Literatur

Genre-Grenzen

Vor einer Woche in Worms hatten wir das Thema auch wieder: die Genregrenzen ziwschen Fantasy, Science Fiction, Horror und auch zwischen Phantastik und Realismus.

Es sind schwammige Grenzen und Konsens ist dann immer so eine Sache. Dabei ist es recht einfach mit den Genregrenzen, finde ich, und habe mir deshalb ein paar Gedanken gemacht und einen kleinen (4 Seiten) Aufsatz dazu zu Tastatur gebracht.

Bitte sehr: ...


Fantasy ist ein Menschenrecht ...

... das mag zwar zunächst stutzig machen oder komisch erscheinen, aber ich denke, man sollte dringend wieder einmal drauf hinweisen ... gute 70 Jahre nachdem Tolkien so etwas schon einmal ganz ähnlich formuliert hat.

Deshalb nahm ich den Mythentag im Nibelungenmuseum in Worms zum Anlass, diesen Gedanken einmal auszuformulieren und zu erläutern. Friedhelm Schneidewind, der Conventus Tandaradey und ich waren eingalden, im Mythenlabor zu Halloween einen ganzen Tag mit Lesungen, Vorträgen, Workshops und einem Konzert zu gestalten, und als Einstiegsvortrag schien es mir eine gute Idee zu sein, einmal grundlegend auf den politischen und sozialen Stellenwert von fantasy und der Phantastik im Allgemeinen hinzuweisen. Nun, die Gäste fanden es, glaube ich, auch spannend und einleuchtend.

Ich würde mich freuen, wenn Sie sich die Zeit nähmen, den Gedanken einmal mit mir nachzuvollziehen. Und falls Sie meine Ausführungen über das Wesen der Fantasy kennen, so können Sie auch gleich zum Punkt Römisch 2 runterscrollen, wo die eigentliche politische Argumentation beginnt. Bitte sehr ...

IMG_5503
Nibelungenmuseum Worms

Nachtrag: Der Wormser Zeitung hat es auch gefallen (bis auf Friedhelms Brille): Zeitungsbericht.

Sorgen ums Buch 2 (immer noch: Nee!)

Und wieder berichtet die WAZ über E-Books, diesmal eine Meinung von Frau Gudrun Norbisrath, die ich wegen ihrer klugen Kommentare und Berichte sehr schätze. Schön, dass Frau Norbisrath, im Gegensatz zu Herrn Potthoff vorgestern nicht gleich den Untergang des Abendlandes befürchtet, sondern sogar Chancen in der E-Book-Nutzung sieht. Trotzdem suggeriert auch dieser Artikel, dass E-Books etwas anderes vermittelten als gedruckte Bücher. Denn genau das bedeutet der Verweis auf McLuhan und die Aussage, dass es nicht egal sei, welches Medium "kluge Inhalte vermittelt."

Das ist aber doch egal, zumindest solange die Inhalte eins zu eins vermittelt werden. Also ist es auch egal, ob ich ein E-Book oder ein Buch lese.

Ich liebe Bücher und besitze ziemlich viele. Ich ziehe Bücher E-Books vor. Ich blättere lieber, als Knöpfe zu bedienen. Und ich finde meterlange Regalbretter mit Büchern unheimlich schön. Und ich mag auch das heillose Durcheinander auf meinen Regalen viel lieber als CD-ROM-Stapel:

PICT1987
Manchmal gestalten sich Recherchen schwierig. Wo war noch mal der neue Shippey?


Aber ich kann mit E-Books eben doch genauso gut arbeiten wie mit normalen Büchern. Und wenn der Zugang zu Informationen und Literatur beschleunigt oder erleichtert wird, wie auch Frau Norbisrath vermutet, - gut!

Denn McLuhan hat nichts bei der Betrachtung des Kindle zu suchen (ganz davon ab, dass auch seine „Magischen Kanäle“ nicht der Medienweisheit allerletzter Schluss sind - googeln sie mal „mcluhan“ und „kritik“ ). Worum es bei dem Zitat "Das Medium ist die Aussage" geht, ist, dass jedes Medium durch seine Spezifika eine andere Wirkung erzielt. Tolkiens "Der Herr der Ringe" (HdR) wirkt als Buch anders als als Film oder Hörbuch, oder? Das ist sicherlich richtig, denn beides ist nicht mehr das Buch, sondern seine Interpretation durch Regisseure, Sprecher, Schauspieler usw. Aber der HdR wirkt als Buch nahezu genauso wie als E-Book.

