Von teilrationalen Eichhörnchen oder Warum Kopenhagen scheiterte
Für den Winter gilt es,
Nüsse zu sammeln, ...
Wir haben eine ganz
fatale, unheimlich riskante Evolutionsstufe erreicht:
Eine Menge intellektuelles Können gepaart mit nur
teilweiser Vernunft, die ständig von unserer
irrationalen Seite in Bedrängnis gebracht wird. So
sind wir halt, und die meisten wollen wohl auch nicht
anders sein, aber es wird immer wahrscheinlicher,
dass das die überwiegende Mehrheit von uns umbringt.
Was wir bräuchten, um die Erderwärmung zu stoppen,
ist eine umfassende internationale Zusammenarbeit,
die darauf basiert, dass Opfer gebracht werden
müssen. (Keine unerträglichen Opfer, aber doch
eindeutige Einschränkungen des Lebensstiles
einerseits und der Verzicht auf das Erlangen von
tollen Bequemlichkeiten und Lebensstilen, die andere
seit 50, 60 Jahren genießen, andererseits.)
Diese Opfer müssen zudem vor dem Hintergrund gebracht
werden, dass keinerlei fühlbarer Erfolg eintreten
wird. (Denn wir versuchen einen Zustand nicht
eintreten zu lassen, der in 50 bis hundert Jahren
fatal werden wird, bis dahin wird es sowieso
schlimmer werden.) Selbst wenn ein durchschlagender
Erfolg eintreten würde, würden wir den nur anhand von
Zahlen in Tabellen ‚erfahren‘ können. Das ist nichts,
was Begeisterung hervorruft und nichts, womit ein
Politiker auf den Marktplätzen in der Vorwahlzeit
Euphorie anfachen könnte.
Und bei diesen beiden Punkten - Opfer bringen müssen,
keine Erfolge verspüren - schlägt unser biologischer
Unterbau zu. Zuerst sind wir wie alle Lebewesen
Überlebensmaschinen. Dann sind wir soziale Wesen,
denn das verhalf uns in grauester Vorzeit zu besseren
Chancen im Überlebenskampf. Und dann sind wir auch
noch teilvernünftig, denn das verbesserte unser
Überleben ohne Klauen, Reißzähne und lange, schnelle
Beine noch einmal beträchtlich.
Als Überlebensmaschine sind alle Wesen darum bemüht,
die dafür nötigen Ressourcen zusammenzuhalten. So
auch wir. Wie das Eichhörnchen sammeln wir die
Nuss-Äquivalente, die wir brauchen, um durch den
harten Winter des Lebens zu kommen. Das Eichhörnchen
hört jedoch instinktiv mit dem Nüssesammeln auf, wenn
es genug zusammenhat, um den Winter zu überleben.
Wir können jedoch vorausdenken und uns überlegen,
dass ja vielleicht ein fauleres Eichhörnchen kommen
könnte, um unsere Nüsse zu klauen. Also sammeln wir
mehr. Teilweise tun wir das beispielsweise, um andere
Eichhörnchen zu bezahlen, die unseren Nussvorrat
bewachen. Außerdem können wir uns vorstellen, dass
ein Förster kommt und den Baum mit unserem Nussvorrat
fällt. Also legen wir weitere Lager auf anderen
Bäumen an; beispielsweise in Liechtenstein, wo es
keine Förster gibt. Insgesamt ist es aber schlecht,
zu viele Nüssen zu sammeln, die dann in Lagern
verrotten, weil wir sie gar nicht aufessen können,
denn ein Teil dieser Nüsse würde eigentlich benötigt,
dass neue Bäume wachsen können, die dann wieder Nüsse
spenden usw.
Als soziale Wesen sind wir zum Glück nicht völlig
dämlich, sondern teilen wenigstens unsere Nüsse.
Innerhalb der Familie, im Freundeskreis, und wenn
dann noch was übrig ist, mit dem Rest des Dorfes.
Aber nicht mit dem Nachbardorf, denn was haben wir
mit den Fremden von dort zu schaffen? Dieser
ursprünglich rein familiäre Bezug zum eigenen Rudel,
der eigenen Sippe ist ein biologisches Erbe, das wir
mit anderen Sippenwesen wie den Schimpansen teilen.
