Phantastik

"die fantastischen 6" sind erschienen ...

Die von Charlotte Kerner bei Beltz herausgegebenen Lebensgeschichten von Stanislaw Lem, Bram Stoker, Stephen King, Mary Shelley, Philip K. Dick und J.R.R. Tolkien sind erschienen. Der Tolkienbeitrag in diesem Sammelband mit dem Titel die fantastischen 6 stammt von mir.

Das Buch enthält sechs 40-50-seitige Beiträge, die jeweils das (Haupt-)Werk der Autoren mit ihrer Biographie verbinden. Die jeweiligen Artikel richten sich an den Fan, der mehr über Werk und Autoren wissen möchte sowie an jede Leserin, jeden Leser, die diese sechs für die Phantastik äußerst wichtigen Menschen einfach so näher kennenlernen wollen oder ein besseres Verständnis von Wirken und Rolle der Phantastik über die je persönlichen Zugänge gewinnen möchten.

Die Zusammenstellung gerade dieser Autorinnen und Autoren gewährt damit auch einen Überblick über die gesamte Bandbreite der Phantastik. Mit Mary Shelley beginnt nach recht einhelliger die Science Fiction, aber auch das Horrorgenre verdankt ihr einen prägenden Einfluss. Stoker ist für den Horror wichtig, beeinflusste aber auch die Fantasy. King ist sowieso aus allen drei Hauptbereichen der Phantastik nicht wegzudenken. Dick und Lem stehen für den Einfluss, den Science fiction auf unser Denken und die Gesellschaft hat. Und Tolkien ... na ja, den kennen Sie als Besucher meiner Site ja.

Ich habe für meinen Beitrag das Wichtigste zusammengefasst, was man über Tolkien bei der gegebenen Kürze von nur gut 40 Seiten sagen kann und es mit seiner unspektakulären, aber für das Verständnis der Fantasy doch so wichtigen Vita verbunden, so dass Sie jedem Tolkieninteressierten bedenkenlos, wie ich finde, raten können, den Aufsatz als Einstieg in seine Welt(en) zu lesen. Fast das Gleiche kann man über die alle sechs Aufsätze sagen.

Ein persönlicher Tipp noch - da Sie ja gerade hier sind und die lesen, vermute ich, dass Sie sowieso eine Affinität zur Phantastik haben, für die polyoinos ja weithin steht. Wenn Sie Ihr Interesse (Liebe?) Phantastik jemandem erklären wollen, der da nicht viel mit anfangen kann (Eltern, Partner, Lehrer ...), so stellt die fantastischen 6 einen tolles Geschenk dar.

Also:
Charlotte Kerner (Hrsg.): die fantastischen 6. Weinheim, Basel: Beltz & Gelberg 2010

Foto am 02-03-2010 um 13.49


Bitte? Ich sollte gerade heute eher etwas über die verbotene (juchhu!) Vorratsdatenspeicherung schreiben? Sie haben ja recht. Dazu eine Einschätzung in zwei, drei Tagen, ja?

Genre-Grenzen

Vor einer Woche in Worms hatten wir das Thema auch wieder: die Genregrenzen ziwschen Fantasy, Science Fiction, Horror und auch zwischen Phantastik und Realismus.

Es sind schwammige Grenzen und Konsens ist dann immer so eine Sache. Dabei ist es recht einfach mit den Genregrenzen, finde ich, und habe mir deshalb ein paar Gedanken gemacht und einen kleinen (4 Seiten) Aufsatz dazu zu Tastatur gebracht.

Bitte sehr: ...


Fantasy ist ein Menschenrecht ...

... das mag zwar zunächst stutzig machen oder komisch erscheinen, aber ich denke, man sollte dringend wieder einmal drauf hinweisen ... gute 70 Jahre nachdem Tolkien so etwas schon einmal ganz ähnlich formuliert hat.

