Warum der Staat die Steuerhinterzieher-CD-ROM nicht kaufen darf

Ja, das wäre so richtig doppelt toll, wenn man die Personen, deren Namen auf der Schweizer Steuerhinterzieher-CD stehen, dieses Tatbestandes überführen und sie zahlen machen könnte. Der Staat hätte beträchtliche Zusatzeinnahmen (die er vielleicht sogar sinnvoll einsetzen würde) und außerdem würde ein klares Zeichen gesetzt, dass man auch die Großen zur Rechenschaft zieht. Aber leider geht das nicht.

Das menschliche Zusammenleben unterliegt Regeln, sonst würde das Recht des Stärkeren herrschen. Eine streng kodifizierte Form dieser Regeln sind die Gesetze und die Rechtsgrundsätze, auf denen sie beruhen. Ein in allen Rechtsstaaten gültiger Grundsatz ist, dass man unrechtmäßig erworbene Erkenntnisse nicht für die Strafverfolgung nutzen darf. Der Kauf von Diebesware ist so eine unrechtmäßige Form des Erwerbs.

Würde dieser Grundsatz nicht gelten, so träte unmittelbar wieder das Recht des Stärkeren in Kraft, nämlich der Einsatz der Macht desjenigen, der die Kraft oder die Mittel hat, beispielsweise Informationen aus jemandem herauszuprügeln. Und keiner hat mehr Macht, zu prügeln, als der Staat. Und aus rechtstheoretischer Sicht ist der Einkauf von Hehlerware ebenso Straftat, wie es der Einsatz eines Rollkommandos wäre, um besagte CD mit Gewalt an sich zu bringen (etwa durch die „Kavallerie“, die Herr Steinbrück vor knapp zwei Jahren in die Schweiz schicken wollte).

Besagte Rechtsgrundsätze sind Abwehrmittel gegen den Staat. Selbst gegen einen eher harmlosen Staat wie den deutschen (harmlos verglichen mit, sagen wir mal ... Russland oder China) brauchen die Bürger Abwehrmittel, darin ist sich alle Staatstheorie einig. Denn der Staat hat nun einmal unvergleichlich mehr Macht als alle Bürger und sämtliche Organisationen und muss deshalb wirksam eingeschränkt werden. Durch das Anlegen des Maßstabs der Menschenrechte etwa. Oder auch durch die strikte Einhaltung der in den letzten zwei-, dreihundert Jahren international entwickelten Rechtsgrundsätze.

Und deshalb muss Schäuble die Finger von der CD lassen.

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Ich habe mich auch gefreut - Freude = eine Emotion - als sie den Steuersünder Zumwinkel vor einem Jahr dermaßen vorgeführt haben. Aber falsch war es doch, sagt die Vernunft - Vernunft = Ratio -, denn auch damals dienten unrechtmäßig beschaffte Informationen als Grundlage für das Verfahren. Manchmal, gar nicht so selten sogar - leider -, muss man das Gefühl und sogar ein begründetes Gerechtigkeitsempfinden hintanstellen, um wichtigere Güter zu schützen.

(Außerdem, ich bitte Sie, wäre es doch wirklich nicht schwer, Steuersünder zu erwischen, wenn die Steuerfahndung personell gut ausgestattet wäre - die würden sogar ihren eigenen Lohn vielfach wieder einbringen. Aber da sind natürlich die verschiedenen Einflussgruppen - und natürlich die Klientelpartei FDP in toto - vor.)

Was jetzt geschehen wird, fragen Sie? Natürlich werden die die Scheibe kaufen. Und wieder ein Stückchen Rechtsstaat verraten. Unter dem Applaus der Bevölkerung ...


Fantasy ist ein Menschenrecht ...

... das mag zwar zunächst stutzig machen oder komisch erscheinen, aber ich denke, man sollte dringend wieder einmal drauf hinweisen ... gute 70 Jahre nachdem Tolkien so etwas schon einmal ganz ähnlich formuliert hat.

Deshalb nahm ich den Mythentag im Nibelungenmuseum in Worms zum Anlass, diesen Gedanken einmal auszuformulieren und zu erläutern. Friedhelm Schneidewind, der Conventus Tandaradey und ich waren eingalden, im Mythenlabor zu Halloween einen ganzen Tag mit Lesungen, Vorträgen, Workshops und einem Konzert zu gestalten, und als Einstiegsvortrag schien es mir eine gute Idee zu sein, einmal grundlegend auf den politischen und sozialen Stellenwert von fantasy und der Phantastik im Allgemeinen hinzuweisen. Nun, die Gäste fanden es, glaube ich, auch spannend und einleuchtend.

Ich würde mich freuen, wenn Sie sich die Zeit nähmen, den Gedanken einmal mit mir nachzuvollziehen. Und falls Sie meine Ausführungen über das Wesen der Fantasy kennen, so können Sie auch gleich zum Punkt Römisch 2 runterscrollen, wo die eigentliche politische Argumentation beginnt. Bitte sehr ...

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Nibelungenmuseum Worms

Nachtrag: Der Wormser Zeitung hat es auch gefallen (bis auf Friedhelms Brille): Zeitungsbericht.

Obama und die Folterfotos - ein ethischer Exkurs

Kennen Sie eigentlich den Unterschied zwischen Gesinnungsethik und Verantwortungsethik? Den bringt uns gerade der Präsident der USA wieder nahe und das finde ich sehr interessant.

Barack Obama hat also die Veröffentlichung weiterer Folterfotos aus Abu Ghoreib und anderen Lagern untersagt. Und die Gutmenschen dieser Welt prügeln jetzt auf ihn ein. Die amerikanische Bürgerrechtsvereinigung ACLU steckt Obama jetzt sogar mit Ex-Präsident Bush in einen Sack und behauptet, er mache sich damit mitschuldig an den Folterdelikten.

