Sorgen ums Buch 2 (immer noch: Nee!)
Das ist aber doch egal, zumindest solange die Inhalte eins zu eins vermittelt werden. Also ist es auch egal, ob ich ein E-Book oder ein Buch lese.
Ich liebe Bücher und besitze ziemlich viele. Ich ziehe Bücher E-Books vor. Ich blättere lieber, als Knöpfe zu bedienen. Und ich finde meterlange Regalbretter mit Büchern unheimlich schön. Und ich mag auch das heillose Durcheinander auf meinen Regalen viel lieber als CD-ROM-Stapel:
Manchmal gestalten sich
Recherchen schwierig. Wo war noch mal der neue
Shippey?
Aber ich kann mit E-Books
eben doch genauso gut arbeiten wie mit normalen
Büchern. Und wenn der Zugang zu Informationen und
Literatur beschleunigt oder erleichtert wird, wie
auch Frau Norbisrath vermutet, - gut!
Denn McLuhan hat nichts bei der Betrachtung des
Kindle zu suchen (ganz davon ab, dass auch seine
„Magischen Kanäle“ nicht der Medienweisheit
allerletzter Schluss sind - googeln sie mal „mcluhan“
und „kritik“ ). Worum es bei dem Zitat "Das Medium
ist die Aussage" geht, ist, dass jedes Medium durch
seine Spezifika eine andere Wirkung erzielt. Tolkiens
"Der Herr der Ringe" (HdR) wirkt als Buch anders als
als Film oder Hörbuch, oder? Das ist sicherlich
richtig, denn beides ist nicht mehr das Buch, sondern
seine Interpretation durch Regisseure, Sprecher,
Schauspieler usw. Aber der HdR wirkt als Buch nahezu
genauso wie als E-Book.
Schauen Sie doch einmal Fotos eines Kindle an. Weiße
Seiten, schwarze Buchstaben. Keine Bilder, kein
Ton, keine Filme. Das Medium Buch ist in der
Zugangsweise gleich dem Medium E-Book. Es ist
egal, ob der Text des HdR im E-Book oder im Buch
steht. (Ich weiß, dass der Kindle eine „geheime“
Zusatzfunktion hat, Bilder darzustellen - so
what?, im Buch stehen keine.)
Man muss, zumindest als Leser, der Entwicklung nicht
"offensiv" begegnen. Gelassenheit reicht völlig aus.
Etwas anderes ist das bei den Autoren. Die müssen vor
der unbezahlten Verbreitung ihrer Werke geschützt
werden. Aber nicht unbedingt vor Folgen einer
Buchpreissenkung für E-Books. Die Verlage sparen
schließlich auch enorm durch digitale
Veröffentlichungen, was die Produktion von Büchern
angeht. Es sollte also ein Leichtes sein, die
bisherige 5 - 10 %-ige Entlohnung von Autoren auf 10
- 20 % zu erhöhen und so niedrigere Verkaufspreise
von E-Books auszugleichen.
Ich glaube, die Kulturpessimisten, die gegen die
Medien-Evolution zu Felde ziehen, haben vor allem ein
ästhetisches Problem (und evtl. keine Lust, neue
Kulturtechniken zu erlernen). Hey, das ist Euer
Problem! Ich sehe sehr viel mehr Chancen als
Probleme. Ein Beispiel nur: Schulbücher!
Wie viele Eltern haben Probleme, Lehrmaterialien zu
finanzieren? An wie vielen Schulen wird mit Büchern
von anno tuck gelehrt? Jetzt stellen Sie sich mal ein
stabiles E-Book-Lesegerät vor. Das wird halbjährlich
vom Schulserver aus mit den neuen Büchern und
Arbeitsblättern gefüttert - und fertig. Und weil man
mit dem Ding auch nicht daddeln und Filme gucken
kann, wird es auch kaum einen Grund geben, das Ding
zu rauben (was ein echtes Problem mit Schülerlaptops
ist).
