Sorgen ums Buch 2 (immer noch: Nee!)

Und wieder berichtet die WAZ über E-Books, diesmal eine Meinung von Frau Gudrun Norbisrath, die ich wegen ihrer klugen Kommentare und Berichte sehr schätze. Schön, dass Frau Norbisrath, im Gegensatz zu Herrn Potthoff vorgestern nicht gleich den Untergang des Abendlandes befürchtet, sondern sogar Chancen in der E-Book-Nutzung sieht. Trotzdem suggeriert auch dieser Artikel, dass E-Books etwas anderes vermittelten als gedruckte Bücher. Denn genau das bedeutet der Verweis auf McLuhan und die Aussage, dass es nicht egal sei, welches Medium "kluge Inhalte vermittelt."

Das ist aber doch egal, zumindest solange die Inhalte eins zu eins vermittelt werden. Also ist es auch egal, ob ich ein E-Book oder ein Buch lese.

Ich liebe Bücher und besitze ziemlich viele. Ich ziehe Bücher E-Books vor. Ich blättere lieber, als Knöpfe zu bedienen. Und ich finde meterlange Regalbretter mit Büchern unheimlich schön. Und ich mag auch das heillose Durcheinander auf meinen Regalen viel lieber als CD-ROM-Stapel:

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Manchmal gestalten sich Recherchen schwierig. Wo war noch mal der neue Shippey?


Aber ich kann mit E-Books eben doch genauso gut arbeiten wie mit normalen Büchern. Und wenn der Zugang zu Informationen und Literatur beschleunigt oder erleichtert wird, wie auch Frau Norbisrath vermutet, - gut!

Denn McLuhan hat nichts bei der Betrachtung des Kindle zu suchen (ganz davon ab, dass auch seine „Magischen Kanäle“ nicht der Medienweisheit allerletzter Schluss sind - googeln sie mal „mcluhan“ und „kritik“ ). Worum es bei dem Zitat "Das Medium ist die Aussage" geht, ist, dass jedes Medium durch seine Spezifika eine andere Wirkung erzielt. Tolkiens "Der Herr der Ringe" (HdR) wirkt als Buch anders als als Film oder Hörbuch, oder? Das ist sicherlich richtig, denn beides ist nicht mehr das Buch, sondern seine Interpretation durch Regisseure, Sprecher, Schauspieler usw. Aber der HdR wirkt als Buch nahezu genauso wie als E-Book.

Schauen Sie doch einmal Fotos eines Kindle an. Weiße Seiten, schwarze Buchstaben. Keine Bilder, kein Ton, keine Filme. Das Medium Buch ist in der Zugangsweise gleich dem Medium E-Book. Es ist egal, ob der Text des HdR im E-Book oder im Buch steht. (Ich weiß, dass der Kindle eine „geheime“ Zusatzfunktion hat, Bilder darzustellen - so what?, im Buch stehen keine.)

Man muss, zumindest als Leser, der Entwicklung nicht "offensiv" begegnen. Gelassenheit reicht völlig aus.

Etwas anderes ist das bei den Autoren. Die müssen vor der unbezahlten Verbreitung ihrer Werke geschützt werden. Aber nicht unbedingt vor Folgen einer Buchpreissenkung für E-Books. Die Verlage sparen schließlich auch enorm durch digitale Veröffentlichungen, was die Produktion von Büchern angeht. Es sollte also ein Leichtes sein, die bisherige 5 - 10 %-ige Entlohnung von Autoren auf 10 - 20 % zu erhöhen und so niedrigere Verkaufspreise von E-Books auszugleichen.

Ich glaube, die Kulturpessimisten, die gegen die Medien-Evolution zu Felde ziehen, haben vor allem ein ästhetisches Problem (und evtl. keine Lust, neue Kulturtechniken zu erlernen). Hey, das ist Euer Problem! Ich sehe sehr viel mehr Chancen als Probleme. Ein Beispiel nur: Schulbücher!

Wie viele Eltern haben Probleme, Lehrmaterialien zu finanzieren? An wie vielen Schulen wird mit Büchern von anno tuck gelehrt? Jetzt stellen Sie sich mal ein stabiles E-Book-Lesegerät vor. Das wird halbjährlich vom Schulserver aus mit den neuen Büchern und Arbeitsblättern gefüttert - und fertig. Und weil man mit dem Ding auch nicht daddeln und Filme gucken kann, wird es auch kaum einen Grund geben, das Ding zu rauben (was ein echtes Problem mit Schülerlaptops ist).

