Was uns in der Krise wirklich fehlt ...
„An den vielen blöden Vorschlägen aus Politik und Wirtschaftslobby [zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise] kann man seh´n, wat wir heute wirklich brauchen: Bildung!“
In diesem Sinne ...
Bildungsfinanzbericht 2008 - traurig, traurig ...
Ja, stimmt schon. Von beschämend niedrigem Niveau
stiegen die Ausgaben auf viel zu niedriges Niveau.
Denn die wichtigere Zahl ist der Anteil der
Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) und
dieser Anteil ist gesunken (vgl. S. 15). Das stellt
nämlich in aller Deutlichkeit heraus, dass das
deutsche Bildungsbudget klar hinter der
gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zurückliegt.
Das ist aber für ein Land, das zunehmenden
Fachkräftemangel erwartet, dass mangels anderer
Rohstoffe vor allem auf sein ‚Humankapital’ (was für
ein Wort) setzt und dass enorme politische Probleme
kriegen wird, wenn der Lebensstandard, der in hohem
Maße von der Bildung und Ausbildung seiner
Bürgerinnen und Bürger abhängt, nennenswert sinkt,
eine Entwicklung, die Politiker wohl „nicht
hinnehmbar“ nennen würden - wenn nicht ein sehr
großer in großen und kleineren Koalitionen
versammelter Teil von ihnen an dieser Entwicklung
aktiven Anteil hätte ...
Schade, dass dieser Befund auch wieder ohne Beachtung
und Konsequenzen untergehen wird ...
Schulpolitik in NRW besinnt sich - gut!
Denn wer sagt denn da solche klugen Dinge? Die Regierung, die hier das Turbo-Abitur und eine allgemein dermaßen starke Straffung der Lehrpläne angeordnet hat, dass seitdem die Schulkinder in NRW einem außerordentlichen Lernstress ausgesetzt sind, der zu mittlerweile massiven Elternprotesten auch unserer leistungsbewussten Bevölkerungskreise führt. Und jetzt erkennen die gleichen Leute, dass ein ‚fit für den Arbeitsmarkt im Grundschulalter’ doch nicht der Bildungsweisheit letzter Schluss ist.
Gut - besser spät als nie! Und hoffentlich aus Überzeugung, und nicht nur weil in einem knappen Jahr Landtagswahlen sind. Verstehen Sie mich nicht falsch - ich bin schon davon überzeugt, dass Kindern viel lernen sollten und dass sie ein möglichst breites Wissensrüstzeug für ihr Leben brauchen. Aber ich weiß auch wie Lernen funktioniert. Lernen funktioniert gerade bei Kindern ganz hervorragend, wenn sie nur dazu angeregt werden, denn Kinder wollen prinzipiell immer alles wissen. Damit hören sie aber in dem Augenblick auf, wo ihnen das Lernen Angst macht.
Unlust und Unbehagen sind noch gar nicht die Punkte. Auch Kinder haben auf manche Dinge an manchen Tagen keinen Bock und wollen auch einmal die ‚mathematischen‘ Grundlagen des Dividierens und Multiplizierens nicht lernen. Aber sie kommen leicht darüber hinweg und lernen dann doch. Nur wenn sie Angst bekommen, dann machen sie zu. Genau wie wir Großen. Und Angst vor der nächsten Hausaufgabe oder Klassenarbeit entsteht genau dann, wenn sie unter Lernstress gesetzt werden durch beständige Prüfungen, die ungerechte Verteilung auf verschiedene Schulformen, den Primat eines wirtschaftskonformen Lebenslaufes im Alter von nicht einmal 15 Jahren usw.
Überhaupt: Anforderungen an einen ‚Lebenslauf’ als Teenager, aufgehängt an Betragens- und Schulnoten ... so erzieht man keine mündigen Bürgerinnen und Bürger. Also ist der NRW-Landesregierung nur beizupflichten, dass es wichtig ist, vieles an Druck aus der schulischen Ausbildung zu nehmen. Zuhause, in der Schule - aber auch im Ministerium, Frau Sommer.
PISA hat fertich, die Politik wird's freuen, denn ...
Grund also, sich einmal mit den Ergebnissen an der Quelle, der OECD, zu beschäftigen, statt dem aufgeregten Raunen der Blätter und Blogs zu lauschen, die jeweils im Eigeninteresse stehende Teilergebnisse aufzubauschen geneigt sind.
Öffentliche Schule
2011?