Der Mitbegründer der Soziologie Max Weber (1864-1920) hätte das sicherlich als Beispiel aufgegrifffen, würde er seine berühmte Schrift „Was ist Politik?“ heute verfassen. Darin geht es unter anderem um die gegensätzlichen Paare Gesinnungsethik und Verantwortungsethik. Was Obama betreibt ist Verantwortungsethik, was die Kritiker aber von ihm verlangen ist ein Handeln nach den Grundsätzen der Gesinnungsethik.

Die Situation ist so, dass bekannt ist, dass die USA in ihrem sogenannten Krieg gegen den Terror selbst zu Terroristen geworden sind und unter anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch das Folterverbot in hohen Fallzahlen missachtet haben. Beweise gibt es dafür zuhauf, unter anderem auch zahlreiche publik gewordene Fotodokumente. Das ist gut so! Und ungemein wichtig, denn es zeigt, dass auch eine Supermacht zumindest nicht unerkannt mit so schweren Verbrechen davon kommt.

Jetzt verweigert der derzeitige Präsident der USA also die Veröffentlichung weiterer Folterfotos und verhindert damit die lückenlose Information der Weltöffentlichkeit. Die Gesinnungsethik besagt nun, dass eine ethisch gebotene Handlung in jedem Fall durchgeführt werden muss, egal, was sich daraus für Konsequenzen ergeben. Obama muss nach gesinnungsethischer Anforderung alle Fotos auf den Tisch legen. Die Gesinnungsethik gibt klare, unmissverständliche Anweisungen und erlaubt keinerlei Wischiwaschi.

Die Verantwortungsethik hingegen fragt nach den Konsequenzen einer ethisch gebotenen Handlung. Im Fall Folterfotos ist auch für die Verantwortungsethik klar, dass das Gebot lautet: Publik machen! Aber, so fragt diese Ethik weiter, was würde dann passieren? Obamas Antwort lautet, das Ansehen der USA würde weiter sinken, sein Kurs der weltweiten Bemühungen um eine friedlichere Welt würde torpediert, in direkter Konsequenz würde es zu weltweitem Aufruhr kommen, der höchstwahrscheinlich in zusätzliche terroristische Angriffe münden würde, die eine unabsehbare Zahl von Menschen, US-Amerikaner und andere, das Leben kosten würde. Also hält er die Bilder unter Verschluss.

Was ist richtig? Die Gesinnungsethik ist so schön eindeutig ... und so lebensfremd. Gesinnungsethik - das ist beispielsweise das Gebot, immer und unbedingt nicht zu lügen. Nie halbwahre Komplimente machen, keine Notlügen, keine Ausflüchte und den Chef ungeschminkt auf seine Dummheit und Ungerechtigkeit hinweisen. Oder, extremer gesagt, wenn man 1943 einen versteckten Juden im Keller sitzen wüsste, auf entsprechende Fragen der Gestapo wahrheitsgemäß zu antworten ...

Die Verantwortungsethik ist dagegen ein wenig schmuddelig. Sie laviert immer so ein bisschen herum, macht Ausflüchte, lässt Fünfe gerade sein und erlaubt Ungerechtigkeiten. Sie lässt sich auch leicht missbrauchen („Klar verschweige ich meine Affäre, meine frau würde mich verlassen und ewas wäre dann mit den Kindern?“. Aber sie belügt auch die Gestapo und rettet den Juden.

Was ist richtig? Im Falle Folterfotos ist es so, dass die Welt weiß, was die USA getan hat. Sie weiß auch wie es aussieht, was die USA und ihre Unterstützer in Irak, Polen und anderswo getan haben, denn es wurden hunderte von Fotos mit Folterbeweisen veröffentlicht.

Wenn uns jetzt ein paar hundert mehr verborgen bleiben, dann werden sich Presse und NGOs noch bis schätzungsweise nächsten Dienstag darüber aufregen, dann ist die Sache gegessen - gegessen allerdings ohne, dass vergessen würde, dass die USA gefoltert haben. Es wird ja nichts Grundsätzliches vertuscht, sondern nur weitere Details. Dafür bleiben ein paar Dutzend Selbstmordattentäter vielleicht zuhause und eine ganze Reihe Kalaschnikows unbenutzt.

Die Verantwortungsethik ist dem menschlichen Verhalten einfach angemessener als die Gesinnungsethik. Es gibt keine absolute Gerechtigkeit und der Mensch kann mit schonungsloser Offenheit und Wahrheit in sozialen Angelegenheiten nicht leben. Dass die Verantwortungsethik schmuddeliger ist, ist uns ebenfalls angemessen. Wir sind auch alle ein bisschen schmuddelig in unserem ethischen Verhalten, oder?


Nachgewiesen: Geteilte Freud' ist doppelte Freud' ...

Eine über fast 20 Jahre angelegte Studie von James Fowler und Nikolas Christakis mit mehr als 5 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern hat jetzt Beweise dafür erbracht, dass an dem Sprichwort von der geteilten Freude etwas dran sein muss. Es konnte nämlich gezeigt werden, dass Glücklichsein auch ein soziales Phänomen ist, ein Phänomen vor allem, das sich in sozialen Netzwerken wie Familien, Nachbarschaften, Betrieben, Vereinen usw. in der Art einer Grippeinfektion verbreitet.