Deshalb nahm ich den Mythentag im Nibelungenmuseum in Worms zum Anlass, diesen Gedanken einmal auszuformulieren und zu erläutern. Friedhelm Schneidewind, der Conventus Tandaradey und ich waren eingalden, im Mythenlabor zu Halloween einen ganzen Tag mit Lesungen, Vorträgen, Workshops und einem Konzert zu gestalten, und als Einstiegsvortrag schien es mir eine gute Idee zu sein, einmal grundlegend auf den politischen und sozialen Stellenwert von fantasy und der Phantastik im Allgemeinen hinzuweisen. Nun, die Gäste fanden es, glaube ich, auch spannend und einleuchtend.

Ich würde mich freuen, wenn Sie sich die Zeit nähmen, den Gedanken einmal mit mir nachzuvollziehen. Und falls Sie meine Ausführungen über das Wesen der Fantasy kennen, so können Sie auch gleich zum Punkt Römisch 2 runterscrollen, wo die eigentliche politische Argumentation beginnt. Bitte sehr ...

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Nibelungenmuseum Worms

Nachtrag: Der Wormser Zeitung hat es auch gefallen (bis auf Friedhelms Brille): Zeitungsbericht.

Phantastik-Konferenz in Hamburg, inkl. ...

... Gründung einer "Gesellschaft für Phantastik" - eine ganz spannende Sache, die da im Herbst 2010 stattfinden wird; getrübt nur dadurch, dass die Phantastik mit "F" schreiben ...

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Call for Papers
Erste Jahrestagung und Gründungskonferenz der
Gesellschaft für Fantastikforschung (GFF)
Fremde Welten
Wege und Räume der Fantastik im 21. Jahrhundert
an der Universität Hamburg
30. September – 03. Oktober 2010


Der Erfolg von Joanne K. Rowlings Harry Potter Romanen, der Matrix-Reihe der Wachowski-Brüder und Peter Jacksons Herr der Ringe hat weltweit dafür gesorgt, dass die Themenbereiche der Fantastik aus der Einordnung in die Genreliteratur heraus getreten sind und sich einen Platz im weiten Feld der akademischen auseinandersetzungen erobert haben. Das überwältigende Interesse der Menschen an Fantastik - in all seinen Spielarten - wurde schnell von den Medien aufgegriffen
und führte dazu, dass auch im akademischen Rahmen Forschungsaktivitäten initiiert oder intensiviert wurden. Im angloamerikanischen Sprachraum traf der populäre Boom auf bereits vorhandene Strukturen, so dass Organisationen wie die International Association for the Fantastic in the Arts (IAFA) oder die Science Fiction Research Association (SFRA) das neu gewonnene Interesse an ihrer Arbeit begrüßen und sich dadurch stärker innerhalb der akademischen Forschergemeinschaft positionieren
konnten.

Im deutschen Sprachraum jedoch ist das akademische Interesse an Fantastik bislang ohne ausreichende Anbindung an eine gemeinsame Organisation oder ähnliche Netzwerkstrukturen. Wir sehen daher die Gründung einer Gesellschaft für Fantastikforschung (GFF) als ersten wichtigen Schritt, die deutschsprachige Forschung zur Fantastik international anzubinden und somit einerseits diese Forschung sichtbarer zu machen und andererseits Grenzen zu überschreiten und Forscher in einer
Gesellschaft zu vereinen. Zu diesem Zweck ist an der Universität Hamburg geplant, im Oktober 2010 die Gründungskonferenz und erste Jahrestagung der GFF mit dem Titel „Fremde Welten - Wege und Räume der Fantastik im 21. Jahrhundert“ abzuhalten. Die Konferenz ist ausdrücklich interdisziplinär und international angelegt und versteht den Begriff „Fantastik“ in seiner umfassenden Definition als Oberbegriff aller fantastischen Genres, wie etwa Fantasy, Horror, Gothic, Science Fiction, Speculative Fiction, aber auch Märchen, Fabeln und Mythen. Interdisziplinarität ist dabei ein zentraler Aspekt der GFF, die sich als akademisches Netzwerk versteht, das mögliche Forschungsinteressen vor allem aus Literatur, Film, Fernsehen, Kultur, Kunst, Neuen Medien, Architektur und Musik vereint und zusammenführt, aber auch Einflüsse aus Soziologie, Anthropologie, Geschichtswissenschaft und Philosophie in sich aufnimmt. Internationalität ist dabei durch die bifokale Ausrichtung der Gesellschaft und der Konferenz gewährleistet, die sich einerseits an deutschsprachige Forscher eben dieser Bereiche richtet, aber andererseits auch Mitglieder und Teilnehmer aus der internationalen Forschung zur deutschsprachigen Fantastik sucht und ausdrücklich einlädt.