Was eine Gesellschaft im Inneren am meisten
zusammenhält oder auseinandertreibt, ist die
Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit. (Lesen Sie mal
(wieder) John Rawls, der ist aktueller
denn je.) Dass es nicht gerade gerecht zugeht in
unserer Gesellschaft - wenn etwa Milliardäre wie
Adolf Merckle wie selbstverständlich Kompensation für verzockte
Millionen vom Staat erwarten, normale
Pleitiers aber in den Hartz-IV-Abgrund geworfen
werden - ist ja bekannt genug und führt jetzt
schon wieder zum Erstarken bedenklicher radikaler
Kräfte auf beiden Seiten des politischen
Spektrums.
Wenn es aber etwas gibt, das noch mehr Empörung
auslöst als am eigenen Leib erlittene
Ungerechtigkeit, dann ist es wohl Ungerechtigkeit den
Kindern gegenüber. Umso besorgniserregender ist der
jetzt dreifach von PISA untermauerte Beweis, dass die
deutsche Bildungslandschaft vollkommen ungerecht ist,
noch dazu in einem Maße, wie es anderswo schlicht
nicht anzutreffen ist.
Und das ist jetzt nur der Gerechtigkeitsaspekt. Man
muss ja bei PISA auch noch über hunderttausendfach
bedrohte Lebenschancen junger Menschen reden; über
eine alternde Gesellschaft, die ihren einzigen
Rohstoff, menschliches Know how, vergeigt; über eine
fragwürdige Prioritätensetzung bei den
Staatsausgaben; über den Bildungsföderalismus (ein
besonders grausames Stück über lokalpolitische
Eitelkeiten) undsoweiterundsofort ...
Ich bin ja dafür, in drei Jahren nochmals
nachzubohren und in sechsen, in neunen, in ...
CDU-Dominanz in den Ländern führt zu Bildungspolitik per Wegschauen
Der Bildungspolitik, die nach PISA, TIMSS, IGLU usw.
auf Erfolge dringend angewiesen ist, wird dies
Vorgehen gut zu Gesicht stehen. Sie, liebe Leserinnen
und Leser, werden sehen: Auf einmal steht Deutschland
viel besser da! Denn dann verschandeln die Ergebnisse
der Hauptschulen erstens nicht mehr die Statistik und
zweitens werden die Entscheidungsträger und die
Öffentlichkeit auch nicht mehr so impertinent darauf
hingewiesen, dass die Bildungspolitik bei dieser
Schulform permanent versagt.
Naheliegend wäre ja eigentlich, das mehrgliedrige
Schulsystem abzuschaffen - international sind
schließlich auch all die Länder erfolgreich, die kein
Splitting in verschiedene Schulformen durchführen -
und binnendifferenzierende Schulen einzuführen. Aber
diese heilige deutsche Kuh werde ich zu Lebzeiten
wohl nicht mehr geschlachtet sehen, also bleibt es
bei Gymnasium, irgendwelchen Mittelschulformen und
der Hauptschule. Einer Hauptschule, die ja auch nicht
mehr als defizitär auffällt, wenn sie nicht normal
mitgetestet wird, sondern ‚eigene‘ und ‚angepasste‘
Standards erfüllt.
Wenn man schon eine Institution garantieren möchte,
die alle Bildungsverlierer zuverlässig sammelt und
stigmatisiert (Stigmatisiert? Ja, sicher, versuchen
Sie mal mit einem Hauptschulabschluss, egal wie gut,
eine Lehrstelle zu bekommen.), so dass sie auf dem
normalen Arbeitsmarkt nicht durch ungehörige Teilhabe
auffallen, so gelingt das auf diesem Wege mit
ziemlicher Sicherheit. Interessierte konservative
politische Kreise können sich so auch ihr Weltbild
bewahren: Das Bild einer Welt, in der die
Schmuddelkinder - frei nach Franz-Josef Degenhardt -
keine Möglichkeit haben, mit den Kindern in der
Oberstadt zu spielen und dadurch irgendwelchen
Schmuddel zu übertragen. So hat dann alles seine
Ordnung und ist so ungerecht wie es die Welt halt nun
einmal ist. Gottgewollt, sozusagen ...
Dass man sich darüber erbost, wie es die Kommentatorin der WAZ zu
Recht tut, zeugt nur von unzeitgemäßer
Sozialromantik, oder?
Skandalöses Schüler-Lotto ...