Sorgen ums Buch? Nee!
Wäre ein Siegeszug des
E-Books aber wirklich so ein großer Kulturbruch? Was
macht denn ein Buch aus? Auch ich liebe die gute
Aufmachung eines Buches, gebunden natürlich,
Fadenheftung, möglichst mit Lesebändchen und
vielleicht auch Goldschnitt (obwohl ... der muss
nicht sein). Dann der Geruch! Besonders, wenn es
nicht gerade frisch aus der Druckerei kommt, sondern
schon so manches Jährchen auf dem Buckel hat.
Aufschlagen, umblättern und zu lesen beginnen ...
„Die Lebenserinnerungen Dieter Bohlens“ - würg!
Sie sehen, was ich meine? Es sind die Worte, die in
den Büchern stehen. Die Geschichten, die Meinungen,
die Fakten, die Ansichten, die Poesie und ihre
Ästhetik. Die werden zwar wunderbar eingerahmt von
einem liebevoll hergestellten Buch, aber essentiell
ist dieses Drumherum nicht. Ich kann Novalis auch auf
dem Kindle genießen und Lovecraft wird mir auch dort
angsteinflößend den Rücken hinaufkriechen. Sofern die
Technik stimmt, natürlich. Lesen auf meinem PDA ist
eine rechte Zumutung mit dem hellen, viel zu kleinen
Bildschirm und der hakeligen Bedienung. Aber der
Kindle beispielsweise soll ja wie Papier aussehen und
ohne Hintergrundbeleuchtung auskommen. Das reicht
mir.
Vor die Wahl gestellt, werde ich Novalis und
Lovecraft auch weiterhin als Buch lesen. Aber
Fachbücher? Wenn ich nur dran denke, wie einfach ich
im E-Book kommentieren, verschlagworten und vor allem
suchen könnte. Haben Sie schon einmal einen Aufsatz
geschrieben, in dem ein Zitat genau passen würde, das
aus einem Buch stammt, das Sie vor Jahren gelesen
haben? Mir passiert das dauernd und ich suche mich
dumm und dusselig, obwohl ich seit Jahren alle meine
Bücher mit Anmerkungen vollkritzele und kleine
Indizes auf den ersten oder letzten Seiten von Hand
anlege. Welch eine Wonne, ein digitales Dokument von
der Suchfunktion durchsuchen zu lassen ...
Wird dann das E-Book das ‚echte’ Buch irgendwann
verdrängen? Das mag wohl sein, und Sie können mir
glauben, dass ich das sehr (!) bedauern würde. Aber
ich werde es nicht mehr erleben. Auf Jahrzehnte
hinaus wird es gedruckte Bücher auch aller möglichen
Neuerscheinungen geben. Sie können als Bücherfreund
also ganz getrost weiterhin alle E-Book-Fans
bemitleiden. Ihre Kinder und Enkel allerdings ...
Mein Sohn etwa mag durchaus erleben, dass gedruckte
Bücher zur Ausnahmepublikationsform werden. Und er
wird es wohl auch bedauern, da er bei uns zuhause mit
vielen Büchern aufwächst. Aber er wird auch gelernt
haben, E-Books als vollkommen alltägliches
Handwerkszeug und Lektüremittel zu handhaben. Genauso
wie die E-Zeitung, die, ganz wie bei Harry Potter,
kleine Filmchen statt Fotografien abbilden wird.
Und die heutigen und kommenden Kinder werden auch
gelernt haben, die neuen Kulturtechniken ebenso
typisch menschlich anzuwenden wie die alten. Nein,
Herr Potthoff, Sie brauchen sich keine Sorgen zu
machen, dass die Widmung an den Freund oder die
Geliebte verloren geht. Sie wird nur anders aussehen.
