Was uns in der Krise wirklich fehlt ...

... das haben heute die Kabarettisten Jürgen Becker und Didi Jünnemann in der Frühstückspause auf WDR2 genial auf den Punkt gebracht. Deshalb heute mal nix von mir, sondern O-Ton der Herren Becker und Jünnemann:

„An den vielen blöden Vorschlägen aus Politik und Wirtschaftslobby [zur Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise] kann man seh´n, wat wir heute wirklich brauchen: Bildung!“

In diesem Sinne ...

Bildungsfinanzbericht 2008 - traurig, traurig ...

Gerade wurde der Bildungsfinanzbericht 2008 veröffentlicht. Ganz frisch und deshalb noch ohne Kommentar von selbstbeweihräuchernder Politikerseite, die sicher hervorheben wird, dass die Bildungsausgaben seit 2005 bundesweit deutlich anstiegen.

wurm_drin


Ja, stimmt schon. Von beschämend niedrigem Niveau stiegen die Ausgaben auf viel zu niedriges Niveau. Denn die wichtigere Zahl ist der Anteil der Bildungsausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) und dieser Anteil ist gesunken (vgl. S. 15). Das stellt nämlich in aller Deutlichkeit heraus, dass das deutsche Bildungsbudget klar hinter der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung zurückliegt.

Das ist aber für ein Land, das zunehmenden Fachkräftemangel erwartet, dass mangels anderer Rohstoffe vor allem auf sein ‚Humankapital’ (was für ein Wort) setzt und dass enorme politische Probleme kriegen wird, wenn der Lebensstandard, der in hohem Maße von der Bildung und Ausbildung seiner Bürgerinnen und Bürger abhängt, nennenswert sinkt, eine Entwicklung, die Politiker wohl „nicht hinnehmbar“ nennen würden - wenn nicht ein sehr großer in großen und kleineren Koalitionen versammelter Teil von ihnen an dieser Entwicklung aktiven Anteil hätte ...

Schade, dass dieser Befund auch wieder ohne Beachtung und Konsequenzen untergehen wird ...

Schulpolitik in NRW besinnt sich - gut!

Erst wollte ich ja voller bösartigen Lachens losbrüllen, als ich heute morgen las, dass die Regierung in NRW auf einmal dafür plädiert, Kinder schulisch doch nicht so unter Druck zu setzen und ihre Schullaufbahn mit „mehr Gelassenheit“ zu verfolgen. Aber jetzt freue ich mich doch, dass ein wenig Einsicht eingekehrt ist und lasse die Häme mal - weitgehend - außen vor.

Denn wer sagt denn da solche klugen Dinge? Die Regierung, die hier das Turbo-Abitur und eine allgemein dermaßen starke Straffung der Lehrpläne angeordnet hat, dass seitdem die Schulkinder in NRW einem außerordentlichen Lernstress ausgesetzt sind, der zu mittlerweile massiven Elternprotesten auch unserer leistungsbewussten Bevölkerungskreise führt. Und jetzt erkennen die gleichen Leute, dass ein ‚fit für den Arbeitsmarkt im Grundschulalter’ doch nicht der Bildungsweisheit letzter Schluss ist.

Gut - besser spät als nie! Und hoffentlich aus Überzeugung, und nicht nur weil in einem knappen Jahr Landtagswahlen sind. Verstehen Sie mich nicht falsch - ich bin schon davon überzeugt, dass Kindern viel lernen sollten und dass sie ein möglichst breites Wissensrüstzeug für ihr Leben brauchen. Aber ich weiß auch wie Lernen funktioniert. Lernen funktioniert gerade bei Kindern ganz hervorragend, wenn sie nur dazu angeregt werden, denn Kinder wollen prinzipiell immer alles wissen. Damit hören sie aber in dem Augenblick auf, wo ihnen das Lernen Angst macht.

