Al Jarreau oder Vom Glück, das die Kunst beschert
Die Stimme dieses Mann
dringt unmittelbar in meine Seele ein - jedesmal,
schon auf dem iPod - und löst dort Glücksgefühle aus,
ganz, als legte er einen Schalter um; es ist fast
unglaublich. Ich unterschreibe jederzeit, dass die
Stimme dieses Mannes „one of the most precious
treasures of this world“ ist.
Andererseits ist diese beglückende Wirkung aber
vielleicht doch ganz gut glaublich, denn ist dieser
unvermittelte Effekt mitten hinein in das
Emotionszentrum nicht das Wesen aller Kunst?
Natürlich nicht jede künstlerische Ausdrucksform bei
jedem Menschen, aber hat nicht jeder von uns
mindestens einen Punkt, wo ihn die Erzeugnisse
menschlicher Kreativität unmittelbar berühren? Das
mag bei der einen eine bestimmte Art von Skulpturen
sein, beim anderen Gemälde, beim dritten Musik, bei
der vierten Buch und Gedicht und bei wieder anderen
Schauspiel, Varieté, Artistik. Und viele von uns
erleben es gleich mehrfach und in verschiedenen
Genres ...
Im Falle der Musik scheinen aber besonders viele
Menschen ‚anfällig‘ für die Wirkungen der Kunst zu
sein. Lange nicht jeder malt oder fotografiert bzw.
sieht sie sich an. Viele lesen nicht. Aber richtige
Musikmuffel gibt es meines Eindrucks nach kaum. Musik
scheint universell zu berühren.
Die Wissenschaft untermauert das übrigens: Unter dem
Titel „Weltsprache Musik“ berichtet
wissenschaft.de, von der überkulturellen
Verständlichkeit von Musik: „Musik ist eine
Sprache, die anscheinend weltweit verstanden wird:
Selbst Angehörige von Naturvölkern, die nie zuvor
Kontakt mit westlicher Musik hatten, können die
emotionalen Anteile darin auf Anhieb
identifizieren.“
Hmm, was sagt uns das? Wohl zuerst, dass wir Menschen
eben doch alle gleich gestrickt sind, egal ob weiß,
gelb, schwarz, rot, Mann, Weib; zumindest in unseren
grundlegenden Anlagen. Denn ob es nun Hiphop oder
Klassik sind, Schlager oder Jazz, die einen berühren,
das ist egal. Rhythmus und Tonlagen kommen an, bei
dem einen dieser Rhythmus, bei dem anderen jener. Bei
mir war es gestern in ganz, ganz hohem Maße der Jazz
von Mr Jarreau ...
Was dabei berührt, sind
Schönheit und eine situationsbedingte Stimmigkeit,
die mit der jeweiligen Stimmung korrespondiert - oder
sie konterkariert -, die man gerade sucht oder zu
meiden versucht. Ästhetik und Emotion - die
Basisparameter der Musik wie der Kunst überhaupt.
Antrieb und Ausdruck der künstlerischen Kreativität.
Losgelöst von einem im Alltäglichen verhafteten,
konkreten „Wozu?“ oder „Um zu ...“ spricht die Kunst
die Seele unmittelbar an. Und erzeugt Glücksgefühle.
Macht glücklich, Heitert auf, Lindert Leid. (Dass sie
andererseits auch negativ verstärken können ist mir
bewusst, aber nicht das, was ich meine.) Und
Negatives ist schon gar nicht das, was der gestrige
Abend in mir ausgelöst hat.
Versuchen Sie es bei Gelegenheit mal mit einer
20-minütigen Interpretation von „Take Five“. Oder mit
einem Galerie- oder Museumsbesuch, gutem Kino, einer
Lesung, dem Zirkus. Nur denken Sie daran, sich
regelmäßig der Kunst auszusetzen! Oder Sie - noch
besser - selbst zu üben. Wir sind nicht nur hier, um
zu essen und zu arbeiten ...
Nachgewiesen: Geteilte Freud' ist doppelte Freud' ...
Die Studie, ein Nebenprodukt einer
Langzeituntersuchung über Herzkrankheiten, die seit
1948 in Massachusetts, USA, durchgeführt wird, konnte
zeigen, dass die Empfindung, glücklich zu sein, sich
in sozialen Gruppen verbreitet und zwar über bis zu
drei Stufen, so dass also ein glücklicher Ehemann
einer Kollegin aus dem Sportverein Ihrer Frau, den
Sie nie kennenlernen werden, dazu beiträgt, Ihr Leben
zu verbessern. Und was noch besser ist,
Unglücklichsein verbreitet sich auf diesen sozialen
Wegen viel schlechter als Glücklichsein. Das steht in
einer vorgestern erschienen Studie des British
Medical Journal, deren Text kostenfrei online
heruntergeladen werden kann, und zwar hier.
Eine Zusammenfassung der Ergebnisse gibt es bei
e-Science-News. Eine
deutschsprachige Quelle ist mir leider nicht
bekannt.
Die Begründung für die Infektiösität positiver
Stimmungen wird von den Forschern im Bereich der
Evolutionsbiologie gefunden, das Phänomen wäre also
somit genetisch determiniert. Es ist seit langem
bekannt, dass es eine biologisch fundierte Anlage zur
Empathie, zum Mitfühlen also gibt, die auch soweit
geht, dass eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit
besteht, sich von den Stimmungen anderer Menschen
beeinflussen zu lassen: Dein Lachen ist ansteckend,
sagt schon der Volksmund und liegt damit wie so oft
richtig. Auch bei Primaten gibt es das Phänomen der
„play faces“, der freundlichen Gesichtsausdrücke, die
den Zusammenhalt in Affenhorden stärken.