Schauen Sie doch einmal Fotos eines Kindle an. Weiße Seiten, schwarze Buchstaben. Keine Bilder, kein Ton, keine Filme. Das Medium Buch ist in der Zugangsweise gleich dem Medium E-Book. Es ist egal, ob der Text des HdR im E-Book oder im Buch steht. (Ich weiß, dass der Kindle eine „geheime“ Zusatzfunktion hat, Bilder darzustellen - so what?, im Buch stehen keine.)

Man muss, zumindest als Leser, der Entwicklung nicht "offensiv" begegnen. Gelassenheit reicht völlig aus.

Etwas anderes ist das bei den Autoren. Die müssen vor der unbezahlten Verbreitung ihrer Werke geschützt werden. Aber nicht unbedingt vor Folgen einer Buchpreissenkung für E-Books. Die Verlage sparen schließlich auch enorm durch digitale Veröffentlichungen, was die Produktion von Büchern angeht. Es sollte also ein Leichtes sein, die bisherige 5 - 10 %-ige Entlohnung von Autoren auf 10 - 20 % zu erhöhen und so niedrigere Verkaufspreise von E-Books auszugleichen.

Ich glaube, die Kulturpessimisten, die gegen die Medien-Evolution zu Felde ziehen, haben vor allem ein ästhetisches Problem (und evtl. keine Lust, neue Kulturtechniken zu erlernen). Hey, das ist Euer Problem! Ich sehe sehr viel mehr Chancen als Probleme. Ein Beispiel nur: Schulbücher!

Wie viele Eltern haben Probleme, Lehrmaterialien zu finanzieren? An wie vielen Schulen wird mit Büchern von anno tuck gelehrt? Jetzt stellen Sie sich mal ein stabiles E-Book-Lesegerät vor. Das wird halbjährlich vom Schulserver aus mit den neuen Büchern und Arbeitsblättern gefüttert - und fertig. Und weil man mit dem Ding auch nicht daddeln und Filme gucken kann, wird es auch kaum einen Grund geben, das Ding zu rauben (was ein echtes Problem mit Schülerlaptops ist).

PICT1993

Sorgen ums Buch? Nee!

Rolf Potthoff kommentiert heute auf Seite 1 in der WAZ die Diskussion um das E-Book, also die digitalen Bücher und ihre Lesegeräte. Die Diskussion um das E-Book beherrsche die Buchmesse, so Potthoff, und man „flüstere“, dass es die Zukunft des Lesens sei. Das aber sei doch ein entsetzlicher Verlust, denn Lesen sei „eine sinnliche Lust“, die vor dem Kunststoffgehäuse eines Lesegerätes nicht aufkommen könne. Bücher seien zudem Teil der persönlichen Geschichte und, ach, wie schlimm sei es doch, wenn man keines mehr schenkte oder geschenkt bekäme, mit Widmung vom besten Freund oder an die Liebste.

PICT1981

Wäre ein Siegeszug des E-Books aber wirklich so ein großer Kulturbruch? Was macht denn ein Buch aus? Auch ich liebe die gute Aufmachung eines Buches, gebunden natürlich, Fadenheftung, möglichst mit Lesebändchen und vielleicht auch Goldschnitt (obwohl ... der muss nicht sein). Dann der Geruch! Besonders, wenn es nicht gerade frisch aus der Druckerei kommt, sondern schon so manches Jährchen auf dem Buckel hat. Aufschlagen, umblättern und zu lesen beginnen ... „Die Lebenserinnerungen Dieter Bohlens“ - würg!