Wie? Keine Ahnung! Aber mit Emoticons, Smileys,
Lautschriften, Neologismen, ASCII-Art und anderen
Dingen gelingt es den heute per Computer und
Netzwerken Kommunizierenden gut, das parfümierte
Briefpapier von einst zu ersetzen. Man schreibt
Liebesbriefe anders, aber man schreibt sie immer noch
und wird damit auch nie aufhören.
Wenn dann das Buch einmal ersetzt werden sollte und
nichts mehr gedruckt wird, so ist die Zeit halt über
die Printtechnik hinweggegangen. Schade, aber nicht
wirklich schlimm. Und die, die das erleben, werden
diesen Verlust auch nicht so empfinden wie wir, denn
sie sind unter ganz anderen Medienbedingungen groß
geworden. Wichtig ist, dass die Inhalte erhalten
bleiben, dass niemals Platon, Aristoteles, Augustin,
Dante, Shakespeare und all die anderen ebenso wie die
Gedanken von heute; dass all dies niemals vergessen
wird. Ist mir doch egal, ob es in Stein gehauen, auf
Papyrus gemalt, auf Papier gedruckt oder auf
Festplatten vorliegt - Hauptsache es ist zugänglich.
Nachtrag:
Gerade macht mich Friedhelm Schneidewind netterweise
auf einen guten Beitrag von Dennis Scheck im
Deutschlandradio aufmerksam, der erstens erklärt was
der Kindle ist und kann und zweitens die
Untergangsängste des Abendlandes angesichts des
digitalen Lesens auch eindrucksvoll relativiert:
bitte sehr.
Denglisch? Ich mag es nicht, aber es gibt Schlimmeres ...
„Wenn Kulturen über den sprachlichen Austausch leben und sich weiterentwickeln, sind Anleihen und Abgaben, der in die Wörter gefassten und über die Wörter zugänglichen Kulturmerkmale zwangsläufig Mittel des Transfers, die als solche nicht zu beanstanden sind.“ (Hans-Werner Eroms, 2007, 45)
Trotzdem nerven natürlich Sprüche wie „come in and
find out“ jeden, dem etwas an der deutschen
Schriftsprache liegt. Aber ist es mehr als ‚zu
nerven‘? Wenn man den Herren Krämer und Schneider so
zuhört, könnte man meinen, dass unsere gesamte
Ausdrucksfähigkeit in Gefahr ist, ganz abgesehen
natürlich von unserer nationalen Identität im
Besonderen, dem christlichen Abendland und der
humboldtschen Kultur im Allgemeinen
undsoweiterundsofort ...
Problematisch wird das dann, wenn Schneider in seinem
neuesten Buch Speak German! Warum Deutsch
manchmal besser ist fast in Hasstiraden fällt,
wenn er dem Denglischen den Kampf ansagt. Kampf? Ja,
einen „Kampf“ gilt es zu führen ... die Fremdwörter
heißt es „anzugreifen“ ... eine „Invasion“ des
Amerikanismus muss „abgewehrt“ werden ... und, heia
Safari, das wird Spaß bereiten: Anglizismen sind
„abzuschießen“, jede Woche mindestens einer. Allein
an diesem Wesen wird die deutsche Sprache genesen.
Warum das ein Problem ist? Weil es eine emotional
dermaßen aufgeladene Kriegsrhetorik ist, dass sie dem
Thema - Wie erreichen wir eine stilistisch gute
öffentliche Kommunikation? - völlig unangemessen ist.
Ich habe einmal viel von Schneider gehalten - genial
etwa: Unsere tägliche Desinformation aus den
Achtzigern - aber hier fühle ich mich von ihm
angesprungen. Das ist eine Rhetorik aus den
unschöneren Zeiten der ersten Hälfte des vorigen
Jahrhunderts, eine Rhetorik, die der Sache in jedem
Fall schadet.