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Die Studie, ein Nebenprodukt einer Langzeituntersuchung über Herzkrankheiten, die seit 1948 in Massachusetts, USA, durchgeführt wird, konnte zeigen, dass die Empfindung, glücklich zu sein, sich in sozialen Gruppen verbreitet und zwar über bis zu drei Stufen, so dass also ein glücklicher Ehemann einer Kollegin aus dem Sportverein Ihrer Frau, den Sie nie kennenlernen werden, dazu beiträgt, Ihr Leben zu verbessern. Und was noch besser ist, Unglücklichsein verbreitet sich auf diesen sozialen Wegen viel schlechter als Glücklichsein. Das steht in einer vorgestern erschienen Studie des British Medical Journal, deren Text kostenfrei online heruntergeladen werden kann, und zwar hier. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse gibt es bei e-Science-News. Eine deutschsprachige Quelle ist mir leider nicht bekannt.

Die Begründung für die Infektiösität positiver Stimmungen wird von den Forschern im Bereich der Evolutionsbiologie gefunden, das Phänomen wäre also somit genetisch determiniert. Es ist seit langem bekannt, dass es eine biologisch fundierte Anlage zur Empathie, zum Mitfühlen also gibt, die auch soweit geht, dass eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit besteht, sich von den Stimmungen anderer Menschen beeinflussen zu lassen: Dein Lachen ist ansteckend, sagt schon der Volksmund und liegt damit wie so oft richtig. Auch bei Primaten gibt es das Phänomen der „play faces“, der freundlichen Gesichtsausdrücke, die den Zusammenhalt in Affenhorden stärken.

Genauso wie Gelächter und Lächeln dient demnach auch beim Menschen die Empathie dazu, soziale Bande zu stärken. Das ist soweit nichts Neues. Was aber neu ist, ist erstens, dass das im Vergleich zu bloßem Lächeln äußerst komplexe Gefühl des Glücklichseins sozial übertragen wird und dies zweitens über weitere Strecken als von Individuum zu Individuum, nämlich quer durch soziale Netzwerke und über die Grenzen des persönlichen Bekanntseins hinweg. Kaskaden des Glücks sind über Bekanntschaftsgruppen hinweg beobachtbar.

Das ist im Übrigen auch ein in keiner Weise überraschender Befund, auch wenn der Nachweis erst jetzt erstmals gelang. Denn Glücklichsein ist eine ganz wesentliche Bedingung für das gelingende Leben eines mit Bewusstsein und Selbstbewusstsein ausgestatteten Geschöpfes, eines Geschöpfes also, das auch unabhängig von Instinkten sein Leben führen muss. Dass die Evolution eine Übertragbarkeit dieses Zustandes hervorgebracht hat, ist nur eine weitere Ausformung der evolutionstypischen Eigenschaft, alle möglichen Bedingungen für das Überleben zu fördern. Dass sich Unglücklichsein - wenn auch aus noch nicht geklärten Umständen - nicht so gut verbreitet, ist ein weiteres Indiz für die Stichhaltigkeit der Hypothese von der evolutionsbiologischen Herkunft des nachgewiesenen Phänomens.

Ich halte das für einen weiteren Indikator dafür, dass große Teile der oft verteufelten soziobiologischen Annahmen richtig sind (der ‚böse’ Edward Wilson - Sie erinnern sich?), vor allem der Teil, der besagt, dass wir Menschen schon von unserer Biologie her soziale Wesen sind, die einander zur bestmöglichen Entfaltung der Persönlichkeit wie auch des persönlichen Glückes brauchen. Da dies aber nur bei Beachtung ethischer Grundregeln geht - schließlich liegen uns auch negative Emotionen wie Neid, Habgier, Eifersucht inne - sehe ich mich ein weiteres Mal darin bestätigt, die von der Philosophie schon lange für überholt gehaltene Gefühlsethik David Humes zu rehabilitieren.

Das ist das Programm, wie ich es in meiner Dissertation ausführte. Dort schlug ich vor, eine durch rationale und an John Rawls´ Spzialphilosophie orientierte Gesetze eingegrenzte Emotionalität als Richtschnur für das bestmögliche Zusammenleben zur Geltung zu bringen. Der nun vorgelegte Befund über die Verbreitungsweise von Glücklichsein hat zwar direkt nichts mit Ethik zu tun, aber er weist auf den Stellenwert des Glückes für das Überleben selbstbewusster Lebewesen hin.

Dass dieses Glück im hohen Maße durch die soziale Lebensweise in Gruppen gefördert wird und durch diese Lebensweise verstärkt wird, während Unglücklichsein diese Verstärkung nicht erfährt, bedeutet, dass unsoziale Verhaltensweisen wie Egoismus, Rücksichtslosigkeit und sozialpathologische Verhaltensweisen, für das eigentliche Wesen des sozialen Lebewesens Mensch nicht natürlich sind, sondern Auswüchse darstellen, die sich für das Glück und Überleben der Menschen als kontraproduktiv erweisen. Und das ist wiederum ein Befund, der für die Ethik von hoher Relevanz ist.

Eine Ethik, die wie die von mir vorgeschlagene Gefühlsethik beschaffen ist, schafft genau den Raum, der für die Verbreitung des Glücklichseins förderlich ist. Insofern lese ich den Befund aus der Studie von Fowler und Christakis als Bestätigung dafür, mit meiner Ethik auf dem richtigen Weg zu sein.

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Allerdings gibt es keinerlei Erkenntnisse darüber, wie es mit der Verbreitung des Glücklichseins in internetbasierten sozialen Netzwerken wie MySpace, Facebook, Studi- und Schüler VZ oder Xing ist. Da sich in der Studie jedoch zeigte, dass die infektiöse Verbreitung von Gefühlen stark von der Nähe der Menschen zueinander abhängt, glaube ich nicht, dass Computernetzwerke in der Lage sind, Glückscluster in der gleichen Art auszubilden wie Netzwerke auf der Basis persönlichen Kontakts. Da fehlt einfach eine wichtige soziale Komponente, die sich nicht technisch vermittelt erleben lässt, wie ich schon vor über zehn Jahren im Computer Mediated Magazine ausführte.

