Die Versucher - Cambridge II
The Eagle - Crick und
Watsons Triumph
Wenn man vor dem King´s
College links abbiegt und die Straße hinuntergeht, so
fällt ein blutrotes Schild mit einem Adler und der
Aufschrift „The Eagle, Cambridge“ drauf ins Auge -
das ist der Pub, in dem James Watson und Francis
Crick 1953 die Entdeckung der DNA bekanntgaben und
somit dem Geheimnis des Lebens eine ganze Menge an
Geheimnis nahmen. Und auch Darwin, der gefährlichste
aller Biologen und Geheimnisentdecker der
Lebenswissenschaften, hat hier in Cambridge gelehrt.
Diese Lebenswissenschaftler haben uns ja noch viel
schlimmere Kränkungen zugefügt als jene, die ,nur‘
die Erde aus dem Mittelpunkt des Kosmos verbannten.
Dass die unbelebte Natur nach bestimmten
Gesetzmäßigkeiten funktioniert, ist erstens
beruhigend, denn es gibt doch eine gewisse
Sicherheit, die der Glauben an wankelmütige Sturm-
und Wettergötter so nicht bietet. Es ist zweitens
zweckmäßig, denn auf diesen Gesetzmäßigkeiten kann
man Häuser, Städte, Verkehrsmittel und vieles mehr
aufbauen, die dann recht zuverlässig funktionieren
werden und einem das Leben erleichtern. Drittens
betrifft uns die unbelebte Natur nur indirekt, denn
wir sind belebt und - so man daran glaubt, und das
war immerhin jahrtausendelang weltweit Konsens -
beseelt. Wir haben also eine nur lose Verbindung zur
Natur, über die Forscherinnen und Forscher also ruhig
herausfinden können, was immer sie mögen.
Diese relative bis absolute Unabhängigkeit von der
Materie scheint nun aber gefährdet, wenn der Mensch
qua wissenschaftlicher Erklärung wieder unmittelbar
mit der ollen Materie in Zusammenhang gebracht wird.
Schritt eins dahingehend war, dass Darwin die
Evolution und die Abstammung des Menschen erklärte.
Schritt zwei war dann, den Ursprung des Lebens, den
schon Darwin in einer Ausgangsform allen
Lebens vermutete, auch noch in Zusammenhang mit der
Materie zu bringen, und das steckte hinter der
Entdeckung der DNA.
Darwins Selektionstheorie mit der Vererbungslehre
Gregor Mendels zu vereinen, das ging ja noch, ließ es
den ganz Verzweifelten doch noch Platz, irgendeine
distinkte Lebenskraft anzunehmen, auch wenn natürlich
schon Darwin unter den heftigsten Anfeindungen zu
leiden hatte. Aber dass die DNA aus Eiweißen besteht,
die wiederum aus Aminosäuren bestehen, die wiederum
aus stinkgewöhnlichen Molekülen und Atomen bestehen,
die auch in Stein, Wasser und Schlamm stecken, und
dass diese Zusammenhangskette in der umgekehrten
Richtung zu sich replizierenden Gebilden führt die
... leben (!) ..., das war ein harter Schlag, denn
damit war jegliche geheimnisvolle Lebenskraft
erledigt und auch das Leben materiell erklärbar
geworden.
Ein Hörsaal in
Cambridge - ein teuflischer Hort?
Da sitze ich jetzt also
im „Eagle“, blicke durch den typisch englischen,
dunkel-heimeligen Pub, und stelle mir die hagere
Gestalt Francis Cricks vor wie er, das Bierglas
erhoben, einem atemlosen akademischen Publikum von
dem Triumph der wissenschaftlichen Erkenntnis
berichtet. Sie werden das Foto vielleicht kennen, an
das ich gerade denken muss.
War das also der Tod aller spirituellen und
religiösen Hoffnung, wie beispielsweise Richard
Dawkins (allerdings in Oxford) annimmt?
Das ist eine Glaubensfrage und jeglicher
wissenschaftlicher Erklärung nicht
zugänglich.
Dass das so ist, ist mir natürlich schon lange klar,
aber hier im „Eagle“ erfahre ich die Sicht des
Atheisten am eigenen Körper als Glaubenshaltung.
Wieder berührt mich, wie schon bei Newtons Apfelbaum
vor dem Trinity College, ein Schauder und ein Gefühl
der Andacht ergreift mich - hier wurde
Wissenschaftsgeschichte geschrieben! Obwohl das
Ereignis im „Eagle“ wesentlich besser dokumentiert
ist, als die Übergabe der Zehn Gebote an Mose auf dem
Sinai, so kann das Gedenken daran doch ganz ähnlich
wirken.