Die Konferenz versteht Fantastik als einen der wichtigsten Teilbereiche der populären Kultur und sieht in ihr eine Reflektion von Machtverhältnissen und Interessenskonflikten, die im Populären eine Vorwegnahme von gesellschaftlich zentralen Diskursen erfährt, wie sie sonst in keinem anderen kulturellen Bereich zu finden ist. Als eine Form, die sich per se mit alternativen Welten bzw. grenzüberschreitenden Erfahrungen von Raum und Zeit befasst, bietet die Fantastik ein
geradezu paradigmatisches Feld, fiktionale kulturelle Räume vor dem Hintergrund historisch-realer Entwicklungen zu untersuchen bzw. aus Sicht des 21. Jahrhunderts neu zu entdecken. Zu untersuchen gilt, warum unsere Gesellschaft nach Fantastik verlangt und welche Alternativen diese Kulturform uns aufzeigt? Wie hat sie sich in den letzten Jahren verändert und entwickelt? Und speziell im deutschen Sprachraum besteht noch die Frage, welche Räume sie bislang errichtet hat und wo sie sich derzeit wieder findet?

Die Konferenz „Fremde Welten - Wege und Räume der Fantastik im 21. Jahrhundert“ versucht einerseits eine Bestandsaufnahme der akademischen Auseinandersetzung mit Fantastik im deutschen Sprachraum zu leisten, andererseits diese Forschungen in einen internationalen Dialog zu bringen. Sie möchte Forscher und Interessierte zusammenführen und einen Austausch über die vielen, noch offenen Fragen anregen. In Anlehnung an den Konferenztitel lassen sich daher
beispielhaft einige dieser Fragen benennen: Welchen Weg ist die Fantastik bislang gekommen? Welchen Weg wird sie in Zukunft gehen? Und vor allem: Wo ist sie zurzeit zu finden, welche Räume hat sie für sich erschlossen?

Die Organisatoren rufen nun alle Interessierten auf, bis zum 01.04.2010 Vorschläge für Beiträge zur Konferenz einzureichen. Möglich sind Vorschläge für Vorträge (in Vortragssitzungen bis zu 3 Teilnehmern, je 20 Minuten), Panel-Diskussionen (moderiert, mit 3-5 Teilnehmern) oder Autorenlesungen aus allen Bereichen der Fantastik in deutscher oder englischer Sprache. Vorschläge von max. 250 Wörtern und kurze, biografische Information sowie Kontaktdaten richten Sie bitte per Email an: lars.schmeink [at] uni-hamburg.de. Weitere Informationen erhalten Sie ebenfalls unter dieser Adresse.

Organisation:
Lars Schmeink, Prof. Dr. Astrid Böger, Prof. Dr. em. H.-H. Müller
Universität Hamburg
Institut für Germanistik II
Von-Melle-Park 6
D-20146 Hamburg

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Wie gesagt, ich finde es hochspannend und habe mich auch schon mit einem Vortragsvorschlag für die aktive Teilnahme an der Konferenz beworben. Außerdem plane ich, der zu gründenden Gesellschaft beizutreten. Hier etwas wie die SFRA aufzuziehen, ist lang schon nötig, jetzt scheint es zu passieren.

Aus dem Tolkien-Umfeld werden einige nahmhafte Expertinnen und Experten (Thomas Honegger etwa) dazu kommen und auch sonst höre ich aus der Ecke der Phantasten, wie Friedhelm Schneidewind oder Fanfan Chen, dass viele Leute planen, nach Hamburg zu kommen. Das könnte ein großer Erfolg werden, gesellen Sie sich doch auch dazu.

