Der Realismus von Hellboy (und Fantasy überhaupt)

Gestern Abend habe ich mir in aller Ruhe zum Zweiten Mal Hellboy II, Die Goldene Armee angeschaut - ein Filme voller skurriler und bizarrer Fantasythemen, wie er irrealer und versponnener nicht sein könnte, sollte man meinen. Doch Hellboy ist nicht nur tolles Popcorn-Kino, sondern hat mich wieder einmal darauf gestoßen, wie realistisch die Phantastik eigentlich ist.

Urs Jenny schrieb im SPIEGEL vor zwei Wochen erst darüber, wie wenig die Fantasy mit der Realität zu tun hat, dass sie dazu dient, uns aus unserer trostlosen echten Welt ins Anderland flüchten zu lassen: „Die Fantasy-Literatur dagegen lockt mit Lebensfülle und satten Farben, mit einer Menagerie von Fabeltieren, mit glutäugigen Vampiren, ätherischen Elfen und drolligen Zwergen.“ Lieber Herr Jenny, die Fantasy arbeitet nur mit exotischen Bildern und Themen, aber sie erzählt doch über nichts anderes als die reale Welt und die echten Menschen!

In Hellboy II gibt es eine wunderbar kitschige Szene, in der sich Teufel und Wassermann voller Liebeskummer betrinken und gemeinsam Barry Manilows „Can´t smile without you“ singen (hier der Song und ein paar Bilder in einem YouTube-Video). Deutlicher kann man wohl kaum ausdrücken, dass all die Fabeltiere, Vampire, Elfen und Zwerge nichts anderes sind als Menschen wie wir. Sicher, oft sind sie reduziert auf einen oder wenige Aspekte - das absolut Böse, Gute, Kluge oder Dumme - aber es sind Menschen. Derartige Reduktionen kennt die realistische Literatur aber gleichermaßen, wenn sie irgendetwas auf den Punkt bringen will.

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Man könnte zwar mäkeln, dass die Fantasy oft den Holzhammer auspackt und ihre Aussagen manchmal mit wenig Subtilität und Finesse trifft oder dass eine Szene wie die genannte wegen ihres Kitsches nicht ‚den‘ Ansprüchen genügt. Aber über Geschmack lässt sich bekanntlich schlecht streiten und ob hunderteseitenlange Deskriptivergüsse, wie in Grass´ Ein weites Feld, der Erzählweisheit letzter Schluss sind, wäre genauso ein möglicher Diskussionsanlass. Die Qualitätsdiskussion ist eine andere.

Aber die Qualitätsfrage ist auch gar nicht die, die im Zusammenhang mit Fantasy üblicherweise zuerst thematisiert wird, sondern die unterstellte Belanglosigkeit des Genres, die aus der Irrealität seiner Themen und Figuren abgeleitet wird: Die Beschäftigung mit den Welten von Magie und Drachen lohnt nicht, weil es diese nicht gibt, wir also nichts von ihnen lernen können. Schwachsinn!

Wovon sollen denn bitte die Schriftsteller und Regisseure der Fantasy erzählen, wenn nicht von der Realität? Fantasymotive sind nichts anderes als die Verfremdung und Fokussierung menschlicher, realweltlicher Themen. Das Spiel mit Legende, Mythos und Phantasie dient dazu, durchzudeklinieren, was die Künstler und ihr Publikum bewegt. Oder, wie es die wunderbare Ursula Le Guin formuliert: „Realismus ist vielleicht das am wenigsten geeignete Mittel um unsere unglaubliche Realität zu verstehen oder darzustellen. Ein Wissenschaftler, der im Labor ein Monster erschafft; ein Bibliothekar in der Bibliothek von Babel; ein Zauberer, der daran scheitert, einen Zauberspruch zu wirken; ein Raumschiff in Schwierigkeiten auf seiner Reise nach Alpha Centauri: All dies sind präzise und grundlegende Metaphern der Bedingungen der menschlichen Existenz.“

Man muss nur für die kurzen Augenblicke von Lektüre und Filmgenuss den Unglauben aussetzen lassen, dann lernt man von der Phantastik nicht weniger als in der Philosophievorlesung.

“Can´t smile without you ...“

Ach ja, noch etwas: Del Toro drehte Hellboy I und II, vor allem aber Pans Labyrinth - ich glaube, da können wir uns bei der Verfilmung von Der Hobbit auf etwas Besonderes freuen ...