Es gibt nur eine (relevante) Realität
Ruch - selbst "begeisterter" Facebook-Nutzer, wie er schreibt - beobachtet klug, welche immer weiter zunehmende Bedeutung soziale Netzwerke im privaten wie auch im öffentlich-politischen Leben haben. Nur kann er es, wie der in Mediendingen hypertrophe Norbert Bolz und viele andere Intellektuelle und Wissenschaftler, nicht lassen, aus der Nutzung sogenannter virtueller Realitäten weitestgehende - und unhaltbare - ontologische Schlüsse zu ziehen.
Am Beispiel von Facebook "zeigt sich", so Ruch, "einmal mehr, dass die Grenze zwischen Realität und Simulation verschwimmt."
Ja, hört man immer wieder.
Ist auch nachvollziehbar.
Ist aber trotzdem falsch.
Nicht eine ontologisch gegebene Grenze zwischen Realitäten verschwimmt, sondern allenfalls die Wahrnehmnung derselben - und dagegen kann man leicht etwas tun, wenn man denn will.
Nicht an der Nase
rumführen lassen!
Aus einer zutreffenden
Betrachtung der im Gehirn stattfindenden
Informationsverarbeitung zieht Ruch den Schluss, dass
die Unterscheidung zwischen Realität und Simulation
keinen Sinn mache, und das stimmt in ontologischer
Hinsicht wiederum, da muss man ontologisxch nix
unterscheiden, man muss nur den jeweiligen Status
kennen, also wissen, was Simulation ist und wa
snicht, um sich nicht zu verirren. Wurzlen tut dies
aber alles in unserem schnöden ollen Universum.
Es besteht die Möglichkeit der faktischen Existenz
verschiedener Realitäten, aber die für uns
physiologisch erfahrbaren, die Realitäten also, die
wir sinnlich erfahren können, mit Auge, Ohr,
Tastsinn, Zunge und Nase sind nur eine einzige
Realität. Fraglich ist sogar, ob wir geistig
überhaupt so ausgestattet sind, das wir gedanklich
und praktisch mit multiplen Realitäten zurechtkommen
könnten. Das aber für uns nur ein Universum da ist,
das deshalb auch zurecht so heißt, trifft auch für
die von Computern erzeugten Pseudorealitäten zu.
Das ist natürlich prosaischer und viel weniger
geheimnisvoll als das Gerede von multiplen Realitäten
und deren Auswirkung auf unsere Befindlichkeit. Dass
es nur eine Realität gibt, mit und in der wir
agieren, ist eine Wahrheit, die einmal darzulegen
genügt. Das aber macht es schwierig, Dutzende von
Artikeln und Bücher zu schreiben. Raunt man hingegen
wie Herr Bolz, "das Wirkliche verschmilzt mit seinem
eigenen Bild", lässt sich trefflich multipublizieren.
Besteht nur die Gefahr, die Theoreme durcheinander zu
bekommen (Das Wirkliche? - hatten 'wir'
Postmodernisten das nicht abgeschafft?), aber auch
daraus gibt es immer einen publizistischen Ausweg.
Die Wirklichkeit ist also "nicht mehr hinter den
Bildern zu finden, sondern allein in ihnen", so
wieder Bolz (dem Herrn ist, wie gesagt, schwer zu
entkommen)? Das kann man jetzt natürlich so und so
ausführen; sich mal auf ontologische Multiplizismen
verlegen und mal gesagt haben wollen, "dass die
Medienwirklichkeit" unsere "Erfahrung und
Weltwahrnehmung diktiert"; wobei ersteres Unsinn,
letzteres aber gar nicht so falsch ist. Nur wie
meinen 'wir' Postmodernisten es denn jetzt?
Wir sollten uns zumindest erst einmal darauf einigen,
dass es nur eine Realität gibt, zu der wir Zugang
haben und die zu uns Zugang hat (was schon alles über
die Relevanz anderer Realitäten aussagt). Computer
sind gänzlich von dieser Welt; die Programme, die auf
ihnen laufen, sind von weltlichen Personen mühsam von
Hand geschrieben worden (IF, NOT, OR ...) und die
virtuellen Welten von Facebook werden von weltlichen
Personen bevölkert. Und selbst wenn sich irgendwann
eine KI darunter mischen sollte, dann ist auch die
von weltlichen Personen zusammengebaut worden und zum
weltlichen Bestandteil unserer einen Realität
geworden.
Jedis in Bochum? Ja, aber
diese Fremden sind auch nur von
hier.
Selbst die unheimlichen
Realitäten (den Pädagogen unheimlich) von "World Of
Warcraft" und "Herr der Ringe Online" sind schnöde,
von weltlichen Personen erdachte Geschichten, deren
Verwurzelung in uns weltlichen Menschen sogar
besonders tief ist, leben sie doch in der Regel von
den Mythen und Archetypen, die uns seit Jahrtausenden
begleiten.
Womit ich nicht sagen will, dass das alles
unproblematisch wäre. Das ist es keinesfalls:
Datenschutz, Suchtgefahr, Mobbing, Missbrauch,
Kriminalität, Überwachungsstaat - es gibt keine
Gefahr oder Perversion, die es nicht auch in den
Netzen gäbe.
Nur eine Gefahr, die besteht bei Einsatz des gesunden
Menschenverstandes nicht: Dass man sich in
verschiedenen Realitäten verlieren (oder dorthin
fliehen) könne. Ist auch besser so, wir sind mit der
einen Wirklichkeit ja schon überfordert.