„Lehrer lassen arme Kinder zu selten ans Gymnasium.“
„Die Unterschichtsbremse für die Oberschulen greift höchst zuverlässig.“
„Aufs Gymnasium schaffen es in erster Linie die Privilegierten, nämlich Kinder gut betuchter Akademiker. Schüler aus einer niedrigen sozialen Schicht haben weitaus schlechtere Karten beim Schulübergang. Und zwar auch bei gleicher Leistung.“
„‚Vor allem die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht hat Auswirkungen auf die Schulnoten der Kinder und auf den Bildungswunsch der Eltern’, sagte Stefan Hradil, Soziologe und Leiter der Untersuchung.“
„‚Neu ist, dass Lehrer offensichtlich schicht- und ethnienspezifische Empfehlungen aussprechen.’“
„Bei gleich guter Schulnote (2,0) erhielten nur drei von vier Kindern aus der niedrigsten Einkommens- und Bildungsgruppe eine Empfehlung für die höchste Schulausbildung. Dagegen sollten von den Kindern mit wohlhabenden und gebildeten Eltern 97 Prozent aufs Gymnasium - so gut wie alle also.“
„‚In der Oberschicht kommt eine Hauptschulempfehlung nahezu nicht mehr vor’, notierten die Forscher.“
Noch Fragen?
Ach so - Sie wollen wissen, was man tun kann?
Na, das dreigliedrige Schulsystem abschaffen und damit auf die Verurteilung hunderttausender 10-Jähriger zu lebenslanger Benachteiligung verzichten natürlich!
Die Patientin Universität röchelt jetzt ziemlich ...
Der Uni geht es auch immer schlechter. Ich rede dabei gar nicht von Bachelor- und Masterstudiengängen - die haben zwar den Humboldtschen Bildungsgedanken gekillt, aber für den sind wir Menschen anscheinend eh nicht ausreichend gerüstet. Nee, es scheint viel mehr so zu sein, dass die Verschulung des Studiums einem ganz großen Teil der Studierenden entgegen kommt. Da wird man wenigstens noch bis Mitte Zwanzig ans Händchen genommen und durch das Leben geführt und den späteren Arbeitgebern ist es auch lieber, wenn die neuen Akademiker nicht allzu eigenständig denken und fragen gelernt haben.
Nein, die Patientin röchelt immer stärker wegen der Sparmaßnahmen, die ihr die Luft abdrehen. Wie heute in unserem Käseblättchen plötzlich und voller Sorge zu lesen ist, geht es den Geisteswissenschaften an den Kragen. Schön, dass das mal jemand merkt. Gefördert wird nur noch, was effizient ist, und Orchideenfächer wie Byzantinistik, Ägyptologie, Geschichtswissenschaften, Philosophie, die Lehrerausbildung und ähnlich abseitige Wissensgebiete werden zusammengestrichen. Bringen ja keine Drittmittel ... oder outsourcbare Start ups ... oder Ruhm und Ehre.
Schade - und das nicht nur aus melancholischen Gründen, wie dem, das uns Menschen die Philosophie einst das Denken und Verstehen lehrte. (Zumindest soweit man gewillt war, sich aufs Verstehen einzulassen.) Schade also? Ja! Denn, es ist doch nicht so, dass wir nun verstanden hätten und sie nicht mehr bräuchten. Oder glauben Sie, dass es derzeit ein ausreichendes Maß an Vernünftigkeit und Empathie in der Welt gäbe? Und wie sollen die Kommenden lernen, zu verstehen? Oder zu hinterfragen? Oder zu urteilen? Und wer kann entscheiden, ohne sinnvoll und kritisch geurteilt zu haben? Schade, dass die Wolkenkuckucksheime der Geisteswissenschaften aussterben ...
Sehe ich da hinten in der
letzten Reihe einen Ingenieur grinsen? Ja, noch haben
Sie gut lachen und sind heißbegehrt. Aber warten Sie
erst einmal ab, bis sich die Controller nach getaner
Meuchelei in den Geisteswissenschaften an die
naturwissenschaftliche Grundlagenforschung machen.
Ferne Galaxien beobachten? Die Gravitationswellen
oder Higgs-Teilchen nachweisen? Das ist genauso
brotlose Kunst wie die Philosophie. Nur werden euch
Ingenieuren dann ganz schnell die Grundlagen für eure
Erfindungen und den Fortschritt ausgehen.
Bleiben die Wirtschaftler und Juristen. Ich hoffe ihr
werdet reich damit, euch gegenseitig Businesspläne
aufzustellen ... schon da mit ihr uns Philosophinnen
und Lehrer, Historikerinnen und Linguisten als
Hauspersonal, Gärtner und Chauffeure beschäftigen
könnt ... wir geben euren Kindern dann beim
Babysitten auch schon mal den einen oder anderen Tipp
für ein gelingendes Leben ... versprochen!