Schimpansen sind rührend besorgt innerhalb der Sippe,
Schimpansen ziehen gerne mal los und löschen eine
benachbarte Sippe von Schimpansen aus (um an deren
Nüsse zu kommen). Wie menschlich!
Jetzt haben wir uns aber außerdem noch zu ziemlich
effektiver Intelligenz hinentwickelt ... und damit
wird es fatal. Denn wir alleine können nun
Nuss-Sammelmaschinen bauen. Und die sind in den
letzten zweihundert Jahren unheimlich gut geworden.
So gut, dass wir jetzt alle Nüsse des Waldes in
Nullkommanix aufgesammelt haben. Ooops. Aber weil wir
so schlau sind, haben wir natürlich auch erkannt,
dass Letzteres ziemlich dämlich war. Also, schnell an
die Vorratslager gegangen und die Hälfte der Nüsse
wieder im Wald verteilen, damit neue Bäume angehen.
Es bleibt ja genug übrig für den Winter!
... aber wenn man das
übertreibt, gibt es bald gar keine mehr.
Außer natürlich hinten,
in der Schmuddelecke des Waldes, wo die Bäume sowieso
nicht so schön wachsen. Da haben sie jetzt aber auch
Nuss-Sammelmaschinen gebaut und stehen kurz davor,
auch mal sorgenlos durch den Winter zu kommen. Bloß -
wenn der Wald erhalten werden soll, dann ist es
nötig, dass die da hinten ihre Maschinen nicht
einsetzen. Und dass wir außerdem unseren halben
Nussvorrat aufgeben. Wir alle! (Aber man hört, dass
die da an der Teichschonung nur ein Viertel der Nüsse
abgeben wollen. Und im Buchenhaag auf der anderen
Waldseite, die wollen sogar gar nichts zurückgeben -
sagt man.) Da können wir also leider auch nix
abgeben, sonst wird unser Teil des Waldes vielleicht
auch zur Schmuddelecke. Wir sind es unseren Kindern
schuldig, die Nüsse zusammenzuhalten, denn die sollen
mal ein besseres Leben haben!
Und deshalb scheiterte Kopenhagen ...
Die Versucher - Cambridge II
The Eagle - Crick und
Watsons Triumph
Wenn man vor dem King´s
College links abbiegt und die Straße hinuntergeht, so
fällt ein blutrotes Schild mit einem Adler und der
Aufschrift „The Eagle, Cambridge“ drauf ins Auge -
das ist der Pub, in dem James Watson und Francis
Crick 1953 die Entdeckung der DNA bekanntgaben und
somit dem Geheimnis des Lebens eine ganze Menge an
Geheimnis nahmen. Und auch Darwin, der gefährlichste
aller Biologen und Geheimnisentdecker der
Lebenswissenschaften, hat hier in Cambridge gelehrt.
Diese Lebenswissenschaftler haben uns ja noch viel
schlimmere Kränkungen zugefügt als jene, die ,nur‘
die Erde aus dem Mittelpunkt des Kosmos verbannten.
Dass die unbelebte Natur nach bestimmten
Gesetzmäßigkeiten funktioniert, ist erstens
beruhigend, denn es gibt doch eine gewisse
Sicherheit, die der Glauben an wankelmütige Sturm-
und Wettergötter so nicht bietet. Es ist zweitens
zweckmäßig, denn auf diesen Gesetzmäßigkeiten kann
man Häuser, Städte, Verkehrsmittel und vieles mehr
aufbauen, die dann recht zuverlässig funktionieren
werden und einem das Leben erleichtern. Drittens
betrifft uns die unbelebte Natur nur indirekt, denn
wir sind belebt und - so man daran glaubt, und das
war immerhin jahrtausendelang weltweit Konsens -
beseelt. Wir haben also eine nur lose Verbindung zur
Natur, über die Forscherinnen und Forscher also ruhig
herausfinden können, was immer sie mögen.
Diese relative bis absolute Unabhängigkeit von der
Materie scheint nun aber gefährdet, wenn der Mensch
qua wissenschaftlicher Erklärung wieder unmittelbar
mit der ollen Materie in Zusammenhang gebracht wird.