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Sorgen ums Buch? Nee!

Rolf Potthoff kommentiert heute auf Seite 1 in der WAZ die Diskussion um das E-Book, also die digitalen Bücher und ihre Lesegeräte. Die Diskussion um das E-Book beherrsche die Buchmesse, so Potthoff, und man „flüstere“, dass es die Zukunft des Lesens sei. Das aber sei doch ein entsetzlicher Verlust, denn Lesen sei „eine sinnliche Lust“, die vor dem Kunststoffgehäuse eines Lesegerätes nicht aufkommen könne. Bücher seien zudem Teil der persönlichen Geschichte und, ach, wie schlimm sei es doch, wenn man keines mehr schenkte oder geschenkt bekäme, mit Widmung vom besten Freund oder an die Liebste.

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Wäre ein Siegeszug des E-Books aber wirklich so ein großer Kulturbruch? Was macht denn ein Buch aus? Auch ich liebe die gute Aufmachung eines Buches, gebunden natürlich, Fadenheftung, möglichst mit Lesebändchen und vielleicht auch Goldschnitt (obwohl ... der muss nicht sein). Dann der Geruch! Besonders, wenn es nicht gerade frisch aus der Druckerei kommt, sondern schon so manches Jährchen auf dem Buckel hat. Aufschlagen, umblättern und zu lesen beginnen ... „Die Lebenserinnerungen Dieter Bohlens“ - würg!

Sie sehen, was ich meine? Es sind die Worte, die in den Büchern stehen. Die Geschichten, die Meinungen, die Fakten, die Ansichten, die Poesie und ihre Ästhetik. Die werden zwar wunderbar eingerahmt von einem liebevoll hergestellten Buch, aber essentiell ist dieses Drumherum nicht. Ich kann Novalis auch auf dem Kindle genießen und Lovecraft wird mir auch dort angsteinflößend den Rücken hinaufkriechen. Sofern die Technik stimmt, natürlich. Lesen auf meinem PDA ist eine rechte Zumutung mit dem hellen, viel zu kleinen Bildschirm und der hakeligen Bedienung. Aber der Kindle beispielsweise soll ja wie Papier aussehen und ohne Hintergrundbeleuchtung auskommen. Das reicht mir.

Vor die Wahl gestellt, werde ich Novalis und Lovecraft auch weiterhin als Buch lesen. Aber Fachbücher? Wenn ich nur dran denke, wie einfach ich im E-Book kommentieren, verschlagworten und vor allem suchen könnte. Haben Sie schon einmal einen Aufsatz geschrieben, in dem ein Zitat genau passen würde, das aus einem Buch stammt, das Sie vor Jahren gelesen haben? Mir passiert das dauernd und ich suche mich dumm und dusselig, obwohl ich seit Jahren alle meine Bücher mit Anmerkungen vollkritzele und kleine Indizes auf den ersten oder letzten Seiten von Hand anlege. Welch eine Wonne, ein digitales Dokument von der Suchfunktion durchsuchen zu lassen ...

Wird dann das E-Book das ‚echte’ Buch irgendwann verdrängen? Das mag wohl sein, und Sie können mir glauben, dass ich das sehr (!) bedauern würde. Aber ich werde es nicht mehr erleben. Auf Jahrzehnte hinaus wird es gedruckte Bücher auch aller möglichen Neuerscheinungen geben. Sie können als Bücherfreund also ganz getrost weiterhin alle E-Book-Fans bemitleiden. Ihre Kinder und Enkel allerdings ...

Mein Sohn etwa mag durchaus erleben, dass gedruckte Bücher zur Ausnahmepublikationsform werden. Und er wird es wohl auch bedauern, da er bei uns zuhause mit vielen Büchern aufwächst. Aber er wird auch gelernt haben, E-Books als vollkommen alltägliches Handwerkszeug und Lektüremittel zu handhaben. Genauso wie die E-Zeitung, die, ganz wie bei Harry Potter, kleine Filmchen statt Fotografien abbilden wird.

