"We put the thought of all that we love into all that we make", ...

... so informiert ein Elbe den Hobbit Pippin, als dieser fragt, ob die eben erhaltenen Umhänge Zaubermäntel seien, und erweckt so einen ganz anderen Zauber der Liebe zum Sein, als man ihn sonst mit dem Begriff Magie verbindet. Dies ist eine kleine Nachlese zum Tolkien-Seminar vom 25. - 27.4.2008 in Jena, dessen Teilnehmer ihre Beiträge, ob Vortrag oder Diskussionsbeitrag, mit der gleichen Haltung verbreiteten, wie sie die Elben beim Anfertigen ihrer Werke zutage treten lassen.

Es war wieder einmal ein wunderschönes Wochenende an der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, die dieses Jahr ihr 450-Jähriges Bestehen feiert, bei dem Wetter, Teilnehmer und Inhalte Hand in Hand gingen, um das Thema - Untersuchungen zu Tolkiens The Hobbit - auf profunde und angenehme Weise auszuleuchten. Thomas Fornet-Ponse und Thomas Honegger hatten, "wie immer", so kann man mittlerweile wohl sagen, perfekte Vorarbeit geleistet, um ein weiteres, für die Tolkienforschung wichtiges Seminar in Szene zu setzen. Wie wichtig Seminar und Seminarergebnisse waren, wird man erst in einem knappen Jahr begutachten können, wenn die nächste Ausgabe von Hither Shore erschienen sein wird. Und dem kann und will ich hier in keiner Weise vorgreifen. Stattdessen möchte ich mich nur auf ein paar Eindrücke beschränken.

Die Qualität der Vorträge war ohne jegliche Einschränkung äußerst hoch, nicht nur bei den 'großen' Namen erfahrener Forscher wie Guglielmo Spirito, Fanfan Chen, Allan Turner oder Dirk Vanderbeke, sondern gleichermaßen bei den Nachwuchswissenschaftler/innen. Dass hier und da Nervosität die Vortragskunst etwas einschränkte und dass an anderer Stelle ein Vortrag vielleicht besser im vorhinein auf seine 30-Minuten-Tauglichkeit geprüft worden wäre, fiel da nicht mehr ins Gewicht - für einen Auftritt wie den des Franziskanerpaters und Professors der Theologie Guglielmo Spirito bedarf es eben mehr als 30 Jahren an Lehrerfahrung und eines unglaublichen Charismas. Aus diesem Grund hätte auch jede und jeder Vortragende hier eine intensive Besprechung verdient. Aber ich nehme das Recht des subjektiven Eindrucks in Anspruch und möchte nur ein paar, in ihrer Länge sicherlich ungenügende Worte, über jene Vorträge anführen, die mich am meisten beeindruckten.

Allan Turner sprach über Die Konzeption von "desire" im Hobbit (das er als "Sehnsucht" übersetzen würde, während die andere deutsche Begrifflichkeit "Begehren", wie Dirk Vanderbeke scharfsinnig ausführte, zu völlig anderen Schlüssen führen müsste). Nun ist es immer ein besonderes Vergnügen Allan Turner zuzuhören, weshalb eher hervorzuheben ist, dass Allan es überzeugend verstand, erstens die verschiedenen Motivationen der Protagonisten des Hobbit anhand ihrer Sehnsüchte darzustellen und zweitens deren Entwicklung entlang des Verlaufes der Handlung präzise darzustellen. Die Entwicklung der Sehnsüchte bis hin zu ihrer Umkehr von materieller Gier in die Einsicht und Annahme übergeordneter Werte, dient vorzüglich dazu, den im Hobbit dargestellten Lernprozess zu beobachten.