Schritt eins dahingehend war, dass Darwin die
Evolution und die Abstammung des Menschen erklärte.
Schritt zwei war dann, den Ursprung des Lebens, den
schon Darwin in einer Ausgangsform allen
Lebens vermutete, auch noch in Zusammenhang mit der
Materie zu bringen, und das steckte hinter der
Entdeckung der DNA.
Darwins Selektionstheorie mit der Vererbungslehre
Gregor Mendels zu vereinen, das ging ja noch, ließ es
den ganz Verzweifelten doch noch Platz, irgendeine
distinkte Lebenskraft anzunehmen, auch wenn natürlich
schon Darwin unter den heftigsten Anfeindungen zu
leiden hatte. Aber dass die DNA aus Eiweißen besteht,
die wiederum aus Aminosäuren bestehen, die wiederum
aus stinkgewöhnlichen Molekülen und Atomen bestehen,
die auch in Stein, Wasser und Schlamm stecken, und
dass diese Zusammenhangskette in der umgekehrten
Richtung zu sich replizierenden Gebilden führt die
... leben (!) ..., das war ein harter Schlag, denn
damit war jegliche geheimnisvolle Lebenskraft
erledigt und auch das Leben materiell erklärbar
geworden.
Ein Hörsaal in
Cambridge - ein teuflischer Hort?
Da sitze ich jetzt also
im „Eagle“, blicke durch den typisch englischen,
dunkel-heimeligen Pub, und stelle mir die hagere
Gestalt Francis Cricks vor wie er, das Bierglas
erhoben, einem atemlosen akademischen Publikum von
dem Triumph der wissenschaftlichen Erkenntnis
berichtet. Sie werden das Foto vielleicht kennen, an
das ich gerade denken muss.
War das also der Tod aller spirituellen und
religiösen Hoffnung, wie beispielsweise Richard
Dawkins (allerdings in Oxford) annimmt?
Das ist eine Glaubensfrage und jeglicher
wissenschaftlicher Erklärung nicht
zugänglich.
Dass das so ist, ist mir natürlich schon lange klar,
aber hier im „Eagle“ erfahre ich die Sicht des
Atheisten am eigenen Körper als Glaubenshaltung.
Wieder berührt mich, wie schon bei Newtons Apfelbaum
vor dem Trinity College, ein Schauder und ein Gefühl
der Andacht ergreift mich - hier wurde
Wissenschaftsgeschichte geschrieben! Obwohl das
Ereignis im „Eagle“ wesentlich besser dokumentiert
ist, als die Übergabe der Zehn Gebote an Mose auf dem
Sinai, so kann das Gedenken daran doch ganz ähnlich
wirken.
Was mein subjektives Gefühl mit Atheismus zu tun hat,
fragen Sie? Wenig, denn es macht mir nur klar, dass
auch Wissenschaft Ehrfurcht, sogar Andacht
hervorrufen kann. Für mich ist das aber ein Hinweis
auf eine gewisse Verwandtschaft zwischen zwei
Wissensformen, die einander ansonsten diametral
gegenüberstehen. Und in der Tat geht die
Verwandtschaft noch weiter, wenn man diesen Gedanken
einmal zulässt.
Genau wie Religion und Mythos kann Wissenschaft
inspirierend und ehrfurchtgebietend wirken und
beweist damit, dass sie Menschen am Kern ihres Wesens
anzusprechen vermag. Vor den unüberwindbaren Mauern
der Erkenntnis stehend, die der Anfang aller Zeiten,
der Raum hinter dem Universum und die Räume kleiner
als die erfassbare Materie darstellen, kann auch
Wissenschaft nur noch spekulieren.
Dass die Erklärbarkeit der Aggregation von Materie zu
Gestirnen und Planeten und die Organisation von
Molekülen in Replikatoren und Organismen ein Beweis
dafür sein soll, dass dies alles ist, was es gibt und
dass kein Gott das alles veranlasst habe, ist nicht
weniger Spekulation als das Gegenteil.