Unlust und Unbehagen sind noch gar nicht die Punkte. Auch Kinder haben auf manche Dinge an manchen Tagen keinen Bock und wollen auch einmal die ‚mathematischen‘ Grundlagen des Dividierens und Multiplizierens nicht lernen. Aber sie kommen leicht darüber hinweg und lernen dann doch. Nur wenn sie Angst bekommen, dann machen sie zu. Genau wie wir Großen. Und Angst vor der nächsten Hausaufgabe oder Klassenarbeit entsteht genau dann, wenn sie unter Lernstress gesetzt werden durch beständige Prüfungen, die ungerechte Verteilung auf verschiedene Schulformen, den Primat eines wirtschaftskonformen Lebenslaufes im Alter von nicht einmal 15 Jahren usw.

Überhaupt: Anforderungen an einen ‚Lebenslauf’ als Teenager, aufgehängt an Betragens- und Schulnoten ... so erzieht man keine mündigen Bürgerinnen und Bürger. Also ist der NRW-Landesregierung nur beizupflichten, dass es wichtig ist, vieles an Druck aus der schulischen Ausbildung zu nehmen. Zuhause, in der Schule - aber auch im Ministerium, Frau Sommer.


PISA hat fertich, die Politik wird's freuen, denn ...

... die internationale Vergleichsuntersuchung der Bildungsarbeit von Schulen in über 40 Ländern zeigte zum dritten und letzten Mal, dass Bildung in Deutschland, wie in kaum einem anderen Land der Welt, extrem ungerecht vom sozialen Hintergrund der Familien abhängt, aus denen die Kinder kommen. Und das sieht auch in den ‚guten‘ Ländern Sachsen, Thüringen, Bayern nicht anders aus, auch wenn es derzeit im Jubel der einen Bundesländer und dem Wehklagen der anderen unterzugehen droht.

Grund also, sich einmal mit den Ergebnissen an der Quelle, der OECD, zu beschäftigen, statt dem aufgeregten Raunen der Blätter und Blogs zu lauschen, die jeweils im Eigeninteresse stehende Teilergebnisse aufzubauschen geneigt sind.

ruinen
Öffentliche Schule 2011?


Was eine Gesellschaft im Inneren am meisten zusammenhält oder auseinandertreibt, ist die Gerechtigkeit bzw. Ungerechtigkeit. (Lesen Sie mal (wieder) John Rawls, der ist aktueller denn je.) Dass es nicht gerade gerecht zugeht in unserer Gesellschaft - wenn etwa Milliardäre wie Adolf Merckle wie selbstverständlich Kompensation für verzockte Millionen vom Staat erwarten, normale Pleitiers aber in den Hartz-IV-Abgrund geworfen werden - ist ja bekannt genug und führt jetzt schon wieder zum Erstarken bedenklicher radikaler Kräfte auf beiden Seiten des politischen Spektrums.

Wenn es aber etwas gibt, das noch mehr Empörung auslöst als am eigenen Leib erlittene Ungerechtigkeit, dann ist es wohl Ungerechtigkeit den Kindern gegenüber. Umso besorgniserregender ist der jetzt dreifach von PISA untermauerte Beweis, dass die deutsche Bildungslandschaft vollkommen ungerecht ist, noch dazu in einem Maße, wie es anderswo schlicht nicht anzutreffen ist.

Und das ist jetzt nur der Gerechtigkeitsaspekt. Man muss ja bei PISA auch noch über hunderttausendfach bedrohte Lebenschancen junger Menschen reden; über eine alternde Gesellschaft, die ihren einzigen Rohstoff, menschliches Know how, vergeigt; über eine fragwürdige Prioritätensetzung bei den Staatsausgaben; über den Bildungsföderalismus (ein besonders grausames Stück über lokalpolitische Eitelkeiten) undsoweiterundsofort ...

Ich bin ja dafür, in drei Jahren nochmals nachzubohren und in sechsen, in neunen, in ...