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Auf nach Hamburg; Bus, Bahn und normale Autos gehen natürlich auch ...

RingCon 2009

RingCon 2009 ist nun auch wieder vorbei ... schade ...

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trübsalblas ...

Nein, ganz so schlimm ist es nicht, dass es vorbei ist, aber es war wieder richtig schön. Obwohl ich etwas Skepsis hatte, dass die Erweiterung auf Twilight die Con noch viel weiter in Richtung Filmfanh-Hype verschieben würde. Aber das stimmte gar nicht, denn noch nie waren die Vorträge so gut besucht wie dieses Mal, und das nicht nur bei mir. Damit hätte ich kaum gerechnet. Und wenn ich nach den Gewandungen und dem Alter meiner Vortragsgäste gehe, so konnte ich doch eine ganze Reihe von Harry Potter- und Twilight-Fans interessieren, die ich auf früheren Cons eher in den Schlangen der Autogrammsessions sah. Die kauften sogar Bücher - und so ganz unanspruchsvoll ist mein Buch über die Fantasy ja nicht gerade.

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Phantastisches Getier auf der RingCon


Ich hielt zwei Vorträge, einen über Gewalt in der Fantasy und einen über das Verhältnis von Mythen, Sagen, Märchen und Fantasy und hatte jeweils ein sehr interessiertes Publikum von mehr als hundert Personen, die auch in eine Diskussion einstiegen - so macht das Spaß! Diskussion aber war natürlich hauptsächlich bei der dritten Auflage des Streitgesprächs zwischen Anja Stürzer und Friedhelm Schneidewind angesagt, die sich wieder köstlich zum Thema Harry Potter, diesmal die Verfilmungen, beharkten.

Die Nachfragen und Diskussionen bei meinen Vorträgen, besonders aber die Mitarbeit am Streitgespräch (nach 15 Minuten hatte ich genug Wortbeiträge notiert, dass wir drei Stunden hätten debattieren können) zeigten wieder einmal, dass die oftmals so belächelten Cons (belächelt nur von snobistischen Unbeteiligten) ein wunderbarer Quell von Kreativität, Inspiration und fruchtbarer Auseinandersetzung sind. Und da die Phantastik ja gar nicht phantastisch (im Sinne von übernatürlich) ist, sondern sich ganz um den Menschen dreht, ist das auch ein Beweis dafür, dass es auf Cons nicht weniger anspruchsvoll zugehen kann wie im hochherrschaftlichsten Literaturseminar oder philosophischen Symposion.

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Zugegeben: manchmal sind die Diskussionen nicht ohne ...

Dass dabei Blödelei und Spaß den gleichen Raum einnehmen, wie die Kultur, macht Cons dafür viel leichter verdaulich und deshalb attraktiver. Und wenn man jetzt weiterdenkt und die Cons in Verbindung mit den Internet-Communities wie der "Grünen Hölle" bringt, die im Hintergrund einer jeden Con stehen und an 365 Tagen im Jahr die Verbindung der Phantasten untereinander aufrecht erhalten, dann kann man schon von einer neuen Weise sprechen, in der Kultur gelebt wird. Was die persönlichen Verhältnisse angeht, so sind die nicht anders als bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der literarischen Salons des 19. Jahrhunderts, aber dafür sind sie weniger auf die 'guten Kreise' beschränkt und damit offener, so dass kulturelle Teilhabe einfacher und egalitärer wird.

Ich jedenfalls freue mich auf die nächsten Cons wie Elbenwaldspektakel, Thing, FedCon und NordCon, und natürlich die nächste RingCon.

Bleiben Sie phantastisch! (Aber seien Sie auf den Cons vorsichtig, wenn Sie Orks fotografieren wollen.)

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Mythos, Sage, Märchen, Fantasy ...

... deren Gemeinsamkeiten und Unterschiede behandelte ein Vortrag, den ich vor zwei Wochen auf dem Elbenwaldspektakel erstmals hielt.