Und die heutigen und kommenden Kinder werden auch gelernt haben, die neuen Kulturtechniken ebenso typisch menschlich anzuwenden wie die alten. Nein, Herr Potthoff, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, dass die Widmung an den Freund oder die Geliebte verloren geht. Sie wird nur anders aussehen. Wie? Keine Ahnung! Aber mit Emoticons, Smileys, Lautschriften, Neologismen, ASCII-Art und anderen Dingen gelingt es den heute per Computer und Netzwerken Kommunizierenden gut, das parfümierte Briefpapier von einst zu ersetzen. Man schreibt Liebesbriefe anders, aber man schreibt sie immer noch und wird damit auch nie aufhören.

Wenn dann das Buch einmal ersetzt werden sollte und nichts mehr gedruckt wird, so ist die Zeit halt über die Printtechnik hinweggegangen. Schade, aber nicht wirklich schlimm. Und die, die das erleben, werden diesen Verlust auch nicht so empfinden wie wir, denn sie sind unter ganz anderen Medienbedingungen groß geworden. Wichtig ist, dass die Inhalte erhalten bleiben, dass niemals Platon, Aristoteles, Augustin, Dante, Shakespeare und all die anderen ebenso wie die Gedanken von heute; dass all dies niemals vergessen wird. Ist mir doch egal, ob es in Stein gehauen, auf Papyrus gemalt, auf Papier gedruckt oder auf Festplatten vorliegt - Hauptsache es ist zugänglich.

Nachtrag:
Gerade macht mich Friedhelm Schneidewind netterweise auf einen guten Beitrag von Dennis Scheck im Deutschlandradio aufmerksam, der erstens erklärt was der Kindle ist und kann und zweitens die Untergangsängste des Abendlandes angesichts des digitalen Lesens auch eindrucksvoll relativiert: bitte sehr.




Denglisch? Ich mag es nicht, aber es gibt Schlimmeres ...

... und anders als eifrige Streiter wider des Denglischen, wie Walter Krämer und Wolf Schneider zu meinen scheinen, ist es durchaus so, dass Sprachen sich durch den Einfluss von Fremdwörtern weiterentwickeln und nebenbei auch zu einem besseren Verständnis verschiedener Kulturen untereinander beitragen:
„Wenn Kulturen über den sprachlichen Austausch leben und sich weiterentwickeln, sind Anleihen und Abgaben, der in die Wörter gefassten und über die Wörter zugänglichen Kulturmerkmale zwangsläufig Mittel des Transfers, die als solche nicht zu beanstanden sind.“ (Hans-Werner Eroms, 2007, 45)

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Trotzdem nerven natürlich Sprüche wie „come in and find out“ jeden, dem etwas an der deutschen Schriftsprache liegt. Aber ist es mehr als ‚zu nerven‘? Wenn man den Herren Krämer und Schneider so zuhört, könnte man meinen, dass unsere gesamte Ausdrucksfähigkeit in Gefahr ist, ganz abgesehen natürlich von unserer nationalen Identität im Besonderen, dem christlichen Abendland und der humboldtschen Kultur im Allgemeinen undsoweiterundsofort ...

Problematisch wird das dann, wenn Schneider in seinem neuesten Buch Speak German! Warum Deutsch manchmal besser ist fast in Hasstiraden fällt, wenn er dem Denglischen den Kampf ansagt. Kampf? Ja, einen „Kampf“ gilt es zu führen ... die Fremdwörter heißt es „anzugreifen“ ... eine „Invasion“ des Amerikanismus muss „abgewehrt“ werden ... und, heia Safari, das wird Spaß bereiten: Anglizismen sind „abzuschießen“, jede Woche mindestens einer. Allein an diesem Wesen wird die deutsche Sprache genesen.

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Warum das ein Problem ist? Weil es eine emotional dermaßen aufgeladene Kriegsrhetorik ist, dass sie dem Thema - Wie erreichen wir eine stilistisch gute öffentliche Kommunikation? - völlig unangemessen ist. Ich habe einmal viel von Schneider gehalten - genial etwa: Unsere tägliche Desinformation aus den Achtzigern - aber hier fühle ich mich von ihm angesprungen. Das ist eine Rhetorik aus den unschöneren Zeiten der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts, eine Rhetorik, die der Sache in jedem Fall schadet.