CDU-Dominanz in den Ländern führt zu Bildungspolitik per Wegschauen

Da überlegen die Kultusminister unserer 16 Bundesländer also in seltener Eintracht, die Hauptschulen aus den Leistungsvergleichsmessungen herauszunehmen oder nach eigenen - niedrigen - Standards zu bewerten. Da zeigt sich, wozu die Dominanz der CDU-Landesregierungen bundesweit gut ist, denn Widerstand regt sich nur in ein paar nicht CDU-(mit)regierten Enklaven.

wurm_drin


Der Bildungspolitik, die nach PISA, TIMSS, IGLU usw. auf Erfolge dringend angewiesen ist, wird dies Vorgehen gut zu Gesicht stehen. Sie, liebe Leserinnen und Leser, werden sehen: Auf einmal steht Deutschland viel besser da! Denn dann verschandeln die Ergebnisse der Hauptschulen erstens nicht mehr die Statistik und zweitens werden die Entscheidungsträger und die Öffentlichkeit auch nicht mehr so impertinent darauf hingewiesen, dass die Bildungspolitik bei dieser Schulform permanent versagt.

Naheliegend wäre ja eigentlich, das mehrgliedrige Schulsystem abzuschaffen - international sind schließlich auch all die Länder erfolgreich, die kein Splitting in verschiedene Schulformen durchführen - und binnendifferenzierende Schulen einzuführen. Aber diese heilige deutsche Kuh werde ich zu Lebzeiten wohl nicht mehr geschlachtet sehen, also bleibt es bei Gymnasium, irgendwelchen Mittelschulformen und der Hauptschule. Einer Hauptschule, die ja auch nicht mehr als defizitär auffällt, wenn sie nicht normal mitgetestet wird, sondern ‚eigene‘ und ‚angepasste‘ Standards erfüllt.

Wenn man schon eine Institution garantieren möchte, die alle Bildungsverlierer zuverlässig sammelt und stigmatisiert (Stigmatisiert? Ja, sicher, versuchen Sie mal mit einem Hauptschulabschluss, egal wie gut, eine Lehrstelle zu bekommen.), so dass sie auf dem normalen Arbeitsmarkt nicht durch ungehörige Teilhabe auffallen, so gelingt das auf diesem Wege mit ziemlicher Sicherheit. Interessierte konservative politische Kreise können sich so auch ihr Weltbild bewahren: Das Bild einer Welt, in der die Schmuddelkinder - frei nach Franz-Josef Degenhardt - keine Möglichkeit haben, mit den Kindern in der Oberstadt zu spielen und dadurch irgendwelchen Schmuddel zu übertragen. So hat dann alles seine Ordnung und ist so ungerecht wie es die Welt halt nun einmal ist. Gottgewollt, sozusagen ...

Dass man sich darüber erbost, wie es die Kommentatorin der WAZ zu Recht tut, zeugt nur von unzeitgemäßer Sozialromantik, oder?


Skandalöses Schüler-Lotto ...

... so überschreibt Spiegel Online einen ersten Bericht über die Ergebnisse einer vollständigen Untersuchung aller Wiesbadener Grundschulen. Spiegel Online findet da ein paar sehr passende Worte und Zitate, was die Empfehlungen für den weiteren Schulbesuch, Gymnasium, Realschule oder Hauptschule, angeht:

„Lehrer lassen arme Kinder zu selten ans Gymnasium.“
„Die Unterschichtsbremse für die Oberschulen greift höchst zuverlässig.“
„Aufs Gymnasium schaffen es in erster Linie die Privilegierten, nämlich Kinder gut betuchter Akademiker. Schüler aus einer niedrigen sozialen Schicht haben weitaus schlechtere Karten beim Schulübergang. Und zwar auch bei gleicher Leistung.“
„‚Vor allem die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Schicht hat Auswirkungen auf die Schulnoten der Kinder und auf den Bildungswunsch der Eltern’, sagte Stefan Hradil, Soziologe und Leiter der Untersuchung.“
„‚Neu ist, dass Lehrer offensichtlich schicht- und ethnienspezifische Empfehlungen aussprechen.’“
„Bei gleich guter Schulnote (2,0) erhielten nur drei von vier Kindern aus der niedrigsten Einkommens- und Bildungsgruppe eine Empfehlung für die höchste Schulausbildung. Dagegen sollten von den Kindern mit wohlhabenden und gebildeten Eltern 97 Prozent aufs Gymnasium - so gut wie alle also.“
„‚In der Oberschicht kommt eine Hauptschulempfehlung nahezu nicht mehr vor’, notierten die Forscher.“

Noch Fragen?