Was mein subjektives Gefühl mit Atheismus zu tun hat,
fragen Sie? Wenig, denn es macht mir nur klar, dass
auch Wissenschaft Ehrfurcht, sogar Andacht
hervorrufen kann. Für mich ist das aber ein Hinweis
auf eine gewisse Verwandtschaft zwischen zwei
Wissensformen, die einander ansonsten diametral
gegenüberstehen. Und in der Tat geht die
Verwandtschaft noch weiter, wenn man diesen Gedanken
einmal zulässt.
Genau wie Religion und Mythos kann Wissenschaft
inspirierend und ehrfurchtgebietend wirken und
beweist damit, dass sie Menschen am Kern ihres Wesens
anzusprechen vermag. Vor den unüberwindbaren Mauern
der Erkenntnis stehend, die der Anfang aller Zeiten,
der Raum hinter dem Universum und die Räume kleiner
als die erfassbare Materie darstellen, kann auch
Wissenschaft nur noch spekulieren.
Dass die Erklärbarkeit der Aggregation von Materie zu
Gestirnen und Planeten und die Organisation von
Molekülen in Replikatoren und Organismen ein Beweis
dafür sein soll, dass dies alles ist, was es gibt und
dass kein Gott das alles veranlasst habe, ist nicht
weniger Spekulation als das Gegenteil.
Mit gleichem Recht und prinzipiell nicht geringerer
Überzeugungskraft kann der Gläubige darauf hinweisen,
dass gerade die Aggregation von Materie zu Sonnen und
mindestens einem Planeten, der Leben tragen kann,
sowie die erstaunliche Fähigkeit unbelebter Materie,
sich zur Lebensfähigkeit hin zusammenzufinden ein
sicherer Hinweis darauf ist, dass es eine Wirkursache
geben muss, die dieses an sich sehr unwahrscheinliche
Geschehen zustande kommen lässt.
Niemand kann
beweisen,
dass es ihn nicht gibt
Das erstaunliche Wunder
der Komplexität des Seins lässt sich auf beide Weisen
und wahrscheinlich mittels einer unlimitierten Anzahl
weiterer Ansätze erklären. Doch sind das in allen
Fällen eigentlich keine Erklärungen, sondern
Auslegungen. Wessen man anhängt ist die Sache jedes
Einzelnen. Verboten ist nur, jemanden anderen zur
Übernahme der eigenen Auffassung zu zwingen.
Was ich in der Atmosphäre Cambridges allerdings
außerdem irgendwie bestätigt gespürt habe, ist, dass
die Wissenschaftler in den allerwenigsten Fällen zu
missionieren versuchen und einen stattdessen
üblicherweise nach eigener Façon glücklich werden
lassen. Sich bitte zurückzunehmen, das muss man
beiden Seiten sagen; allerdings stehen auf der einen
Seite des Zauns nur ein paar Gestalten, aber auf der
anderen Seite stehen ganze Horden.
Bitte? Ach, was richtig ist, wollten Sie noch wissen?
Atheismus oder Theismus? Das fragen Sie doch bitte
keinen Agnostiker ...
Ein Lob den Wissenschaften - Cambridge I
Blick vom Turm von St.
Mary´s auf die Stadt und einige der Colleges
Auch wenn Wissenschaft,
zumindest so wir sie in westlich geprägten
Zusammenhängen verstehen und vor allem definieren,
nichts mit Spiritualität zu tun hat (es sei denn, sie
behandelt sie als Forschungsobjekt), so hat mich der
Besuch dieser „heiligen Hallen“ der Wissenschaften
doch auf einer ganz irrationalen Ebene berührt. Und
mir damit - das sei by the way mal wieder erwähnt -
nochmals gezeigt, dass wir Menschen Rationalität und
Spiritualität, Emotion und Irrationalität nicht
voneinander zu trennen imstande sind. Und nicht
trennen sollten ...
Nun, die meisten der großen Geister, die in Cambridge
wirkten, würden dem letzten Satz wohl widersprechen,
ist Cambridge doch in erster Linie für seine
Naturwissenschaftler bekannt. On second thought
jedoch ... Vielleicht würden sie es doch gar nicht so
eindeutig ablehnen, denn es ist ja so, dass die
meisten klugen Forscherinnen und Forscher anerkennen,
dass sich mit Rationalität allein nicht alles
erklären lässt, und dass weitere Erkenntnisweisen,
auch wenn sie subjektiv sind, einen objektiven Wert
besitzen.