Zumindest aber sind Computernetzwerke dazu in der Lage, Erstkontakten den Weg zu ebnen und später, wenn man sich im echten Leben kennen und mögen gelernt hat, Kontakte aktuell zu erhalten. Zudem werden die Kontakte über weit auseinander liegende Gruppenzugehörigkeiten hinweg - wie verschiedene Länder, Ethnien und Weltanschauungen - deutlich vereinfacht und schaffen so vorher in dieser Form nicht existierende Berührungspunkte, die sich zu neuen Gruppen und neuen Verbindungen zwischen Gruppen ausbilden können. So gesehen können Computernetzwerke als Keimzellen sozialer Gruppen dienen und später die Aufrechterhaltung von Verbindungen stark vereinfachen. Indirekt dienen sie dann auch dazu, Glück zu verbreiten ...



Der Papst hat Recht, ...

... zumindest teilweise, wenn er fordert, dass Kultur und Gesellschaft Freiheit nicht als Bindungslosigkeit auffassen dürften, sondern sich an Maße, also Normen und Konventionen, halten müssten. So könnte man nämlich seine gestrige Pariser Rede zur Hälfte zusammenfassen.

Die andere Hälfte bestand darin, dass Benedikt XVI. das Maß an Gott und dessen Geboten orientieren will. Ob er darin Recht hat, lässt sich objektiv nicht sagen, auch wenn Benedikt in einem weiteren Argumentationszusammenhang gerade beklagte, dass die westliche Kultur sich zu sehr an Positivismen, also an empirisch nachweisbaren Tatsachen, orientiere. Entschuldigt, liebe Heiligkeit, aber Eure metaphysischen Spekulationen sind leider nur unter bestimmten Glaubensannahmen gültig.

Und wie man sieht, konkurrieren diese mit anderen und werden schnell zum Streitfall, der, gerade jährte sich das schlimmste Beispiels zum siebten Male, auch schnell mit militärischen und terroristischen Mitteln ausgetragen wird. Das rechte Maß ist also notwendig – da habt Ihr völlig recht, Benedikt. Aber warum das rechte Maß nicht woanders her nehmen?

Beispielsweise aus unserem Menschsein. Wir sind doch alle nicht so sehr verschieden, dass wir verschiedene Grundbedürfnisse hätten. Vor allen Dingen sind wir soziale Lebewesen, die einander brauchen und ihre Bedürfnisse recht einfach nach der Goldenen Regel organisieren könnten: Was Du nicht wünschst, dass man Dir tu, das füg´ auch keinem andern zu. Immerhin eine Regel, die so auch in der Bibel steht: Matthäus 7,12.

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Das Problem besteht hauptsächlich darin, dass einige meinen, mit der Verletzung der Regel durchzukommen und dass sie in viel zu vielen Fällen leider damit auch tatsächlich durchkommen. Was uns zu Punkt zwei des menschenwürdigen und erfolgreichen Zusammenlebens führt: ausreichende Sanktionsvorschriften und –mittel gegen die Regelverletzer.

Also: wir wollen unser Ding machen, können dies in hinreichender Sicherheit aber nur, wenn wir uns soweit beschränken, dass wir andere in ihrem Tun nicht verletzen (Goldene Regel). Das gilt für alle Menschen; was heißt, dass die sich zumindest darauf einigen können sollten, dass eine (Welt-)Gesellschaft geschaffen werden sollte, die das erlaubt und garantiert. Letzteres ist angewandter Immanuel Kant und somit nicht gerade neu.

Womit wir zu dem Punkt kommen, wo der Papst nicht mehr recht hat. Er sagte in Paris nämlich auch, dass man sich nicht allein auf die Vernunft verlassen dürfe, sondern auf Gott vertrauen müsse. OK, wenn Gott seinen Job täte (das Theodizeeproblem!), wäre das ja richtig. Aber Gott tut seinen Job nicht, sonst sähe diese Welt nicht so aus, wie sie aussieht, zumindest was die Unschuldigen angeht, die Kinder und deren Leid.

Also ist es so, dass es (a) entweder keinen Gott gibt oder er (b) seinen Job nicht recht tut oder dass er (c) die Welt so geschaffen hat, dass wir doch zusehen müssen, ohne seine Hilfe darin zurecht zu kommen. Und was haben wir dann als Mittel zur Verfügung?

Im Fall (a): die Vernunft. In Fall (b): Appelle an Gott sich zu bessern – bis er das tut, bleibt uns nur ... genau, die Vernunft. In Fall (c): Auch die Vernunft; diesmal sogar als göttlicher Auftrag, denn er gab sie uns als einzige Hilfe für die Existenz in einer defizitären Welt mit auf den Weg. Also, lieber Benedikt, die Vernunft ist doch das einzige, was uns bleibt, wenn wir etwas tun wollen. Glauben und Beten sind rein passive Tätigkeiten, die nichts bewirken werden.

Also lasst uns auch was tun. Beispielsweise uns als Menschen mit gleichen Bedürfnissen zu begreifen und die Goldene Regel beachten sowie dafür sorgen, dass diejenigen Kräfte, die dazu zwingen können, sie einzuhalten, dazu in der Lage sind. Nicht dass das nicht alles schon ausführlich in mindestens einem Buch veröffentlicht wäre: in den Anspruchsvollen Schlüssen beispielsweise.

