Pädagogik

Schulpolitik in NRW besinnt sich - gut!

Erst wollte ich ja voller bösartigen Lachens losbrüllen, als ich heute morgen las, dass die Regierung in NRW auf einmal dafür plädiert, Kinder schulisch doch nicht so unter Druck zu setzen und ihre Schullaufbahn mit „mehr Gelassenheit“ zu verfolgen. Aber jetzt freue ich mich doch, dass ein wenig Einsicht eingekehrt ist und lasse die Häme mal - weitgehend - außen vor.

Denn wer sagt denn da solche klugen Dinge? Die Regierung, die hier das Turbo-Abitur und eine allgemein dermaßen starke Straffung der Lehrpläne angeordnet hat, dass seitdem die Schulkinder in NRW einem außerordentlichen Lernstress ausgesetzt sind, der zu mittlerweile massiven Elternprotesten auch unserer leistungsbewussten Bevölkerungskreise führt. Und jetzt erkennen die gleichen Leute, dass ein ‚fit für den Arbeitsmarkt im Grundschulalter’ doch nicht der Bildungsweisheit letzter Schluss ist.

Gut - besser spät als nie! Und hoffentlich aus Überzeugung, und nicht nur weil in einem knappen Jahr Landtagswahlen sind. Verstehen Sie mich nicht falsch - ich bin schon davon überzeugt, dass Kindern viel lernen sollten und dass sie ein möglichst breites Wissensrüstzeug für ihr Leben brauchen. Aber ich weiß auch wie Lernen funktioniert. Lernen funktioniert gerade bei Kindern ganz hervorragend, wenn sie nur dazu angeregt werden, denn Kinder wollen prinzipiell immer alles wissen. Damit hören sie aber in dem Augenblick auf, wo ihnen das Lernen Angst macht.

Unlust und Unbehagen sind noch gar nicht die Punkte. Auch Kinder haben auf manche Dinge an manchen Tagen keinen Bock und wollen auch einmal die ‚mathematischen‘ Grundlagen des Dividierens und Multiplizierens nicht lernen. Aber sie kommen leicht darüber hinweg und lernen dann doch. Nur wenn sie Angst bekommen, dann machen sie zu. Genau wie wir Großen. Und Angst vor der nächsten Hausaufgabe oder Klassenarbeit entsteht genau dann, wenn sie unter Lernstress gesetzt werden durch beständige Prüfungen, die ungerechte Verteilung auf verschiedene Schulformen, den Primat eines wirtschaftskonformen Lebenslaufes im Alter von nicht einmal 15 Jahren usw.

Überhaupt: Anforderungen an einen ‚Lebenslauf’ als Teenager, aufgehängt an Betragens- und Schulnoten ... so erzieht man keine mündigen Bürgerinnen und Bürger. Also ist der NRW-Landesregierung nur beizupflichten, dass es wichtig ist, vieles an Druck aus der schulischen Ausbildung zu nehmen. Zuhause, in der Schule - aber auch im Ministerium, Frau Sommer.


CDU-Dominanz in den Ländern führt zu Bildungspolitik per Wegschauen

Da überlegen die Kultusminister unserer 16 Bundesländer also in seltener Eintracht, die Hauptschulen aus den Leistungsvergleichsmessungen herauszunehmen oder nach eigenen - niedrigen - Standards zu bewerten. Da zeigt sich, wozu die Dominanz der CDU-Landesregierungen bundesweit gut ist, denn Widerstand regt sich nur in ein paar nicht CDU-(mit)regierten Enklaven.

wurm_drin


Der Bildungspolitik, die nach PISA, TIMSS, IGLU usw. auf Erfolge dringend angewiesen ist, wird dies Vorgehen gut zu Gesicht stehen. Sie, liebe Leserinnen und Leser, werden sehen: Auf einmal steht Deutschland viel besser da! Denn dann verschandeln die Ergebnisse der Hauptschulen erstens nicht mehr die Statistik und zweitens werden die Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit auch nicht mehr so impertinent darauf hingewiesen, dass die Bildungspolitik bei dieser Schulform permanent versagt.