Mit gleichem Recht und prinzipiell nicht geringerer
Überzeugungskraft kann der Gläubige darauf hinweisen,
dass gerade die Aggregation von Materie zu Sonnen und
mindestens einem Planeten, der Leben tragen kann,
sowie die erstaunliche Fähigkeit unbelebter Materie,
sich zur Lebensfähigkeit hin zusammenzufinden ein
sicherer Hinweis darauf ist, dass es eine Wirkursache
geben muss, die dieses an sich sehr unwahrscheinliche
Geschehen zustande kommen lässt.
Niemand kann
beweisen,
dass es ihn nicht gibt
Das erstaunliche Wunder
der Komplexität des Seins lässt sich auf beide Weisen
und wahrscheinlich mittels einer unlimitierten Anzahl
weiterer Ansätze erklären. Doch sind das in allen
Fällen eigentlich keine Erklärungen, sondern
Auslegungen. Wessen man anhängt ist die Sache jedes
Einzelnen. Verboten ist nur, jemanden anderen zur
Übernahme der eigenen Auffassung zu zwingen.
Was ich in der Atmosphäre Cambridges allerdings
außerdem irgendwie bestätigt gespürt habe, ist, dass
die Wissenschaftler in den allerwenigsten Fällen zu
missionieren versuchen und einen stattdessen
üblicherweise nach eigener Façon glücklich werden
lassen. Sich bitte zurückzunehmen, das muss man
beiden Seiten sagen; allerdings stehen auf der einen
Seite des Zauns nur ein paar Gestalten, aber auf der
anderen Seite stehen ganze Horden.
Bitte? Ach, was richtig ist, wollten Sie noch wissen?
Atheismus oder Theismus? Das fragen Sie doch bitte
keinen Agnostiker ...
Zu Darwins Geburtstag
„Darwin?“
Es gibt ein paar solcher
Menschen - Kant, an dessen Denksystem sich alle
ernsthafte Ethik messen lassen muss, Freud und
Kopernikus, die dem Menschen neben Darwin seine
anderen beiden ‚schweren Kränkungen‘ zufügten (davon
gleich mehr), und vielleicht noch zwei, drei andere -
deren Gedanken und Erkenntnisse der Evolution der
Menschheit entscheidende Schübe oder Wendungen gaben.
Und mit dem Wort Evolution sind wir auch schon bei
Darwins Verdienst, denn er beschrieb und bewies
erstmals die grundlegenden Prinzipien der Evolution.
Sicher war 1859, als die erste Auflage der Origin
of Species erschien, die Zeit irgendwie auch
reif für die Entdeckung der Evolution. Wäre es nicht
Darwin gewesen, so hätte wahrscheinlich Alfred
Russell Wallace innerhalb von zehn Jahren eine ganz
ähnliche Publikation herausgebracht. Aber es war eben
Darwin, der uns die Evolution erklärte.
Und wie er das tat! Lesen Sie einmal die
Origin und Sie werden sehen, dass Darwin
auch ein begnadeter Schriftsteller war. Kein Wunder,
dass dies Buch überzeugte ... wer weiß, welchen
Eindruck ein weniger versierter Schreiber gemacht
hätte? Zunächst war es aber natürlich sein über mehr
als zwanzig Jahre bedächtig zusammengetragenes
Theoriegebäude, das die wissenschaftliche Welt fast
mit einem Schlag überzeugte. Andere Forscher hätten
vielleicht mehr Anläufe gebraucht, wenn sie
unbedachter als Darwin vorgeprescht wären.
Auch Darwin war, wie man in dem exzellenten Buch von Jürgen
Neffe jetzt wieder einmal nachlesen kann,
schon auf seiner Weltumseglung klar geworden, wie
Evolution im Prinzip funktioniert. Doch wog er
mehr als zwanzig Jahre lang ab und sammelte
Mosaikstückchen um Mosaikstückchen für eine
lückenlose Argumentationskette. Manches, was ihm
die Beweisführung erleichtert hätte - die gesamte
Genetik beispielsweise -, konnte Darwin nicht
kennen, anderes scheint ihm entgangen zu sein - J.