Ach so - Sie wollen wissen, was man tun kann?

Na, das dreigliedrige Schulsystem abschaffen und damit auf die Verurteilung hunderttausender 10-Jähriger zu lebenslanger Benachteiligung verzichten natürlich!



Die Patientin Universität röchelt jetzt ziemlich ...

... es muss ihr wohl jemand die Luft abdrehen - arme Uni ...

Der Uni geht es auch immer schlechter. Ich rede dabei gar nicht von Bachelor- und Masterstudiengängen - die haben zwar den Humboldtschen Bildungsgedanken gekillt, aber für den sind wir Menschen anscheinend eh nicht ausreichend gerüstet. Nee, es scheint viel mehr so zu sein, dass die Verschulung des Studiums einem ganz großen Teil der Studierenden entgegen kommt. Da wird man wenigstens noch bis Mitte Zwanzig ans Händchen genommen und durch das Leben geführt und den späteren Arbeitgebern ist es auch lieber, wenn die neuen Akademiker nicht allzu eigenständig denken und fragen gelernt haben.

Nein, die Patientin röchelt immer stärker wegen der Sparmaßnahmen, die ihr die Luft abdrehen. Wie heute in unserem Käseblättchen plötzlich und voller Sorge zu lesen ist, geht es den Geisteswissenschaften an den Kragen. Schön, dass das mal jemand merkt. Gefördert wird nur noch, was effizient ist, und Orchideenfächer wie Byzantinistik, Ägyptologie, Geschichtswissenschaften, Philosophie, die Lehrerausbildung und ähnlich abseitige Wissensgebiete werden zusammengestrichen. Bringen ja keine Drittmittel ... oder outsourcbare Start ups ... oder Ruhm und Ehre.

Schade - und das nicht nur aus melancholischen Gründen, wie dem, das uns Menschen die Philosophie einst das Denken und Verstehen lehrte. (Zumindest soweit man gewillt war, sich aufs Verstehen einzulassen.) Schade also? Ja! Denn, es ist doch nicht so, dass wir nun verstanden hätten und sie nicht mehr bräuchten. Oder glauben Sie, dass es derzeit ein ausreichendes Maß an Vernünftigkeit und Empathie in der Welt gäbe? Und wie sollen die Kommenden lernen, zu verstehen? Oder zu hinterfragen? Oder zu urteilen? Und wer kann entscheiden, ohne sinnvoll und kritisch geurteilt zu haben? Schade, dass die Wolkenkuckucksheime der Geisteswissenschaften aussterben ...

maskiert_verblasst

Sehe ich da hinten in der letzten Reihe einen Ingenieur grinsen? Ja, noch haben Sie gut lachen und sind heißbegehrt. Aber warten Sie erst einmal ab, bis sich die Controller nach getaner Meuchelei in den Geisteswissenschaften an die naturwissenschaftliche Grundlagenforschung machen. Ferne Galaxien beobachten? Die Gravitationswellen oder Higgs-Teilchen nachweisen? Das ist genauso brotlose Kunst wie die Philosophie. Nur werden euch Ingenieuren dann ganz schnell die Grundlagen für eure Erfindungen und den Fortschritt ausgehen.

Bleiben die Wirtschaftler und Juristen. Ich hoffe ihr werdet reich damit, euch gegenseitig Businesspläne aufzustellen ... schon da mit ihr uns Philosophinnen und Lehrer, Historikerinnen und Linguisten als Hauspersonal, Gärtner und Chauffeure beschäftigen könnt ... wir geben euren Kindern dann beim Babysitten auch schon mal den einen oder anderen Tipp für ein gelingendes Leben ... versprochen!