PISA hat fertich, die Politik wird's freuen, denn ...

... die internationale Vergleichsuntersuchung der Bildungsarbeit von Schulen in über 40 Ländern zeigte zum dritten und letzten Mal, dass Bildung in Deutschland, wie in kaum einem anderen Land der Welt, extrem ungerecht vom sozialen Hintergrund der Familien abhängt, aus denen die Kinder kommen. Und das sieht auch in den ‚guten‘ Ländern Sachsen, Thüringen, Bayern nicht anders aus, auch wenn es derzeit im Jubel der einen Bundesländer und dem Wehklagen der anderen unterzugehen droht.

Grund also, sich einmal mit den Ergebnissen an der Quelle, der OECD, zu beschäftigen, statt dem aufgeregten Raunen der Blätter und Blogs zu lauschen, die jeweils im Eigeninteresse stehende Teilergebnisse aufzubauschen geneigt sind.

ruinen
Öffentliche Schule 2011?


Was eine Gesellschaft im Inneren am meisten zusammenhält oder auseinandertreibt, ist die Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit. (Lesen Sie mal (wieder) John Rawls, der ist aktueller denn je.) Dass es nicht gerade gerecht zugeht in unserer Gesellschaft - wenn etwa Milliardäre wie Adolf Merckle wie selbstverständlich Kompensation für verzockte Millionen vom Staat erwarten, normale Pleitiers aber in den Hartz-IV-Abgrund geworfen werden - ist ja bekannt genug und führt jetzt schon wieder zum Erstarken bedenklicher radikaler Kräfte auf beiden Seiten des politischen Spektrums.

Wenn es aber etwas gibt, das noch mehr Empörung auslöst als am eigenen Leib erlittene Ungerechtigkeit, dann ist es wohl Ungerechtigkeit den Kindern gegenüber. Umso besorgniserregender ist der jetzt dreifach von PISA untermauerte Beweis, dass die deutsche Bildungslandschaft vollkommen ungerecht ist, noch dazu in einem Maße, wie es anderswo schlicht nicht anzutreffen ist.

Und das ist jetzt nur der Gerechtigkeitsaspekt. Man muss ja bei PISA auch noch über hunderttausendfach bedrohte Lebenschancen junger Menschen reden; über eine alternde Gesellschaft, die ihren einzigen Rohstoff, menschliches Know how, vergeigt; über eine fragwürdige Prioritätensetzung bei den Staatsausgaben; über den Bildungsföderalismus (ein besonders grausames Stück über lokalpolitische Eitelkeiten) undsoweiterundsofort ...

Ich bin ja dafür, in drei Jahren nochmals nachzubohren und in sechsen, in neunen, in ...


CDU-Dominanz in den Ländern führt zu Bildungspolitik per Wegschauen

Da überlegen die Kultusminister unserer 16 Bundesländer also in seltener Eintracht, die Hauptschulen aus den Leistungsvergleichsmessungen herauszunehmen oder nach eigenen - niedrigen - Standards zu bewerten. Da zeigt sich, wozu die Dominanz der CDU-Landesregierungen bundesweit gut ist, denn Widerstand regt sich nur in ein paar nicht CDU-(mit)regierten Enklaven.

wurm_drin


Der Bildungspolitik, die nach PISA, TIMSS, IGLU usw. auf Erfolge dringend angewiesen ist, wird dies Vorgehen gut zu Gesicht stehen. Sie, liebe Leserinnen und Leser, werden sehen: Auf einmal steht Deutschland viel besser da! Denn dann verschandeln die Ergebnisse der Hauptschulen erstens nicht mehr die Statistik und zweitens werden die Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit auch nicht mehr so impertinent darauf hingewiesen, dass die Bildungspolitik bei dieser Schulform permanent versagt.

Naheliegend wäre ja eigentlich, das mehrgliedrige Schulsystem abzuschaffen - international sind schließlich auch all die Länder erfolgreich, die kein Splitting in verschiedene Schulformen durchführen - und binnendifferenzierende Schulen einzuführen. Aber diese heilige deutsche Kuh werde ich zu Lebzeiten wohl nicht mehr geschlachtet sehen, also bleibt es bei Gymnasium, irgendwelchen Mittelschulformen und der Hauptschule. Einer Hauptschule, die ja auch nicht mehr als defizitär auffällt, wenn sie nicht normal mitgetestet wird, sondern ‚eigene‘ und ‚angepasste‘ Standards erfüllt.

Wenn man schon eine Institution garantieren möchte, die alle Bildungsverlierer zuverlässig sammelt und stigmatisiert (Stigmatisiert? Ja, sicher, versuchen Sie mal mit einem Hauptschulabschluss, egal wie gut, eine Lehrstelle zu bekommen.), so dass sie auf dem normalen Arbeitsmarkt nicht durch ungehörige Teilhabe auffallen, so gelingt das auf diesem Wege mit ziemlicher Sicherheit. Interessierte konservative politische Kreise können sich so auch ihr Weltbild bewahren: Das Bild einer Welt, in der die Schmuddelkinder - frei nach Franz-Josef Degenhardt - keine Möglichkeit haben, mit den Kindern in der Oberstadt zu spielen und dadurch irgendwelchen Schmuddel zu übertragen. So hat dann alles seine Ordnung und ist so ungerecht wie es die Welt halt nun einmal ist. Gottgewollt, sozusagen ...

Dass man sich darüber erbost, wie es die Kommentatorin der WAZ zu Recht tut, zeugt nur von unzeitgemäßer Sozialromantik, oder?