Gregor Mendel und dessen Vererbungslehre etwa -;
dass er trotzdem so schlüssig argumentieren konnte
ist da nur umso beachtenswerter.
Und heute kann die Evolutionstheorie, in ihrer durch
vor allem Ernst Mayr und Julian Huxley
zusammengestellten Form der Synthetischen
Evolutionstheorie, als die am besten
nachgewiesene Annahme der Naturwissenschaften gelten.
Die Evolutionstheorie ist schon seit vielen Jahren
keine Theorie, sie ist eine Beschreibung des
Faktischen.
(Dem obigen Absatz müsste ich jetzt eigentlich eine
genau Erläuterung folgen lassen. Dann säßen Sie aber
noch in drei Stunden hier vor dem Computer oder
würden, worauf es mir heute ankommt, gar nicht mehr
lesen. Wenn Sie sich über den Wert der
Evolutionstheorie informieren wollen, so können Sie
das als ersten Einstieg schon einmal gut bei Wikipedia tun. Oder Sie warten
bis Oktober, dann wird ein Buch von Friedhelm Schneidewind und mir
im Oldib-Verlag erscheinen, dass
sich mit Evolutionstheorie und ihren Kritikern und
besonders der Irrlehre des Intelligent Design
beschäftigt - einfach den RSS-Feed abonnieren und
Sie lesen hier sofort,wenn das Buch da ist.)
An der Faktizität schon der großen Mehrheit der
frühen darwinschen Erkenntnisse ändern auch die
Erweiterungen und kleineren Modifkationen nichts.
Insbesondere in der Genetik werden zwar ständig neue
Entdeckungen gemacht, auch was die einst als völlig
beherrschende Rolle der Genetik angeht, die heute
sehr viel differenzierter gesehen und als
‚unwichtiger‘ für das Evolutionsgeschehen angesehen
wird (Stichwort: Epigenetik). Aber Darwin sprach ja
auch nicht von Genetik, sondern wies das
Evolutionsgeschehen nach, das wirklich passiert und
nur noch nicht in den kleinsten Einzelheiten
verstanden worden ist.
Dass es die Evolution aber gibt, war und ist für
viele Menschen ein Problem, das für sie so groß
werden kann, dass sie nicht in der Lage sind, die
Evolution anzuerkennen. Evolution ist in den meisten
Formen der Kritiker eine Kränkung des Menschen wie
auch Gottes. Wir Menschen sind nun einmal etwas
Besonderes, heißt es dann, etwas, das so nicht noch
einmal vorkommt - das kann und darf doch nicht aus
dem Tier entstanden sein. Wobei das Problem nicht das
„kann nicht“ ist, sondern das „darf nicht“. Warum
eigentlich darf es nicht?
Weil es die Sonderstellung des Menschen angreift.
Einst war ja unsere ganze Welt etwas ganz Besonderes,
denn das ptolemäische Weltbild stellte sie in den
Mittelpunkt alles Seienden, die Erde war der
Mittelpunkt des Kosmos. Und Menschen beherrschten
diesen Mittelpunkt, hatten ja auch den Auftrag dazu:
„Macht Euch die Erde [um die sich alles dreht]
untertan!“. Doch dann kamen ein paar Naseweise mit
den Namen Kepler, Brahe, Galilei und besonders
Kopernikus und wiesen nach - nee, is´ nich´. Die Erde
ist nur eine von vielen Kugeln im Universum. Das war
die erste große Kränkung, der Mensch stand nicht mehr
als Herrscher im Zentrum des Kosmos.
Galapagos-Archipel
Und dann kam Darwin und erklärte uns zu
Zufallsprodukten tierischer Herkunft - die zweite
große Kränkung. (Ich weiß, in der Origin
steht nur ein einziger - zurückhaltender! - Satz über
den Menschen; aber natürlich war jedem Leser klar,
was die Entwicklung der höheren Tiere, insbesondere
der Affen, aus einem gemeinsamen Ursprung für den
Menschen bedeutete.)
(Die dritte Kränkung durch Freud bestand dann -
soviel nur der Vollständigkeit halber - darin, uns zu
beweisen, dass wir nicht einmal Herr im eigenen
Oberstübchen sind, sondern von unkontrollierbaren
Affekten und anderen Einflüssen herumgeschubst
werden.)