Denn auch ein offen denkender und argumentierender
Autor wie der zitierte Eroms kritisiert die besonders
in PR- und Werbereichen inflationär eingesetzten
Anglzismen als schlechten Stil. Das geht durchaus und
stellt eine Kritik dar, die die Werber und
Öffentlichkeitsarbeiterinnnen hinter den
Kosemtikspiegel klemmen sollten. Eroms führt nämlich
schön und sehr differenziert aus, wie dieser Gebrauch
das Gebot des Maßhaltens durchbricht und so auch dem
ungeschulteren Leser als schlechter Stil auffällt und
somit ein kommunikatives Eigentor darstellt.
Aber mehr noch als zu warnen, ist zu beachten, dass
die Sprachbeeinflussung durch Fremdwörter erst einmal
positiv ist, da sie einen Zugang zu anderen Kulturen
eröffnet (Eroms 2007, 50). Überflüssige Anglizismen
zu geißeln, ist zudem eine „wissenschaftlich wenig
haltbare Position“ (Krämer und Schneider sind
schließlich Professoren), „denn wenn Wörter aus einer
anderen Sprache genommen werden, hat offenbar ein
Bezeichnungsbedarf bestanden, der genau diese Option
ausgelöst hat“ (48).
Nun hat dieser Bedarf bei come in and find out
sicherlich nicht bestanden, sondern ist konstruiert
worden und angeblich sechzig Prozent der Deutschen
verstehen darunter ja auch eher etwas wie „Komm rein
und versuche, wieder herauszufinden“. Aber diese
dummen Sprüche sind ja gerade Beispiele dafür, dass
der übertriebene Einsatz, beim Versuch den Zeitgeist
noch etwas schneller zuzureiten, in die Hose gegangen
ist. Schön ist ja, dass diese Kommunikationsversuche
genau die spöttische Reaktion hervorrufen, die einzig
angemessen ist.
Prägnante und sinnvolle Anglizismen reihen sich
demgegenüber nahtlos in die Sprache ein und werden
von ihr aufgenommen: Job, Boss, E-Mail. Und das war
schon immer so: Skonto, Bank und Porto stammen aus
dem Italienischen; Hausse, Chef, Rendezvous hört man
das Französische immer noch an; und wussten Sie das
Tornister, Roboter und Gurke aus dem Slawischen
kommen?
Nein, von einem gewissen Werber-Unsinn geht keinerlei
Gefahr aus, aber von undifferenzierter Kritik am
Fremdwortgebrauch und seiner Schwester der
Überfremdungsangst. Die Gefahr nämlich die Sprache
einzukapseln, und in die Richtung gehen ja die
jüngsten Schneiderschen Forderungen, der nötigenfalls
Sprachreinheit auch per Gesetz herstellen lassen
will, und damit das Denken selbst einzukapseln, es
auf einem lokalpatriotischen, deutschtümelnden Niveau
festzusetzen, das jeglicher Entwicklung zu
widerstehen sucht.
Dem braucht man wenigstens keine gesteigerte
Beachtung zu schenken, wenn man sich schon nicht die
Mühe machen will, Gegenrede zu leisten.
Nichtbeachtung reicht schon: Leute lest Eroms, nicht
Schneider! Schade nur, dass ein wertvoller
Theoriebeitrag wie der Eroms in einem nur von der
engsten Fachwelt beachteten Tagungsband vor sich
hinschlummert, während die Betrachtungen Schneiders
starrsinniger Überzeugungen derzeit alle Feuilletons
verunzieren ...
Literatur:
Das Buch vom Schneider halt ...
Eroms, Hans-Werner: „Fremdwörter“ - MIttel der
Teilhabe an anderen Kulturen. In: Földes, Csaba/
Antos, Gerd (Hrsg.): Interkulturalität:
Methodenprobleme der Forschung. Beiträge der
internationalen Tagung im Germanistischen Institut
der Pannonischen Universität Veszprém, 7.-9. Oktober
2004. München: Iudicium Verlag. 2007. 45 - 57.