Denn auch ein offen denkender und argumentierender Autor wie der zitierte Eroms kritisiert die besonders in PR- und Werbereichen inflationär eingesetzten Anglzismen als schlechten Stil. Das geht durchaus und stellt eine Kritik dar, die die Werber und Öffentlichkeitsarbeiterinnnen hinter den Kosemtikspiegel klemmen sollten. Eroms führt nämlich schön und sehr differenziert aus, wie dieser Gebrauch das Gebot des Maßhaltens durchbricht und so auch dem ungeschulteren Leser als schlechter Stil auffällt und somit ein kommunikatives Eigentor darstellt.

Aber mehr noch als zu warnen, ist zu beachten, dass die Sprachbeeinflussung durch Fremdwörter erst einmal positiv ist, da sie einen Zugang zu anderen Kulturen eröffnet (Eroms 2007, 50). Überflüssige Anglizismen zu geißeln, ist zudem eine „wissenschaftlich wenig haltbare Position“ (Krämer und Schneider sind schließlich Professoren), „denn wenn Wörter aus einer anderen Sprache genommen werden, hat offenbar ein Bezeichnungsbedarf bestanden, der genau diese Option ausgelöst hat“ (48).

Nun hat dieser Bedarf bei come in and find out sicherlich nicht bestanden, sondern ist konstruiert worden und angeblich sechzig Prozent der Deutschen verstehen darunter ja auch eher etwas wie „Komm rein und versuche, wieder herauszufinden“. Aber diese dummen Sprüche sind ja gerade Beispiele dafür, dass der übertriebene Einsatz, beim Versuch den Zeitgeist noch etwas schneller zuzureiten, in die Hose gegangen ist. Schön ist ja, dass diese Kommunikationsversuche genau die spöttische Reaktion hervorrufen, die einzig angemessen ist.

Prägnante und sinnvolle Anglizismen reihen sich demgegenüber nahtlos in die Sprache ein und werden von ihr aufgenommen: Job, Boss, E-Mail. Und das war schon immer so: Skonto, Bank und Porto stammen aus dem Italienischen; Hausse, Chef, Rendezvous hört man das Französische immer noch an; und wussten Sie das Tornister, Roboter und Gurke aus dem Slawischen kommen?

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Nein, von einem gewissen Werber-Unsinn geht keinerlei Gefahr aus, aber von undifferenzierter Kritik am Fremdwortgebrauch und seiner Schwester der Überfremdungsangst. Die Gefahr nämlich die Sprache einzukapseln, und in die Richtung gehen ja die jüngsten Schneiderschen Forderungen, der nötigenfalls Sprachreinheit auch per Gesetz herstellen lassen will, und damit das Denken selbst einzukapseln, es auf einem lokalpatriotischen, deutschtümelnden Niveau festzusetzen, das jeglicher Entwicklung zu widerstehen sucht.

Dem braucht man wenigstens keine gesteigerte Beachtung zu schenken, wenn man sich schon nicht die Mühe machen will, Gegenrede zu leisten. Nichtbeachtung reicht schon: Leute lest Eroms, nicht Schneider! Schade nur, dass ein wertvoller Theoriebeitrag wie der Eroms in einem nur von der engsten Fachwelt beachteten Tagungsband vor sich hinschlummert, während die Betrachtungen Schneiders starrsinniger Überzeugungen derzeit alle Feuilletons verunzieren ...

Literatur:

Das Buch vom Schneider halt ...

Eroms, Hans-Werner: „Fremdwörter“ - MIttel der Teilhabe an anderen Kulturen. In: Földes, Csaba/ Antos, Gerd (Hrsg.): Interkulturalität: Methodenprobleme der Forschung. Beiträge der internationalen Tagung im Germanistischen Institut der Pannonischen Universität Veszprém, 7.-9. Oktober 2004. München: Iudicium Verlag. 2007. 45 - 57.


"Noch nie wurde soviel geschrieben wie heute",

sagt laut WAZ die Germanistikprofessorin Karin Pittner von der RUB. Sie meint damit die Veränderung der Kommunikation durch die Computervernetzung (computer mediated communication, CMC), also die schriftliche Kommunikation über Mail, Chat, SMS, die auch die, "die früher nicht schrieben" dazu brächte, sich heutzutage mehr und mehr schriftlich auszudrücken. Das ist sicherlich so und ich finde es gut, dass es so ist!weiter ...