Gegen Ende des Neunzehnten Jahrhunderts war aus dem
einstigen ‚Master of the Universe Mensch‘ ein recht
insignifikantes Häufchen Elend geworden. Etwas
einflussreicher als die ja auch nicht unverwandte
Küchenschabe zwar, aber dies nur auf einem
unbedeutenden kleinen Sandkorn im All (und im
Anschluss an Freud kann die Küchenschabe zumindest
noch als zielstrebiger denn der Mensch angesehen
werden).
Der einzige, der uns daraus noch erretten kann, ist
Gott. Und zwar dann, wenn Er uns absichtsvoll
erschaffen und mit einer Aufgabe versehen hat.
Deshalb darf der Mensch nach Ansicht der
Tiefgekränkten nicht einfach ein mit der Schabe
verwandtes Zufallsprodukt sein, sondern muss von
Anfang an eine Sonderrolle einnehmen - am besten,
indem er am siebten Tag, als Krönung der Schöpfung
und unbefleckt vom restlichen tierischen Morast, das
Licht der Welt erblickte.
Dass die Evolutionstheorie eine alternative Erklärung
zu dieser Ausformung des Schöpfungsgedankens
anbietet, ist, was sie für viele so besonders
inakzeptabel macht. Mit Kopernikus haben wir schnell
problemlos leben gelernt, zumal noch immer keine um
Gottes Gunst rivalisierende Aliens hier aufgetaucht
sind. Freud, naja, Gott hat uns eben imperfekt
geschaffen und das soll halt unsere Prüfung sein (und
außerdem wurde der olle Freiberger in ganz vielen
Aspekten schon widerlegt). Aber Darwin? Darwin ist
viel „gefährlicher“ (wie völlig
zurecht Daniel Dennett sagt).
Aber warum ist das so? Was ist denn so schlimm daran,
dass wir evolutionär entstanden sind? In welcher
Weise setzt uns das denn herab? Warum sollte Gott
nicht diesen Weg gewählt haben? Und warum - wenn es
denn unbedingt sein muss - sollten wir nicht trotzdem
„Krone“ der Schöpfung sein? Ist doch egal, auf
welchem Wege wir bewerkstelligt wurden, wenn wir denn
bewerkstelligt wurden.
Die Evolutionstheorie Darwins und aller nachfolgenden
Forscher - das kann man gar nicht oft genug sagen -
richtet sich in keiner Weise gegen den Glauben. Sie
ist völlig kompatibel mit dem Glauben. Nichts spricht
dagegen, dass Gott das alles in Gang gesetzt hat. Es
ist eben eine Glaubensfrage. Und ja - die Theorie
erlaubt in der Tat, eine Menschenentwicklung
plausibel zumachen, die ohne Gott funktioniert. Aber
hey - das kann dem Gläubigen doch wohl egal sein,
oder? Ihr schert euch doch nicht darum, was so ein
‚armer Atheist‘ behauptet ...
Was allerdings nicht mehr geht, ist, dass eine
Weltanschauungsweise die alleinige Deutungshoheit
beansprucht. Es gibt jetzt einen Grund, in dem
vorstellbare Alternativerklärungen wurzeln können.
Atheistische Weltbilder, aber auch andere spirituelle
Glaubensgefüge und Spekulationen. So könnte es doch
sein, dass Geist oder Chi sich ebenfalls evolutionär
entwickelten, genauso, wie der erste
Replikationsmechanismus aus unbelebten Bestandteilen
entstand - die Emergenztheorie ist ein spannendes,
plausibles Annahmengebilde.
Mit den Alternativen ist nun eine gewisse
Beliebigkeit eingetreten. Ihnen gefällt das Wort
nicht, denn Sie hängen einer Weltanschauung an? Diese
ist für Sie natürlich in keinster Weise beliebig,
klar. Aber dass Sie gerade von dieser, Ihrer
Weltanschauung überzeugt sind, liegt doch in Ihrer
Biographie begründet. Andere Biographien führen zu
anderen Weltanschauungen und das ist, sorry, eine Art
von Beliebigkeit. Von außen betrachtet, und das tue
ich hier.
