliche Gedanken also die Welt
wieder ,anreichern‘? Natürlich! Bis auf das „wieder“,
denn es ist keine Wieder-Anreicherung - die Welt und
die Gedankenwelten waren immer schon von
ununterdrückbarem Reichtum. Was der Mythos wieder tun
kann und wieder tut, ist, uns Menschen immer wieder
daran zu erinnern, dass die Welt größer ist, als
Mikro- und Teleskop sie anzuzeigen vermögen und dass
unsere Innenwelten an dieser Größe teilhaben können
und teilhaben sollten; neben all der Tageshektik und
dem Streben nach materiellem Erfolg und Sicherheit.
Dons and Graduates
...
Muss man sich aber dann
nicht wenigstens entscheiden, welchen Zugang zum Sein
man wählt, weil beide exklusiv sind? Das ist die
schwierigste Frage ... Ich versuche beides, denn
Ratio und Emotion zeigen mir, dass jede Seite allein
defizient ist. Beide helfen mir nur nicht besonders
dabei, zu einem modus convivendi zu kommen. Ich werde
aber dranbleiben.
Die Cambridge-Gedanken werden bald fortgesetzt ...
dann geht´s um die Biologen.