Sie sehen, was ich meine? Es sind die Worte, die in den Büchern stehen. Die Geschichten, die Meinungen, die Fakten, die Ansichten, die Poesie und ihre Ästhetik. Die werden zwar wunderbar eingerahmt von einem liebevoll hergestellten Buch, aber essentiell ist dieses Drumherum nicht. Ich kann Novalis auch auf dem Kindle genießen und Lovecraft wird mir auch dort angsteinflößend den Rücken hinaufkriechen. Sofern die Technik stimmt, natürlich. Lesen auf meinem PDA ist eine rechte Zumutung mit dem hellen, viel zu kleinen Bildschirm und der hakeligen Bedienung. Aber der Kindle beispielsweise soll ja wie Papier aussehen und ohne Hintergrundbeleuchtung auskommen. Das reicht mir.

Vor die Wahl gestellt, werde ich Novalis und Lovecraft auch weiterhin als Buch lesen. Aber Fachbücher? Wenn ich nur dran denke, wie einfach ich im E-Book kommentieren, verschlagworten und vor allem suchen könnte. Haben Sie schon einmal einen Aufsatz geschrieben, in dem ein Zitat genau passen würde, das aus einem Buch stammt, das Sie vor Jahren gelesen haben? Mir passiert das dauernd und ich suche mich dumm und dusselig, obwohl ich seit Jahren alle meine Bücher mit Anmerkungen vollkritzele und kleine Indizes auf den ersten oder letzten Seiten von Hand anlege. Welch eine Wonne, ein digitales Dokument von der Suchfunktion durchsuchen zu lassen ...

Wird dann das E-Book das ‚echte’ Buch irgendwann verdrängen? Das mag wohl sein, und Sie können mir glauben, dass ich das sehr (!) bedauern würde. Aber ich werde es nicht mehr erleben. Auf Jahrzehnte hinaus wird es gedruckte Bücher auch aller möglichen Neuerscheinungen geben. Sie können als Bücherfreund also ganz getrost weiterhin alle E-Book-Fans bemitleiden. Ihre Kinder und Enkel allerdings ...

Mein Sohn etwa mag durchaus erleben, dass gedruckte Bücher zur Ausnahmepublikationsform werden. Und er wird es wohl auch bedauern, da er bei uns zuhause mit vielen Büchern aufwächst. Aber er wird auch gelernt haben, E-Books als vollkommen alltägliches Handwerkszeug und Lektüremittel zu handhaben. Genauso wie die E-Zeitung, die, ganz wie bei Harry Potter, kleine Filmchen statt Fotografien abbilden wird.

Und die heutigen und kommenden Kinder werden auch gelernt haben, die neuen Kulturtechniken ebenso typisch menschlich anzuwenden wie die alten. Nein, Herr Potthoff, Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen, dass die Widmung an den Freund oder die Geliebte verloren geht. Sie wird nur anders aussehen. Wie? Keine Ahnung! Aber mit Emoticons, Smileys, Lautschriften, Neologismen, ASCII-Art und anderen Dingen gelingt es den heute per Computer und Netzwerken Kommunizierenden gut, das parfümierte Briefpapier von einst zu ersetzen. Man schreibt Liebesbriefe anders, aber man schreibt sie immer noch und wird damit auch nie aufhören.

Wenn dann das Buch einmal ersetzt werden sollte und nichts mehr gedruckt wird, so ist die Zeit halt über die Printtechnik hinweggegangen. Schade, aber nicht wirklich schlimm. Und die, die das erleben, werden diesen Verlust auch nicht so empfinden wie wir, denn sie sind unter ganz anderen Medienbedingungen groß geworden. Wichtig ist, dass die Inhalte erhalten bleiben, dass niemals Platon, Aristoteles, Augustin, Dante, Shakespeare und all die anderen ebenso wie die Gedanken von heute; dass all dies niemals vergessen wird. Ist mir doch egal, ob es in Stein gehauen, auf Papyrus gemalt, auf Papier gedruckt oder auf Festplatten vorliegt - Hauptsache es ist zugänglich.

Nachtrag:
Gerade macht mich Friedhelm Schneidewind netterweise auf einen guten Beitrag von Dennis Scheck im Deutschlandradio aufmerksam, der erstens erklärt was der Kindle ist und kann und zweitens die Untergangsängste des Abendlandes angesichts des digitalen Lesens auch eindrucksvoll relativiert: bitte sehr.