Naheliegend wäre ja eigentlich, das mehrgliedrige Schulsystem abzuschaffen - international sind schließlich auch all die Länder erfolgreich, die kein Splitting in verschiedene Schulformen durchführen - und binnendifferenzierende Schulen einzuführen. Aber diese heilige deutsche Kuh werde ich zu Lebzeiten wohl nicht mehr geschlachtet sehen, also bleibt es bei Gymnasium, irgendwelchen Mittelschulformen und der Hauptschule. Einer Hauptschule, die ja auch nicht mehr als defizitär auffällt, wenn sie nicht normal mitgetestet wird, sondern ‚eigene‘ und ‚angepasste‘ Standards erfüllt.

Wenn man schon eine Institution garantieren möchte, die alle Bildungsverlierer zuverlässig sammelt und stigmatisiert (Stigmatisiert? Ja, sicher, versuchen Sie mal mit einem Hauptschulabschluss, egal wie gut, eine Lehrstelle zu bekommen.), so dass sie auf dem normalen Arbeitsmarkt nicht durch ungehörige Teilhabe auffallen, so gelingt das auf diesem Wege mit ziemlicher Sicherheit. Interessierte konservative politische Kreise können sich so auch ihr Weltbild bewahren: Das Bild einer Welt, in der die Schmuddelkinder - frei nach Franz-Josef Degenhardt - keine Möglichkeit haben, mit den Kindern in der Oberstadt zu spielen und dadurch irgendwelchen Schmuddel zu übertragen. So hat dann alles seine Ordnung und ist so ungerecht wie es die Welt halt nun einmal ist. Gottgewollt, sozusagen ...

Dass man sich darüber erbost, wie es die Kommentatorin der WAZ zu Recht tut, zeugt nur von unzeitgemäßer Sozialromantik, oder?


Skandalöses Schüler-Lotto ...

... so überschreibt Spiegel Online einen ersten Bericht über die Ergebnisse einer vollständigen Untersuchung aller Wiesbadener Grundschulen. Spiegel Online findet da ein paar sehr passende Worte und Zitate, was die Empfehlungen für den weiteren Schulbesuch, Gymnasium, Realschule oder Hauptschule, angeht:

„Lehrer lassen arme Kinder zu selten ans Gymnasium.“
„Die Unterschichtsbremse für die Oberschulen greift höchst zuverlässig.“
„Aufs Gymnasium schaffen es in erster Linie die Privilegierten, nämlich Kinder gut betuchter Akademiker. Schüler aus einer niedrigen sozialen Schicht haben weitaus schlechtere Karten beim Schulübergang. Und zwar auch bei gleicher Leistung.“
„‚Vor allem die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht hat Auswirkungen auf die Schulnoten der Kinder und auf den Bildungswunsch der Eltern’, sagte Stefan Hradil, Soziologe und Leiter der Untersuchung.“
„‚Neu ist, dass Lehrer offensichtlich schicht- und ethnienspezifische Empfehlungen aussprechen.’“
„Bei gleich guter Schulnote (2,0) erhielten nur drei von vier Kindern aus der niedrigsten Einkommens- und Bildungsgruppe eine Empfehlung für die höchste Schulausbildung. Dagegen sollten von den Kindern mit wohlhabenden und gebildeten Eltern 97 Prozent aufs Gymnasium - so gut wie alle also.“
„‚In der Oberschicht kommt eine Hauptschulempfehlung nahezu nicht mehr vor’, notierten die Forscher.“

Noch Fragen?

Ach so - Sie wollen wissen, was man tun kann?

Na, das dreigliedrige Schulsystem abschaffen und damit auf die Verurteilung hunderttausender 10-Jähriger zu lebenslanger Benachteiligung verzichten natürlich!