Prekariat: mein Unwort des Jahres

In Deutschland, wie auch europa- und weltweit, wird eine Armutsdebatte geführt. Das ist erst einmal gut, auch wenn zur Zeit populistische Verführer vom Schlage eines Oskar Lafontaine am meisten davon profitieren. Was aber gar nicht gut ist, ist das Vokabular, das dabei verwandt wird. Hartz IV, Unterschicht und ähnliches sind schon ziemlich schlecht, da sie negative Etiketten auf Menschen kleben (Hartz IV) oder mangelnde Qualität oder sogar einen geringeren Grad an Menschlichkeit suggerieren (UNTERschicht). Besonders mies wird es aber bei diesem neuen, ach so griffigen Begriff „Prekariat“, der Millionen von Menschen plötzlich anhängt. Deshalb ist Prekariat mein Favorit für das Unwort des Jahres, das in etwa zwei Monaten gewählt werden wird.

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Schauen wir uns dieses Wort einmal an. Prekariat ist abgeleitet von prekär, was laut Duden soviel wie „schwierig“ oder „heikel“ heißt. Angehängt wurde dann nur eine von „Proletariat“ entlehnte Nachsilbe. Laut Wikipedia ist „Prekariat ist ein Begriff aus der Soziologie und definiert ‚ungeschützte Arbeitende und Arbeitslose’ als eine neue soziale Gruppierung“. Und wer fällt darunter? Wikipedia weiß: „Betroffen sind einkommensschwache Selbstständige und Angestellte auf Zeit, Praktikanten, auch chronisch Kranke, Alleinerziehende, Zeitarbeitnehmer und Langzeitarbeitslose, aber zunehmend auch in wissenschaftlichen Arbeitsverhältnissen Angestellte: Prekariat definiert keine sozial homogene Gruppierung.“

Okay, das Prekariat sind also Leute ohne, mit geringem oder mit unsicherem Einkommen. Ja, die gibt es. Das ist Sch****, aber es gibt sie, und zwar in viel zu großer Zahl. Und die sind also „schwierig“ und „heikel“ – das ist aber eine schöne Art, Menschen zu charakterisieren ... Denn diese Zuschreibung muss man doch wohl wörtlich nehmen, so wie man im 19. Jahrhundert Proletarier als Sammelbegriff für besitzlose, abhängig Beschäftigte wörtlich meinte, was von „proletarius“ abstammte und die niedrigste Schicht im römischen Volk meinte, die zu nichts anderem gut war, als Kinder zu produzieren, die dann beispielsweise in den Legionen zu dienen hatten, wenn sie nicht gleich versklavt wurden.

Doch „Proletariat“ ist ein Substantiv, das eine Gruppe von Menschen beschrieb, eben die Angehörigen einer besitzlosen Bevölkerungsschicht im alten Rom, die proletarii, und später die Gruppe der abhängig Beschäftigten im 19. Jahrhundert. Proletariat klassifiziert also anhand eines Faktums. Prekariat klassifiziert nicht nur sehr ungenau, wenn man mal auf die heterogene Wikipedia-Definition schaut, sonder es klassifiziert auch anhand einer nicht objektiv haltbaren Zuschreibung, ist prekär doch ein Adjektiv – „heikel“ eben. „Heikel“ und „schwierig“, damit also auch „gefährlich“. Keine substantivisches Faktum, sondern eine subjektive, adjektivische Zuschreibung. Das ist immer auch eine Aussage über angebliche Eigenschaften der so klassifizierten Menschen.

‚Prekarier’ sind „heikel“?

Quatsch, es ist ihre Situation, die heikel ist; prekär zu leben ist aber kein Merkmal der Menschen selbst. „Aus prekären Arbeitsverhältnissen folgen prekäre Existenzweisen“, schreibt Thomas Gross in der „Zeit“. Das stimmt natürlich. Durch das Ankleben des Adjektivs prekär wird die Situation nur noch verschlimmert. Denn unterbewusst eignen sich die Angehörigen der Gruppe der prekär lebenden Menschen diese Zuschreibung mehr oder weniger stark an und verlieren dadurch an Kraft, Selbstvertrauen und Änderungswillen. Und auch die Nichtprekarier übernehmen die heikle Zuschreibung mehr oder weniger bewusst, wollen mit diesen „schwierigen“ und „gefährlichen“ Menschen nichts zu tun haben und wünschen nicht, dass ihre Kinder mit ‚deren’ Schmuddelkindern spielen oder lernen. (Ach wie gut, dass wir ein dreigliedriges Schulsystem haben, da bleiben die Schmuddelkinder unter sich ...).

Ist schon klar: Worunter die vom wirtschaftlichen Erfolg abgehängten Menschen hierzulande leiden, ist sicherlich erst in dritter oder vierter Linie das Wort Prekariat – kein Geld, keine Arbeit; krank, unglücklich und mittlerweile sogar wieder hungrig zu sein, das sind die wahren Probleme. Aber man darf die Macht der Sprache und die Kraft der sich selbst erfüllenden sprachlich verfassten Prophezeiungen nicht unterschätzen.

Deshalb lautet mein Unwort des Jahres 2008: Preka****.



Sterbehilfe? Für mich schon.

Nachdem Herr Kusch durch seine undurchsichtigen Sterbehilfeaktivitäten vom letzten Wochenende die Presse in Aufruf versetzte, hat das, und ein winziges Erlebnis, mich in meiner Position zur Sterbehile bestärkt: Ich nehme mir das Recht heraus, im Bedarfsfall eine solche zu suchen.