Auf jeden Fall befand ich mich nun am Samstag mitten
in Cambridge, umgeben von Colleges, die weit mehr
Nobelpreisträger hervorgebracht haben, als alle
deutschen Universitäten zusammengenommen: King´s College, Trinity College, St. John´s ... 800 Jahre
Wissenschaftstradition. Hinter größtenteils
beeindruckenden Mauern wurde die Welt vielfach
verändert, und dies öfter zum Guten, denn zum
Schlechten, was mehr ist, als man von den meisten
geschichtsträchtigen Orten dieser Welt sagen kann.
Beeindruckend! So stehe ich in Front des Trinity
College plötzlich vor einem direkten Abkömmling des
Apfelbaumes, der damals jene Frucht fallen ließ, die
Newton darauf brachte, die Gravitationstheorie zu
formulieren. Dies von Frens Kröger, Margarets Freund,
erklärt zu bekommen, löst ein intensives Gefühl des
Berührtseins aus.
Im Winter ohne Blatt und Frucht ...
Und es berührt mich
positiv, fast inspirierend, auch wenn mir im gleichen
Moment einfällt, dass Newton wegen dieser und anderer
Entdeckungen beschimpft wird, den Regenbogen seines
Zaubers entkleidet und die Welt ernüchtert und
entspiritualisiert zu haben:
„Do not all charms fly
At the mere touch of cold philosophy?
There was an awful rainbow once in heaven:
We know her woof, her texture; she is given
In the dull catalogue of common things.“
(Keats, Lamia, Zeilen 229 - 233; unter
„philosophy“ verstand man damals hauptsächlich die
Naturwissenschaften)
Was für ein Zufall, dass ich hier bin, um am Montag
in meinem Vortrag zu erklären, wie Fantasy die Welt
zu respiritualisieren vermag.
Was aber ist richtig davon? Haben Newton, Kopernikus,
Kepler und Konsorten (Kopernikus und Kepler
allerdings nicht hier in Cambridge) die Welt
nüchterner und ärmer gemacht? Können Fantasy, Sagen,
Mythen unsere Welt wieder anreichern? Und wenn sie
das können, muss man auf die Rationalisten und ihre
Modelle verzichten, um angereichert zu bleiben?
Hmm, ganz ungeordnet gedacht, kommt mir in den Sinn
zu sagen, dass Newton und Kollegen es doch gar nicht
bewirkt haben, die Welt zu ernüchtern - so what´s the
bother? Sie haben es natürlich auch gar nicht
gewollt, aber sie haben in Sachen Ernüchterung auch
gar nicht mehr verursacht, als Wissensgrenzen zu
erweitern. Hinter diesen Grenzen sind die Rätsel
genauso groß wie vorher und bieten weiterhin alle
durch Denken und Fühlen erreichbaren
Zugangsmöglichkeiten. Was sie erreicht haben, ist,
eine Reihe von Ausdrucksformen des Aberglaubens ad
absurdum zu führen, aber das ist nur begrüßenswert.
Können Mythen und ähnliche Gedanken also die Welt
wieder ,anreichern‘? Natürlich! Bis auf das „wieder“,
denn es ist keine Wieder-Anreicherung - die Welt und
die Gedankenwelten waren immer schon von
ununterdrückbarem Reichtum. Was der Mythos wieder tun
kann und wieder tut, ist, uns Menschen immer wieder
daran zu erinnern, dass die Welt größer ist, als
Mikro- und Teleskop sie anzuzeigen vermögen und dass
unsere Innenwelten an dieser Größe teilhaben können
und teilhaben sollten; neben all der Tageshektik und
dem Streben nach materiellem Erfolg und Sicherheit.
Dons and Graduates
...
Muss man sich aber dann
nicht wenigstens entscheiden, welchen Zugang zum Sein
man wählt, weil beide exklusiv sind? Das ist die
schwierigste Frage ... Ich versuche beides, denn
Ratio und Emotion zeigen mir, dass jede Seite allein
defizient ist. Beide helfen mir nur nicht besonders
dabei, zu einem modus convivendi zu kommen. Ich werde
aber dranbleiben.
Die Cambridge-Gedanken werden bald fortgesetzt ...
dann geht´s um die Biologen.