Ich schränke ja niemandes Überzeugungen ein. Denn es
kann ja durchaus sein, dass eine bestimmte
Weltanschauung richtig und alle anderen falsch sind.
Oder dass allen Weltanschauungen ein echter wahrer
Kern unterliegt, der dann die (u.U. noch nicht
erkannte) Wahrheit darstellt. Aber bis wir das
wissen, ist alles möglich ... Dass wir es jemals
zweifelsfrei wissen werden, ist höchst
unwahrscheinlich.
Schönheit der Natur,
egal woher
Beliebigkeit, oder vielleicht besser
Alternativenreichtum ist natürlich gefährlich. Aber
er setzt Sie ja nicht gefangen, im Gegenteil wurden
Sie befreit.
Sie sind Christ? Dann hat kein Atheist das Recht,
Ihnen vorzuschreiben, an eine nicht geschöpfte Welt
zu glauben. Ihr christlicher Glaube ist frei! Sie
sind Muslim? Dann hat Darwin auch Sie in Teilen davon
befreit, sich irgendwelchen Kreuzfahrerlehren
unterwerfen zu müssen. Wenn Sie Atheist sind, wissen
Sie sowieso, was ich meine, müssen aber daran denken,
dass Sie nicht das Recht haben, jemandem seine
Überzeugung zu entreißen - Sie sind frei, er ist
frei.
In diesem Sinne stimmt es dann einmal: Wahrheit macht
frei. Frei zu glauben, aber auch frei vom Zwang
zu einem bestimmten Glauben.
Wahrscheinlich ist es diese Freiheit, die den
Kreationisten ein Dorn im Auge ist. Deshalb kommen
die heute, wo das mit dem
auf-den-Scheiterhaufen-schmeißen nicht mehr ganz so
einfach geht, auch wissenschaftlich daher und stellen
eine sogenannte Alternativtheorie zur
Diskussion: die Lehre vom Intelligent Design, ID.
ID besagt, dass bestimmte Aspekte des Kosmos und des
Lebens besser durch eine intelligente Ursache (i.e.
Gott) erklärt werden als durch andere Theorien,
insbesondere besser als die Annahme, dass Leben sich
durch den ungerichteten Zufall entwickelt habe. So,
sinngemäß, etwa das Discovery Institute,
eine führende us-amerikanische ID-Institution (die es
sich auch nicht nehmen lässt, gerade heute, an seinem
Geburtstag, kräftig gegen Darwin zu polemisieren).
Es gibt viele Probleme, die die Heilslehre des ID
zeitigt. Andererseits ist ID aber auch überhaupt kein
Problem - in bestimmter Hinsicht. Denn was ID zu sein
vorgibt, ist es schlicht nicht, kann es schlicht
nicht sein. ID ist nämlich keine rivalisierende
wissenschaftliche Theorie, denn ID stellt sich
außerhalb der Wissenschaften, da seine Annahmen
prinzipiell nicht nachprüfbar sind.
Die der Evolutionstheorie hingegen schon, denn in die
noch vorhandenen sowie eine Vielzahl vermeintlicher
Lücken dieser Beweise stößt ID ja andauernd hinein.
Natürlich ist ID herzlich eingeladen, auf diese
Lücken aufmerksam zu machen; jeder ist aufgefordert,
Wissenschaft durch Kritik weiterzubringen. Unredlich
aber ist es, sich hinter dem Pulverrauch der
vorgebrachten Kritik selbst als Wissenschaft zu
gerieren, wenn man doch nichts weiter anbietet als
Glaubensinhalte.
Klar ist es denkbar, dass Gott das Universum so
geschaffen hat, wie es denn aussieht, und auch, dass
er es nur geschaffen hat, um den Menschen darin zu
platzieren. Nur überprüfbar ist das eben nicht und
deshalb ist ID eine Heilslehre (wenn man denn von
„Heil“ reden kann), keine Wissenschaft. Mit der
gleichen Plausibilität, die das ID vertritt, kann man
davon ausgehen, dass hinter allem Sein das Fliegende Spaghettimonster
steckt. Und das ist mir viel sympathischer,
wettert es doch wenigstens nicht gegen alle
Freiheiten, die mühsam gegen die
Kirchenfundamentalisten erkämpft wurden.