Das winzige Erlebnis, das ich hatte, bestand darin, dass ich bei einem Spaziergang mit meinem Sohn an einem Altenpflegeheim vorbeikam, bei dem in einem der ebenerdigen Zimmer das Fenster offen stand und man gut reinsehen konnte. Was ich sah, war ein freundlicher, heller Raum von ca. 4 x 4 Metern Grundfläche. Bett, Tisch, 2 Stühle, Beistelltisch mit Fernseher; alles in hellem Holz, ich nehme an Kiefer. Eine Blumenvase stand auf dem Tisch, alles wirkte sehr sauber. Kurz: Ein netter Eindruck.

Trotzdem verstehe ich die 79jährige Dame sehr gut, die Herrn Kuschs Hilfe in Anspruch nahm. So hübsch das auch aussah: Dort will ich nicht hin! Das ist kein echtes Zuhause, das ist Klinik. Hübsche Klinik, ja, aber ich war 13 Jahre als Krankenpfleger tätig und erkenne ein Patientenzimmer, wenn ich eines sehe. Nee, nicht für mich.

Was sein wird, wenn ich 79 bin, weiß ich nicht. Aber ich glaube nicht, dass ich mich in den nächsten 34 Jahren so verändern werde, dass ich Klinik und den Verlust eines echten Heimes dann in Kauf zu nehmen gewillt bin. Wofür auch? Für weitere drei, vier Jahre? Lohnt nicht. Weitere 20 Jahre, so ich sie denn erlebte? Die Vorstellung ist ja noch schlimmer!

Ich habe noch einiges vor, denke aber, dass ich mich dann irgendwann vor der letzten Reise nur noch ein bisschen ausruhen möchte und dann ist es gut. Aber ich ruhe mich doch nicht da aus. Wohlgemerkt, das ist keine Kritik an Pflegeheimen und Personal, wenn die so hübsch und aufmerksam sind, wie sich das in diesem einen Fall darstellte. Das Thema, das ich mit dieser Bemerkung anspreche, ist das der Autonomie meiner Entscheidungen.

Ich rede auch nicht davon, dass die Hospizbewegung gestärkt werden muss, dass die Palliativmeidzin besser werden muss, dass verdammt nochmal niemand Schmerzen zu leiden haben darf. Das ist alles richtig, wichtig und hilft bald hoffentlich vielen Menschen, dass auch die letzten Jahre schön werden.

Nein, ich rede davon, dass ich die alte Dame gut verstehe, die nicht ins Pflegeheim wollte. Und sei es noch so schön. Wenn ich zu dem Entschluss komme, dass es gut ist, dass ich nicht mehr möchte, dann will ich mein Leben auch auf eine Weise abschließen können, die mir den letzten Schritt leicht macht. Ja: leicht macht! Ich werde es mir schon nicht zu leicht machen, zu dieser Entscheidung zu gelangen. Dann aber will ich keine Hürde mehr vor mir sehen.

Es ist mein Leben. Es ist das einzige, was wirklich mir gehört. Vielleicht ist es auch nur das einzige, was wirklich mir gehören sollte. Dazu gehört, dass ich es aufgebe, wann ich will.

Und ein Gott, der mich nicht aufnimmt, weil Suizid Sünde ist, in dessen Reich will ich gar nicht. Aber ich denke nicht, dass Gott das so streng sieht.

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Artenschutzkonferenz hat fertich ...

... und hat nix gebracht. Naja, einiges schon - an Wissenszuwachs. Die einschlägigen Experten haben die Bedrohungen der Artenvielfalt, der Umwelt und beider Auswirkungen auf den Menschen weiter präzisieren können. Nur: So neu ist das alles nicht und es ist eigentlich an der Zeit, das substanziell etwas gegen Artenschwund und Umweltbelastung getan wird. Dahingehend aber lässt sich zusammenfassen: Es ist nix passiert. Was wohl heißt, dass auch praktisch wiederum ein paar Jahre lang nix passieren wird, außer einer weiteren dramatischen Entwicklung zum Schlechteren.

Woher kommt das? Ich denke, es liegt an der mangelnden Betroffenheit. Nicht einer Betroffenheit im emotional-moralischen Sinn, sondern einer Betroffenheit im ursprünglichen Sinn des Wortes: Es betrifft uns nicht direkt, denn die am Amazonas gefällten Bäume treffen niemanden hier auf den Kopf. Es ist alles zu weit weg. Selbst die die Menschen in Australien, die wegen mangelnden Höhen-Ozons direkt von der Sonne verbrannt werden, lernen nichts daraus, da Hautkrebs anscheinend zu weit von seiner Ursache entfernt entsteht, um Betroffensein erzeugen zu können. Der Mensch, so vermute ich, ist anscheinend emotional nicht in der Lage, angemessen auf mittelbare und langfristige Einwirkungen zu reagieren.

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Wieso emotional? Weil er rein vernünftig betrachtet in vielen Dingen sehr wohl weiß, was ihm passiert. Kognitiv ist unbestritten, dass wir gefährlichsten Raubbau an unserem Planeten und damit an uns, vor allem aber an der Zukunft unserer Kinder betreiben. Trotzdem passiert nichts Substanzielles. Warum? Ees kann im Großen nur eine nichtrationale Ursache dahinter stecken. Denn sicher gibt es zwar einige Egoisten, die rational durchkalkulieren, das weiteres Fehlverhalten ihnen kurz- bis mittelfristige Vorteile bringt und dann gilt, nach mir die Sintflut. Aber den weitaus meisten Menschen liegt das Leben im Allgemeinen, wie auch das der Menschen im Besonderen und das der eigenen Kinder im ganz Besonderen so am Herzen (und im Kopf - Vernunftdenken!), dass das Ergreifen geeigneter Maßnahmen und die Wahl entsprechender politischer Vertreter und Programme ihnen äußerst nahe liegen sollten. Aber das tun wir nicht. Oder zumindest nur so wenige, dass sie keinen Unterschied machen.