Genauso wie Gelächter und Lächeln dient demnach auch
beim Menschen die Empathie dazu, soziale Bande zu
stärken. Das ist soweit nichts Neues. Was aber neu
ist, ist erstens, dass das im Vergleich zu bloßem
Lächeln äußerst komplexe Gefühl des Glücklichseins
sozial übertragen wird und dies zweitens über weitere
Strecken als von Individuum zu Individuum, nämlich
quer durch soziale Netzwerke und über die Grenzen des
persönlichen Bekanntseins hinweg. Kaskaden des Glücks
sind über Bekanntschaftsgruppen hinweg beobachtbar.
Das ist im Übrigen auch ein in keiner Weise
überraschender Befund, auch wenn der Nachweis erst
jetzt erstmals gelang. Denn Glücklichsein ist eine
ganz wesentliche Bedingung für das gelingende Leben
eines mit Bewusstsein und Selbstbewusstsein
ausgestatteten Geschöpfes, eines Geschöpfes also, das
auch unabhängig von Instinkten sein Leben führen
muss. Dass die Evolution eine Übertragbarkeit dieses
Zustandes hervorgebracht hat, ist nur eine weitere
Ausformung der evolutionstypischen Eigenschaft, alle
möglichen Bedingungen für das Überleben zu fördern.
Dass sich Unglücklichsein - wenn auch aus noch nicht
geklärten Umständen - nicht so gut verbreitet, ist
ein weiteres Indiz für die Stichhaltigkeit der
Hypothese von der evolutionsbiologischen Herkunft des
nachgewiesenen Phänomens.
Ich halte das für einen weiteren Indikator dafür,
dass große Teile der oft verteufelten
soziobiologischen Annahmen richtig sind (der ‚böse’
Edward Wilson - Sie erinnern sich?), vor allem der
Teil, der besagt, dass wir Menschen schon von unserer
Biologie her soziale Wesen sind, die einander zur
bestmöglichen Entfaltung der Persönlichkeit wie auch
des persönlichen Glückes brauchen. Da dies aber nur
bei Beachtung ethischer Grundregeln geht -
schließlich liegen uns auch negative Emotionen wie
Neid, Habgier, Eifersucht inne - sehe ich mich ein
weiteres Mal darin bestätigt, die von der Philosophie
schon lange für überholt gehaltene Gefühlsethik David
Humes zu rehabilitieren.
Das ist das Programm, wie ich es in meiner Dissertation
ausführte. Dort schlug ich vor, eine durch
rationale und an John Rawls´ Spzialphilosophie
orientierte Gesetze eingegrenzte Emotionalität als
Richtschnur für das bestmögliche Zusammenleben zur
Geltung zu bringen. Der nun vorgelegte Befund über
die Verbreitungsweise von Glücklichsein hat zwar
direkt nichts mit Ethik zu tun, aber er weist auf
den Stellenwert des Glückes für das Überleben
selbstbewusster Lebewesen hin.
Dass dieses Glück im hohen Maße durch die soziale
Lebensweise in Gruppen gefördert wird und durch diese
Lebensweise verstärkt wird, während Unglücklichsein
diese Verstärkung nicht erfährt, bedeutet, dass
unsoziale Verhaltensweisen wie Egoismus,
Rücksichtslosigkeit und sozialpathologische
Verhaltensweisen, für das eigentliche Wesen des
sozialen Lebewesens Mensch nicht natürlich sind,
sondern Auswüchse darstellen, die sich für das Glück
und Überleben der Menschen als kontraproduktiv
erweisen. Und das ist wiederum ein Befund, der für
die Ethik von hoher Relevanz ist.
Eine Ethik, die wie die von mir vorgeschlagene
Gefühlsethik beschaffen ist, schafft genau den Raum,
der für die Verbreitung des Glücklichseins förderlich
ist. Insofern lese ich den Befund aus der Studie von
Fowler und Christakis als Bestätigung dafür, mit
meiner Ethik auf dem richtigen Weg zu sein.
Allerdings gibt es keinerlei Erkenntnisse darüber,
wie es mit der Verbreitung des Glücklichseins in
internetbasierten sozialen Netzwerken wie MySpace,
Facebook, Studi- und Schüler VZ oder Xing ist. Da
sich in der Studie jedoch zeigte, dass die infektiöse
Verbreitung von Gefühlen stark von der Nähe der
Menschen zueinander abhängt, glaube ich nicht, dass
Computernetzwerke in der Lage sind, Glückscluster in
der gleichen Art auszubilden wie Netzwerke auf der
Basis persönlichen Kontakts. Da fehlt einfach eine
wichtige soziale Komponente, die sich nicht technisch
vermittelt erleben lässt, wie ich schon vor über zehn
Jahren im Computer Mediated
Magazine ausführte.
Zumindest aber sind Computernetzwerke dazu in der
Lage, Erstkontakten den Weg zu ebnen und später, wenn
man sich im echten Leben kennen und mögen gelernt
hat, Kontakte aktuell zu erhalten. Zudem werden die
Kontakte über weit auseinander liegende
Gruppenzugehörigkeiten hinweg - wie verschiedene
Länder, Ethnien und Weltanschauungen - deutlich
vereinfacht und schaffen so vorher in dieser Form
nicht existierende Berührungspunkte, die sich zu
neuen Gruppen und neuen Verbindungen zwischen Gruppen
ausbilden können. So gesehen können Computernetzwerke
als Keimzellen sozialer Gruppen dienen und später die
Aufrechterhaltung von Verbindungen stark
vereinfachen. Indirekt dienen sie dann auch dazu,
Glück zu verbreiten ...