Nun habe ich es geschafft, den Vortrag etwas aufzubereiten und zu veröffentlichen. Über Feedback und Verlinkungen freue ich mich sehr, wie immer steht der Text des Vortrages unter Creative Commons License und kann von Ihnen bei Nennung von Quelle und Verfasser gerne weiterverwendet werden.

Da ich bei diesem Vortrag daran gedacht habe, mein Aufnahmegerät einzuschalten, steht auch eine Audioversion zur Verfügung.

Anderswelt

Gestern saß ich viele Stunden mit so netten Schriftstellerkollegen wie Charlotte Kerner, Anja Stürzer, Jürgen Seidel, Susanne Härtel zusammen, weil wir ein Projekt besprachen, innerhalb dessen ein Buch mit Porträts von Mary Shelley, Stephen King, Bram Stoker, Philipp K. Dick, Stanislaw Lem und Tolkien entstehen wird. Stundenlang bewegten wir uns gedanklich in deren Anderswelten.

Als ich dann im Bett lag und noch etwas Musik hörte, unter anderem „Anderswelt“ von Schandmaul, und den Refrain in mir nachklingen ließ - „Dreimal tanz im Sonnensinn um die alte Stätte hin, dann wird offenstehn die Anderswelt, du wirst sie sehn“ - dachte ich, beileibe nicht zum ersten Male, darüber nach, wie es wäre, die Anderswelt zu betreten. Und ich dachte daran, wie oft ich in Gesprächen mit Freunden, besonders aber auf Cons und im Rahmen von Lesungen, bei Gesprächen mit Fans und Zuhörern, zu hören bekomme, dass bei dieser oder jenem ein sehnlicher Wunsch bestehe, die Anderswelten von Science Fiction und Fantasy betreten zu können. Das ist gut, birgt aber mehr als eine Gefahr. Beispielsweise die der Selbsttäuschung.

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Vielgestaltig können die Zugänge zur Anderswelt auftreten

Unterhält man sich intensiver darüber, wie es wäre, Urlaub von unserer Welt nehmen zu können, sie vielleicht sogar gänzlich hinter sich zu lassen, so ist es oftmals ein vielgestaltiges Mängelempfinden, das als Motiv dafür, andere Welten besuchen zu wollen, zutage tritt. Da wird unsere Welt als nüchtern und langweilig oder auch als angsterregend empfunden. Oder, und das scheint mir noch öfter vorzukommen, konkret das eigene Leben wird als mängelbehaftet, als mangelhaft oder ungenügend erlebt. In den Welten von Schwert und Magie oder denen von Raumschiffen und Teleporterstationen wird dann eine Verzauberung des Lebens, meist aber auch eine Aufwertung der eigenen Person oder Bedeutung erwartet. Man will ja dann in der Regel nicht nur von Ferne zusehen, wie Eowyn und Merry dem Herrscher der Nazgûl entgegentreten oder wie Picard mit Q diskutiert, sondern eigentlich will man ja auch mithelfen, will teilhaben - man will „wer sein“ in der Anderswelt.

Vorteil des Ausweichens in die Welten der Phantastik ist aber auch, dass man banalen ebenso wie schwer überwindbaren Problemen im realen Leben ausweicht. Im Star Trek-Universum gibt es beispielsweise kein Geld; das wurde abgeschafft, denn für die materiellen Bedürfnisse aller ist einfach gesorgt. Das ist natürlich besonders attraktiv, wenn der eigene Job lausig bezahlt ist oder man dauernd mit dem Minus auf dem Girokonto kämpfen muss. Kopfnoten, Weiterbildungen. Probezeiten und Praktika, Audits, Zwischenzeugnisse und Beurteilungen sind auch solche Sachen, die einen in Mittelerde nicht belasten können. Und was die Liebe angeht, so findet die meistens entweder nicht statt - was je nach eigener Situation ja auch eine befreiende Vorstellung sein kann - oder sie ist erfüllt.

