PISA hat fertich, die Politik wird's freuen, denn ...
Grund also, sich einmal mit den Ergebnissen an der Quelle, der OECD, zu beschäftigen, statt dem aufgeregten Raunen der Blätter und Blogs zu lauschen, die jeweils im Eigeninteresse stehende Teilergebnisse aufzubauschen geneigt sind.
Öffentliche Schule
2011?
Was eine Gesellschaft im Inneren am meisten
zusammenhält oder auseinandertreibt, ist die
Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit. (Lesen Sie mal
(wieder) John Rawls, der ist aktueller
denn je.) Dass es nicht gerade gerecht zugeht in
unserer Gesellschaft - wenn etwa Milliardäre wie
Adolf Merckle wie selbstverständlich Kompensation für verzockte
Millionen vom Staat erwarten, normale
Pleitiers aber in den Hartz-IV-Abgrund geworfen
werden - ist ja bekannt genug und führt jetzt
schon wieder zum Erstarken bedenklicher radikaler
Kräfte auf beiden Seiten des politischen
Spektrums.
Wenn es aber etwas gibt, das noch mehr Empörung
auslöst als am eigenen Leib erlittene
Ungerechtigkeit, dann ist es wohl Ungerechtigkeit den
Kindern gegenüber. Umso besorgniserregender ist der
jetzt dreifach von PISA untermauerte Beweis, dass die
deutsche Bildungslandschaft vollkommen ungerecht ist,
noch dazu in einem Maße, wie es anderswo schlicht
nicht anzutreffen ist.
Und das ist jetzt nur der Gerechtigkeitsaspekt. Man
muss ja bei PISA auch noch über hunderttausendfach
bedrohte Lebenschancen junger Menschen reden; über
eine alternde Gesellschaft, die ihren einzigen
Rohstoff, menschliches Know how, vergeigt; über eine
fragwürdige Prioritätensetzung bei den
Staatsausgaben; über den Bildungsföderalismus (ein
besonders grausames Stück über lokalpolitische
Eitelkeiten) undsoweiterundsofort ...
Ich bin ja dafür, in drei Jahren nochmals
nachzubohren und in sechsen, in neunen, in ...
CDU-Dominanz in den Ländern führt zu Bildungspolitik per Wegschauen
Der Bildungspolitik, die nach PISA, TIMSS, IGLU usw.
auf Erfolge dringend angewiesen ist, wird dies
Vorgehen gut zu Gesicht stehen. Sie, liebe Leserinnen
und Leser, werden sehen: Auf einmal steht Deutschland
viel besser da! Denn dann verschandeln die Ergebnisse
der Hauptschulen erstens nicht mehr die Statistik und
zweitens werden die Entscheidungsträger und die
Öffentlichkeit auch nicht mehr so impertinent darauf
hingewiesen, dass die Bildungspolitik bei dieser
Schulform permanent versagt.
Naheliegend wäre ja eigentlich, das mehrgliedrige
Schulsystem abzuschaffen - international sind
schließlich auch all die Länder erfolgreich, die kein
Splitting in verschiedene Schulformen durchführen -
und binnendifferenzierende Schulen einzuführen. Aber
diese heilige deutsche Kuh werde ich zu Lebzeiten
wohl nicht mehr geschlachtet sehen, also bleibt es
bei Gymnasium, irgendwelchen Mittelschulformen und
der Hauptschule. Einer Hauptschule, die ja auch nicht
mehr als defizitär auffällt, wenn sie nicht normal
mitgetestet wird, sondern ‚eigene‘ und ‚angepasste‘
Standards erfüllt.
Wenn man schon eine Institution garantieren möchte,
die alle Bildungsverlierer zuverlässig sammelt und
stigmatisiert (Stigmatisiert? Ja, sicher, versuchen
Sie mal mit einem Hauptschulabschluss, egal wie gut,
eine Lehrstelle zu bekommen.), so dass sie auf dem
normalen Arbeitsmarkt nicht durch ungehörige Teilhabe
auffallen, so gelingt das auf diesem Wege mit
ziemlicher Sicherheit. Interessierte konservative
politische Kreise können sich so auch ihr Weltbild
bewahren: Das Bild einer Welt, in der die
Schmuddelkinder - frei nach Franz-Josef Degenhardt -
keine Möglichkeit haben, mit den Kindern in der
Oberstadt zu spielen und dadurch irgendwelchen
Schmuddel zu übertragen. So hat dann alles seine
Ordnung und ist so ungerecht wie es die Welt halt nun
einmal ist. Gottgewollt, sozusagen ...
Dass man sich darüber erbost, wie es die Kommentatorin der WAZ zu
Recht tut, zeugt nur von unzeitgemäßer
Sozialromantik, oder?