Blanka Grzegorczyk, eine junge polnische Anglistikstudentin, die hier ihren ersten großen Vortrag überhaupt ablieferte, verband den Hobbit mit der aristotelischen Ethik. Nun bin ich ja sofort positiv voreingenommen, wenn überhaupt jemand mal die antiken griechischen Denker, und besonders Aristoteles, mit aktuellen Themen verbindet, aber Blanka tat dies in wirklich überzeugender Weise. 30 Minuten sind nur viel, viel zu kurz für ein derartiges Unterfangen, weshalb sie nur Ausschnitte aufzeigen konnte. Sie verband die Handlung und Protagonisten des Hobbit mit der aristotelischen Tugendlehre (dazu nicht bei Wikipedia nachschlagen, die entsprechenden Artikel sind derzeit nicht gut - besser gleich einmal in die Nikomachische Ethik, wenigstens ihre Einleitung, reinschauen.) und zeigte auf, dass Aristoteles´ Denken sich genau abbilden lässt. Nun, man kann davon ausgehen, dass Tolkien Aristoteles gut gekannt haben wird, das gehörte damals zur akademischen Bildung dazu. Der Verdienst einer Darstellungsweise wie der Blankas liegt darin, dass sich so die ungebrochene Aktualität von Tolkiens Denken, insbesondere seiner Ethik, mit den zeitlosen Erkenntnissen der antiken Philosophie verbinden lässt, auf die die Moderne meiner Ansicht nach mehr und mehr verzichten zu können glaubt. (Was für ein Fehler!) Ich persönlich wäre das Thema anders angegangen und hätte die Praxis aristotelischer Ethik in den Vordergrund gestellt, die sich beispielsweise in der Ausübung von Freundschaft und Freundschaftsdiensten zeigt, die auch einmal schmerzen können (Bilbos 'Verrat' an den Zwergen). Aber dies hatte Blanka keinesfalls vergessen und konnte es in der Diskussion auch überzeugend erläutern.

Thomas Fornet-Ponse und Martin Sternberg behandelten das Thema Reichtumskritik und Gier aus zwei Sichten, einmal im Hobbit allgemein, einmal anhand des Arkensteins. Thomas stellte sein Licht mit der Bemerkung, er behandle ja eh nur Banalitäten, allzu sehr unter den Scheffel. Denn auch vermeintliche Banalitäten bedürfen einer scharfsinnigen Analyse und präsziser Darstellung, was Thomas wie immer gelang. Martin erweiterte das damit eröffnete Feld, indem er in brillanter Analyse darauf hinwies, dass mit Reichtum sehr viel mehr verbunden ist als an Geld reich oder arm zu sein. Sozialprestige, Macht, Machtansprüche und, in mittelalterlicher wie der Denkungsart der Fantasy gleichermaßen wichtig, übernatürliche Eigenschaften und Segnungen (oder Flüche) hängen mit Schätzen gleichermaßen zusammen. Die derart plötzlich enorm erweiterte Bedeutung von Schätzen, hier des Arkensteins, wirft dann ein besonderes Licht auf die Protagonisten, wenn man ihre Handlungen vor diesem erweiterten Hintergrund einschätzt.

Mein persönlicher Höhepunkt war der Vortrag Anna Slacks - aufgrund eines MIssverständnisses, warteten wir über ein Stunde auf sie, aber - Mann - hat sich dieses Warten gelohnt! Anna sprach über Helden und kontrastierte die klassischen Helden wie Achilles und Roland, aber auch 'NIchtkrieger', wie Hamlet oder den Heiligen Petrus, mit Bilbo. Die Kontrastierung lief im Wesentlichen auf die Gegenüberstellung legendär überhöhter Heldenfiguren mit dem Jedermann hinaus. Nun springt es einem ziemlich einfach ins Auge, dass in Bilbo ein recht gewöhnlicher Mensch/Hobbit abgebildet ist, der Außergewöhnliches leistet. So weit, so interessant, aber nicht unbedingt neu. Anna jedoch arbeitete heraus, dass man dies auch so lesen kann, dass das Gewöhnliche und damit die reale Welt in die Sekundärwelt eingreift und dadurch das Außergewöhnliche, die Welten von Phantastik und Legenden, befruchtend beeinflusst und umgekehrt vom Außergewöhnlichen befruchtet wird. Damit ist eine ganz eigene Tür zwischen Realität und Fiktion geöffnet - ich würde es sogar als Verbindung von Realität und Mythos, damit auch von Logos und Mythos bezeichnen.

Was gab es noch? 10 weitere Vorträge, die nicht ebenfalls zu besprechen, eigentlich ungerecht ist, standen sie dem Erwähnten doch nicht nach. Etwa Judith Klingers Beobachtungen über Schwellen und Schwellenübertretungen im Hobbit. Oder Fabian Geiers Evaluation von Magie bei Tolkien. Oder Dirk Vanderbekes harsche, aber ebenso zutreffende wie amüsante Kritik der Umsetzung des Hobbit in Comicform durch David Wenzel. Nicht minder erhellend als die Vorträge waren dann auch die Diskussionen in deren Anschluss, an denen allenfalls etwas unbefriedigend war, dass, wie fast immer, es jeweils die üblichen Verdächtigen waren, die sich beteiligten. Aber auch das brach in den Pausen und abends in der Gastwirtschaft auf, wenn es munter um Hobbit, Mittelerde und Fantasy in all ihren Aspekten ging.

Ich denke, wir haben den 450-Jahr-Feierlichkeiten der Uni keine Schande bereitet. Schade, dass es das schon wieder war ...