Natürlich sind realistisch betrachtet die Beschwernisse in der Anderswelt so groß, dass man sie eigentlich jederzeit gegen einen cholerischen Boss oder einen geplatzten Kredit eintauschen würde, denn beides ist sehr viel einfacher zu ertragen, als durch Mordor zu ziehen oder von den Borgs assimiliert zu werden. Aber beim Hinüberträumen ist es ja genau umgekehrt - die phantastischen Gefahren sind abstrakt, die hiesigen konkret und außerdem geht es drüben ja doch fast immer gut aus.

Doch nehmen wir mal an das ginge. Nehmen wir an, man würde den Wandschrank finden, der einen hinüber bringt. Würden Sie gehen? Es muss ja nicht für immer sein. Nehmen Sie einen Ariadnefaden mit und schauen Sie mal kurz. Was würden Sie finden?

Alles mögliche würden Sie finden. Das bleibt ganz Ihrer Phantasie überlassen. Aber eines würden Sie immer auch finden - sich selbst. Und das ist die mögliche große Gefahr, die ich bei diesen Weltfluchtträumen sehe. Wenn Ihre Sorgen auch nur im Geringsten damit zu tun haben, dass Sie mit sich selbst im Unreinen sind, dass Sie ein Problem in der Seele tragen - eine Angst, eine Unzufriedenheit, etwas, dass Sie als Unzulänglichkeit (evtl. auch nur unterbewusst) empfinden - dann werden Sie das in der Anderswelt nicht los.

Sie können vor Situationen flüchten, aber nicht vor sich selbst. Viele Menschen, die glauben, dass sie ihr Leben ändern müssen, realisieren nicht, dass ihr Unbehagen oder Unglück in ihnen liegt und dass sie es mitnehmen werden, egal wovon sie sich ab- und was sie sie sich zuwenden. Dann hilft es auch nicht, bis in den Gammaquadranten vorzudringen.

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Manch rettender Ast ist ganz schön kalt

Natürlich betrifft das auf keinen Fall alle Träumer, die gerne ein wenig in den Anderswelten stöbern möchten. Das würde ich bei sich bietender Gelegenheit ja auch nur allzu gerne machen. Und ich hoffe doch sehr, dass ich nicht unbewusst vor mir weglaufen möchte. Zudem kenne ich so manche Andersweltenreisende, von der ich ganz sicher bin, dass sie nicht vor sich weg-, sondern nur aus neugieriger Freude einer Faszination entgegenläuft. Aber ich kenne auch die anderen ...

Es gibt diese Form des Eskapismus, diese Flucht, bei der man das, wovor man eigentlich flieht, mit sich trägt und ihm deshalb nie entkommen kann. Diese Flucht ist falsch! Könnte das auch auf Sie zutreffen? Ich hoffe doch nicht. Falls aber doch - auch beim leisesten „könnte“ - erforschen Sie sich. Denken Sie einfach ehrlich über sich nach. Das mag schwieriger werden als die komplizierteste Meditationsübung, aber es gibt am Ende nur diesen einen Weg.

Die Anderswelten von Buch, Film und Onlinerollenspiel können ihnen nicht helfen, sich vor sich selbst zu verstecken; Sie werden dort nicht glücklich werden, wenn Sie das Unglück mitbringen.


Halloween und die Phantastik ...

... das sind zwei Themen, die ziemlich viel miteinander zu tun haben. Beide kommen heute oftmals recht krawallig daher und verfügen doch über tiefe Wurzeln der Bedeutung, die drohen, ein wenig in Vergessenheit zu geraten.

Zu Halloween gedachten wir früher einmal (als es noch als Allerheiligen bekannt war) der Heiligen. Wenn man bis zurück auf die Kelten und deren Fest Samhain geht, auch der Toten allgemein. In dieser Nacht waren sich Welt und Jenseits nach dem Glauben der Menschen sehr nahe. Auch die Phantastik zieht uns hinüber, verweist auf das Jenseitige und die Metaphysik und erzählt uns damit doch so viel über uns selbst - Fantasy berichtet von Macht, der Horror von Ohnmacht und die Science Fiction zwar nicht über das jenseitige, sondern über das Machbare und die Technologie, aber doch über das was wir echten Menschen wollen und sollen und besser meiden.