Was Darwin demgegenüber anzubieten hatte, war eine
lange Kette von empirischen Beweisen. Was er schuf
war gute, nein, allerbeste Wissenschaft, so wie sie
zu sein hat. Ja, Darwin war Atheist - später. Aber
der Weg dorthin war nicht leicht für ihn und die
Beweise für die Evolution fand und interpretierte er
schon zu Zeiten als er noch Christ war. Warum auch
nicht, widersprüchlich ist beides ja eben gerade
nicht.
Darwin 2009
Charles Darwin, geboren am 12. Februar vor 200
Jahren.
Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für alles!
Neues Buch begonnen
Beschäftigt habe ich mich damit immer. Aber jetzt habe ich konkret die Arbeit an einem neuen Buch aufgenommen, dass ich mit meinem Freund und Kollegen Friedhelm Schneidewind zusammen für den Oldib-Verlag schreibe. Es wird eine Arbeit über Evolution und gegen die Lehren des Kreationismus und des intelligent design werden. Es basiert damit auf Überlegungen, die ich auf polyoinos hier und hier schon vor einiger Zeit veröffentlicht habe. Wenn alles gut läuft, ist das Buch im Sommer 2009 fertig.
Die Enzyklopädie des Lebens
Was ist eigentlich der Wert der Biodiversität, also des Umstandes, dass das Leben in unterschiedlichen Formen und Arten auftritt? In allererster Linie liegt der Wert möglichst verschiedenartiger Lebensformen darin, dass das Leben dadurch insgesamt auf stabilerer Basis steht, denn Krankheiten sind meist spezialisiert auf bestimmte Lebensformen oder Gruppen von Lebensformen und die unterschiedlichen Arten bestehen gegenüber schädlichen Umwelteinflüssen mal besser, mal schlechter, aber je unterschiedlicher das Leben auftritt desto größer ist sein Chance, Krankheiten und Umweltverschmutzung zu widerstehen. Monokulturen, das haben viele Epidemien gezeigt, gehen sehr leicht unter. Dazu kommt, dass Biodiversität für den Menschen auch in mindestens dreierlei Hinsicht wichtig ist: wir leben von Lebensformen, also ist es besser für uns, wenn es deren mehrere und gesündere gibt; wir lernen von Lebensformen in den Ingenieurs-, Bio-, und Medizinwissenschaften und je mehr da ist, von dem wir lernen können, desto besser ist es für unser Überleben; aber auch der ästhetische Wert intakter Natur für unsere seelische Gesundheit darf nicht unterschätzt werden. Als vierter Punkt wird in jüngerer Zeit auch der ökonomische Wert einer effektiveren Ausnutzung der Biodiversität betont, der dann gegeben ist, wenn aus größerer Vielfalt gewählt werden kann, um vermarktbare Produkte zu entwickeln.
Leider geht der Mensch äußerst effizient gegen die noch bestehende Biodiversifikation vor, indem er die Meere und Länder verschmutzt, urwüchsige Pflanzenwelt im Austausch für Felder und Weiden abholzt und zugunsten des Gewinns nichtorganischer Bodenschätze das Leben verdrängt. Wie reich das Leben (noch) ist, können Sie jetzt nach und nach mitverfolgen, wenn Sie die Website der Encyclopedia of Life (www.eol.org) im Auge behalten. Das hochambitionierte Projekt, das der Insektenforscher, Begründer der Soziobiologie und Umweltexperte Edmund O. Wilson ins Leben gerufen hat, verfolgt das Ziel, alle auf der Erde vorkommenden Lebensformen in einer riesigen Datenbank (Schätzungen gehen von bis zu 100 Millionen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten aus) mit je eigener Seite vorzustellen und zu beschreiben. Derzeit sind 25.000 Tier- und Pflanzenarten beschrieben und für 1 Million weitere liegen Grundinformationen vor; täglich werden es mehr. Ein wertvoller Wissensquell für alle Menschen, die am Leben und seinen Erscheinungsformen interessiert sind!