Dass wir nicht klüger handeln, obwohl alle Erkenntnis der nötigen Maßnahmen seit den frühen siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts bekannt sind, kann nur mit mangelnder irrationaler Eindrücklichkeit der Gefahren und mit mangelndem Missempfinden der tatsächlichen Situation erklärt werden. Auf einer emotionalen Basis fühlen wir uns anscheinend zu sicher vor der drohenden Gefahr, um in die angemessene Sorge zu verfallen. Eine Sorge, die eben groß genug sein müsste, um Verhaltensänderungen zu bewirken. Da aber einerseits die Entwicklungen in Natur und Umwelt mit einer Behäbigkeit geschehen, die für den ausreichenden Anstieg der Gefahr Jahrzehnte braucht, werden wir die angemessene Menge an Sorge wohl erst entwickeln, wenn uns die Entwicklung Dürre auf den eigenen Feldern und die ganz persönliche Hungersnot bescheren. Und da andererseits die Korrektur von Umweltschädigungen aufgrund der gleichen Behäbigkeit Jahrhunderte und Jahrtausende in Anspruch nehmen wird, ist die Situation wohl ausweglos.

Bleibt also nur, Swimmingpool und 500 PS-Wagen zu genießen, um das Beste aus den letzten Jahrzehnten herauszuholen. Wahrscheinlich wird es ja sogar unseren Kindern bis zu deren vierzigsten oder fünfzigsten Lebensjahren noch einigermaßen gut gehen (obwohl sie mir sehr Leid tun wegen der totalitären Öko-Diktaturen, die sie in den letzten Lebensjahrzehnten werden durchmachen müssen ... von den Enkeln ganz zu schweigen ...).

Und die Natur? Die leidet noch ein paar Jahrhunderte, freut sich aber schon auf die nachfolgenden Homo sapiens-freien Jahrmillionen, wenn dann endlich alles wieder in ein natürliches Gleichgewicht zurückschwingt. Ich wüsste nur zu gern, ob sich nachfolgend entwickelnde Intelligenzwesen klüger verhalten werden, oder ob Intelligenz und Selbstbewusstheit immer so enden.

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Überzeugen Sie mich, dass ich Unrecht habe. Bitte!


Der Dalai Lama in WAT

Nun war der Dalai Lama also sogar in unserem kleinen Städtchen Wattenscheid. Obwohl mir Fandom und Verehrungsgesten fern liegen, habe ich es mir nicht entgehen lassen, mich zu den Schaulustigen zu gesellen, die den Besuch seiner Heiligkeit im Kindergarten St. Nikolaus begleiteten (schade, dass er nicht in dem meines Sohnes war). Aus ca. 30 m Entfernung habe ich ihn dann auch persönlich zu Gesicht bekommen.

Der Eindruck? Nicht viel anders als beim Betrachten eines Fotos, da fehlen mir wohl besondere Sensibilitäten. Interessant aber war, mit welcher Andacht die etwa 500 Menschen draußen auf ihn warteten und wie begeistert, ohne damit zu übertreiben, sie reagierten. Das zeigte mir - wenn auch äußerst indirekt - wie dieser Mann bewegen kann. Wie Charisma, Überzeugung und Spiritualität bewegen können - und sei es durch nicht mehr als durch die kleinste Geste. Der Mensch - animal spirituale ?!

Spannend, einsichtsreich, signifikant ... auch wenn es nur eine so kleine Sache war ....

Der Wert des Lebens

Leben ist wertvoll, mindestens das eigene, sicherlich auch das von Familie und Freunden und für die allermeisten Menschen auch das der Menschen überhaupt und auch das Leben von Tieren und Pflanzen, wenigstens, das des eigenen Hundes, Ponys oder Rosengartens. Das meine ich aber nicht, sondern den Wert des Lebens als konkrete ökonomische Größe. Denn dieser wirtschaftliche Wert ist es, der in der Diskussion um Biodiversität, also der Diskussion über die Vielfalt des Lebens unserer Erde und den Artenschutz, immer stärker ins Spiel gebracht wird; gerade auch jetzt, wo die Artenschutzkonferenz in Bonn ab dem 19. Mai bevorsteht.

Welchen Wert hat das wertvolle Leben aber? Wenn man auf Umweltzerstörung, Waldrodung, 'moderne' Großlandwirtschaft und Urbanisierung schaut, hat es anscheinend keinen ganz so gewaltigen Wert. Aber es ist das uns umgebende Leben, dass unser eigenes, zumindest in der derzeitigen Form erst ermöglicht. Sie mögen Obst? Ohne Bienen keine Bestäubung und kein Obstanbau. Sie legen Wert auf sauberes Wasser? Ohne Schilfauen, Uferböschungen, Auwälder gibt es kein sauberes Wasser, denn Kläranlagen alleine reichen bei weitem nicht. Und wahrscheinlich wollen Sie ja auch essen und atmen ... Der Wert der Natur lässt sich also schon beziffern, etwa durch das Geld, das Sie für die Nahrung aufwenden - ein paar Cent fünfzig für industriell hergestelltes Billigschweinemett, ein paar Euro für hochwertig und artgerecht erzeugtes Fleisch, das aber auch gesünder für Sie ist. Was die Natur an Leistungen zur Verfügung stellt wird mit einem Wert von 33 Billionen Dollar jährlich beziffert (das Bruttoinlandsprodukt der Welt liegt bei 18 Billionen).