Darüber habe ich mir in einem kleinen Blog-Beitrag für die Phantastik-Couch Gedanken gemacht und würde mich freuen, wenn Sie sich für ein paar Minuten auf die Couch setzten, den Artikel läsen und ihn vielleicht dort oder hier kommentierten. Das Blog der Phantastik-Couch finden Sie hier.

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Genießen Sie den November. Ich mag ihn ja nicht, diesen Monat, aber damit tue ich ihm Unrecht, denn er ist nötig im Jahres- und Lebenslauf. Also Kopf hoch, vergessen Sie die am Stängel faulende Rose da oben und machen Sie nicht meine Fehler nach ...



sf-magazin - Rezensionen pur ...

Seit gerade zwei Monaten ist Franz Birkenhauers sf magazin online - ein ambitioniertes Rezensionsprojekt, dem ich viel Erfolg wünsche. Denn das sf magazin stellt sich als fast reines Rezensionsmagazin wohltuend konzentriert dar.

Keine Community, keine Ajax-Spielchen, nichts bewegt sich, nirgendwo macht ‚irgendjemand’ mit oder fordert einen dazu auf. Das kann heutzutage schon sehr entspannend wirken. Und man kann sich besser auf das Wesentliche konzentrieren. Und das Wesentliche ist klar (dem ist auch allzu oft nicht so im Web) - es geht um Rezensionen von Science Fiction-Literatur. Teilweise kommen in Interviews auch Autoren zu Wort, aber es ist die Rezi die völlig im Vordergrund steht.

Und die sind offensichtlich von Profis für Interessierte geschrieben. Die Schreibe ist gut, informativ, so gut wie fehlerfrei und vor allem meinungsfreudig. Die Rezensionen informieren über den Inhalt, ohne irgendetwas vorweg zu nehmen, stellen den Genrebezug her und bewerten die Bücher in nachvollziehbarer Weise. Gerade Letzteres stellte sich als Gefühl auch bei den Büchern ein, die ich nicht selber gelesen habe.

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Dass ein großer Teil der Rezis bei FAZ, TAZ usw. eingekauft ist, ist für den Besucher der Site eher gut, denn es garantiert ein gewisses Niveau und versammelt dabei gleichzeitig Texte, die man sonst zusammensuchen müsste. Und es sorgt dafür, dass nicht nur SF-Nerds angesprochen werden, sondern ein breiteres Publikum, was bei phantastischer Literatur ja sowieso schonmal lobenswert ist.

Einen Verriss habe ich beim Stöbern übrigens nicht gefunden, sondern nur wohlwollende Kritiken. Interessant wird es also sein, zu sehen, wie das sf magazin mit - immer wieder nötiger - harscher Kritik umgeht, tummelt sich im Genre doch auch viel Müll. Aber das Magazin steht ja erst am Anfang und scheint zunächst auch alle Kräfte auf Klassiker und die arrivierten Autoren zu konzentrieren, so dass man das wohl abwarten muss.

Eine tolle Besonderheit besteht darin, dass alle Beiträge geschmackvoll und passend illustriert sind. Quasi nebenbei - natürlich nicht wirklich nebenbei, denn Birkenhauer stellt den Illustratoren einen eigenen, von nur sechs!, zentralen Links in der Navigationsleiste zur Verfügung - werden hier die oft vernachlässigten Illustratoren mit ihren Werken vorgestellt, die soviel zum Ambiente des Genres beitragen. Und hier natürlich zum äußerst geschmackvollen Ambiente der Site.

Bleibt mir nur, dem Magazin viel Glück zu wünschen, den RSS-Feed habe ich ja schon abonniert ...

Was ist Horror ...

... und warum tun wir uns das an? Diese beiden Fragen beantwortet der gerade online gestellte Grundsatzartikel zum Thema Horror.

Nach der jahrelangen Beschäftigung mit dem Fantasygenre, die ich nicht aufgebe!, erweitern sich miene Betrachtungen jetzt auf die gesamte Phantastik. Ein erstes Ergebnis davon ist der Artikel über den Horror, dem im Laufe der Zeit langsam weitere Aufsätze über die Phantastik folgen werden. Bleiben Sie mir also gewogen.

Die Arbeit über den Horror stellt einen Vortragstext eines Auftrittes dar, den ich auf dem 3. Elbenwaldspektakel im Juni 2008 hatte. Falls Sie dort waren und sich nun fragen, wo denn die Horrorgeschichte bleibt, die ich dort ebenfalls las, so muss ich Sie vertrösten. Ich beabsichtige, diese Geschichte in einer Genrezeitschrift unterzubringen und die nehmen Geschichten in der Regel nicht, wenn die auch irgendwo online zu finden sind. Aber ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir die Daumen für die Publikation drückten.

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Abschnitt "Phantastik" eingeführt

Heute habe ich für die bisher publizierten Aufsätze zur Phantastik im Allgemeineren einen eigenen Bereich eingerichtet. Bisher waren sie unter Tolkien zu finden. Da ich jedoch zunehmend über andere Bereiche der Phantastik arbeite als nur über Tolkien und Fantasy - über die ich aber weiter schreiben werde! -, ist es sinnvoll, der Phantastik einen eigenen Bereich zuzuweisen.

Die augenblicklich dort zu findenden Arbeiten über Fantasy und Mythologie sind keine neuen Aufsätze, sondern dem Tolkienabschnitt von polyoinos entnommen. Ende Juni wird aber ein erster neuer Aufsatz - über den Horror - hier erscheinen.

Bis spätestens dahin also ...

"We put the thought of all that we love into all that we make", ...

... so informiert ein Elbe den Hobbit Pippin, als dieser fragt, ob die eben erhaltenen Umhänge Zaubermäntel seien, und erweckt so einen ganz anderen Zauber der Liebe zum Sein, als man ihn sonst mit dem Begriff Magie verbindet. Dies ist eine kleine Nachlese zum Tolkien-Seminar vom 25. - 27.4.2008 in Jena, dessen Teilnehmer ihre Beiträge, ob Vortrag oder Diskussionsbeitrag, mit der gleichen Haltung verbreiteten, wie sie die Elben beim Anfertigen ihrer Werke zutage treten lassen.

Es war wieder einmal ein wunderschönes Wochenende bei dem Wetter, Teilnehmer und Inhalte Hand in Hand gingen, um das Thema - Untersuchungen zu Tolkiens The Hobbit - auf profunde und angenehme Weise auszuleuchten. Die Qualität der Vorträge war ohne jegliche Einschränkung äußerst hoch, nicht nur bei den 'großen' Namen erfahrener Forscher wie Guglielmo Spirito, Fanfan Chen, Allan Turner oder Dirk Vanderbeke, sondern gleichermaßen bei den Nachwuchswissenschaftler/innen. 15 Vorträge wurden zu Gehör gebracht und über einen Teil von ihnen und die Atmsophäre des Seminars werde ich im Weiteren berichten.weiter ...

Determinism-Artikel jetzt auch online

Heute ist auch der englischsprachige Artikel über Determinismus in Realität und Fiktion online gegangen, den ich 2006 in dem von Thomas Honegger und mir herausgegebenen Büchern Tolkien & Modernity erstveröffentlicht habe.

Darin behandele ich die Frage, ob alles Geschehen durch Ursache-Wirkungsketten festgelegt, also determiniert ist, oder ob es Freiheiten in den Abläufen gibt. Wichtig ist das natürlich besonders im Zusammenhang mit der Annahme von Willensfreiheit, ohne die alle Ethik und das ganze Rechtssystem ins Wanken geriete. Gefragt (und beantwortet) wird, ob es diese Freiheit in der Realität und/oder der Fiktion erfundener Geschichten geben kann.

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Von diesem Artikel gibt es keine deutsche Version, aber es bestehen starke Überschneidungen zu der Arbeit über Willensfreiheit in MIttelerde.

Viel Spaß beim Lesen
Frank