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Das ist zwar eine unromantische Betrachtung der Natur, aber so lässt sich andererseits ein Bewusstsein dafür wecken, dass die Umwelt und ihr Schutz gerade im monetären Sinne wertvoll ist. Und es zeigt sich, dass Umweltschutz zwar kostet, aber auch einen Mehrwert bringt. So hängt die Qualität unserer Atemluft entscheidend davon ab, dass in den großen - aber immer kleiner werdenden - Lungen unserer Welt, den Regenwäldern, Sauerstoff produziert und CO2 gebunden wird. Da ist es dann auch konsequent, dass Ecuadors Umweltminister fordert, dass der industrialisierte Norden der Welt dafür zahlt, dass das Land darauf verzichtet, im Regenwald Öl zu fördern und ihn damit zu zerstören.

Das klingt nach Erpressung? Ja, vielleicht; ist es aber nicht. Der ecuadorianische Staat hat gegenüber seinen Bürgern kostenintensive Aufgaben (Bildung, Soziales) zu erfüllen und braucht dafür Geld. Das nimmt er ein, indem er uns saubere Luft verkauft. Ansonsten verkauft Ecuador uns eben Öl und wir machen eben noch zusätzliche 12 oder 18 Monate mit ecuadorianischem Öl weiter wie bisher anstatt uns um die Umwelt und die Zeit nach dem Öl zu kümmern. Es ist unsere Wahl! Und keine Angst, das Geld kommt schon zurück, wenn Ecuador uns wiederum Laptops und Netzwerktechnik abkauft, um seine Bürger mit IT, Bildung und Kommunikationsmitteln zu versorgen (Autos zu exportieren, sollten wir vielleicht nicht anstreben, solange es noch die AudiBMWMercedesPorsche mit ihrem exorbitanten Verbrauch sind). Insgesamt gesehen ist der Tropenwaldschutz zwar teuer, aber immer noch eine der günstigsten Formen des Umweltschutzes.

Natürlich ist bei derartigen Geschäften einiges zu beachten. Etwa das die finanzielle Unterstützung der Regenwaldbesitzerländer keine Diktaturen unterstützen hilft; dass sie nicht dazu führt, dass zuhause weiter die Umwelt übermäßig belastet wird (denn man hat ja jetzt ein gutes Gewissen); dass die Empfängerländer ihren Teil des Handels auch wirklich einhalten usw. Aber Natur und die Biodiversität haben erstens einen bestimmten, auch in Geld messbaren Wert und es ist zweitens möglich, Geld im Erhalt von Leben und Lebensräumen anzulegen, was sich drittens als sinnvolle Investition spätestens für unsere Kinder herausstellen wird und viertens sogar zu einer gerechteren weltweiten Verteilung von Reichtum führt, was fünftens erwiesenermaßen die Welt sicherer macht.

Die Enzyklopädie des Lebens

Am Montag, den 19. Mai beginnt in Bonn die Artenschutzkonferenz der Vereinten Nationen. Es geht um die Bestandsaufnahme der Entwicklung des Lebens auf der Erde in den letzten 20 jahren und in der Zukunft. Denn um die ist es schlecht bestellt, das dauernd Tier- und Pflanzenarten aussterben weiß jedes Kind. Na und?

Was ist eigentlich der Wert der Biodiversität, also des Umstandes, dass das Leben in unterschiedlichen Formen und Arten auftritt? In allererster Linie liegt der Wert möglichst verschiedenartiger Lebensformen darin, dass das Leben dadurch insgesamt auf stabilerer Basis steht, denn Krankheiten sind meist spezialisiert auf bestimmte Lebensformen oder Gruppen von Lebensformen und die unterschiedlichen Arten bestehen gegenüber schädlichen Umwelteinflüssen mal besser, mal schlechter, aber je unterschiedlicher das Leben auftritt desto größer ist sein Chance, Krankheiten und Umweltverschmutzung zu widerstehen. Monokulturen, das haben viele Epidemien gezeigt, gehen sehr leicht unter. Dazu kommt, dass Biodiversität für den Menschen auch in mindestens dreierlei Hinsicht wichtig ist: wir leben von Lebensformen, also ist es besser für uns, wenn es deren mehrere und gesündere gibt; wir lernen von Lebensformen in den Ingenieurs-, Bio-, und Medizinwissenschaften und je mehr da ist, von dem wir lernen können, desto besser ist es für unser Überleben; aber auch der ästhetische Wert intakter Natur für unsere seelische Gesundheit darf nicht unterschätzt werden. Als vierter Punkt wird in jüngerer Zeit auch der ökonomische Wert einer effektiveren Ausnutzung der Biodiversität betont, der dann gegeben ist, wenn aus größerer Vielfalt gewählt werden kann, um vermarktbare Produkte zu entwickeln.

Leider geht der Mensch äußerst effizient gegen die noch bestehende Biodiversifikation vor, indem er die Meere und Länder verschmutzt, urwüchsige Pflanzenwelt im Austausch für Felder und Weiden abholzt und zugunsten des Gewinns nichtorganischer Bodenschätze das Leben verdrängt. Wie reich das Leben (noch) ist, können Sie jetzt nach und nach mitverfolgen, wenn Sie die Website der Encyclopedia of Life (www.eol.org) im Auge behalten. Das hochambitionierte Projekt, das der Insektenforscher, Begründer der Soziobiologie und Umweltexperte Edmund O. Wilson ins Leben gerufen hat, verfolgt das Ziel, alle auf der Erde vorkommenden Lebensformen in einer riesigen Datenbank (Schätzungen gehen von bis zu 100 Millionen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten aus) mit je eigener Seite vorzustellen und zu beschreiben. Derzeit sind 25.000 Tier- und Pflanzenarten beschrieben und für 1 Million weitere liegen Grundinformationen vor; täglich werden es mehr. Ein wertvoller Wissensquell für alle Menschen, die am Leben und seinen Erscheinungsformen interessiert sind!