Von teilrationalen Eichhörnchen oder Warum Kopenhagen scheiterte

Die Klimaschutzkonferenz in Kopenhagen ist vollkommen gescheitert - anders kann man es nicht ausdrücken. Woran lag das? Abseits der heute, Montag, 21.12., in den Medien meist vorgebrachten Erklärungen über zwischenstaatliches Misstrauen, Wirtschaftsinteressen, Machtstreben und dem Versagen von internationalen Organisationen, lässt sich jedoch der Mensch als solcher als Grund für das Scheitern von Kopenhagen festmachen. Denn er ist leider zu schlau für ein Eichhörnchen ...

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Für den Winter gilt es, Nüsse zu sammeln, ...

Wir haben eine ganz fatale, unheimlich riskante Evolutionsstufe erreicht: Eine Menge intellektuelles Können gepaart mit nur teilweiser Vernunft, die ständig von unserer irrationalen Seite in Bedrängnis gebracht wird. So sind wir halt, und die meisten wollen wohl auch nicht anders sein, aber es wird immer wahrscheinlicher, dass das die überwiegende Mehrheit von uns umbringt.

Was wir bräuchten, um die Erderwärmung zu stoppen, ist eine umfassende internationale Zusammenarbeit, die darauf basiert, dass Opfer gebracht werden müssen. (Keine unerträglichen Opfer, aber doch eindeutige Einschränkungen des Lebensstiles einerseits und der Verzicht auf das Erlangen von tollen Bequemlichkeiten und Lebensstilen, die andere seit 50, 60 Jahren genießen, andererseits.)

Diese Opfer müssen zudem vor dem Hintergrund gebracht werden, dass keinerlei fühlbarer Erfolg eintreten wird. (Denn wir versuchen einen Zustand nicht eintreten zu lassen, der in 50 bis hundert Jahren fatal werden wird, bis dahin wird es sowieso schlimmer werden.) Selbst wenn ein durchschlagender Erfolg eintreten würde, würden wir den nur anhand von Zahlen in Tabellen ‚erfahren‘ können. Das ist nichts, was Begeisterung hervorruft und nichts, womit ein Politiker auf den Marktplätzen in der Vorwahlzeit Euphorie anfachen könnte.

Und bei diesen beiden Punkten - Opfer bringen müssen, keine Erfolge verspüren - schlägt unser biologischer Unterbau zu. Zuerst sind wir wie alle Lebewesen Überlebensmaschinen. Dann sind wir soziale Wesen, denn das verhalf uns in grauester Vorzeit zu besseren Chancen im Überlebenskampf. Und dann sind wir auch noch teilvernünftig, denn das verbesserte unser Überleben ohne Klauen, Reißzähne und lange, schnelle Beine noch einmal beträchtlich.

Als Überlebensmaschine sind alle Wesen darum bemüht, die dafür nötigen Ressourcen zusammenzuhalten. So auch wir. Wie das Eichhörnchen sammeln wir die Nuss-Äquivalente, die wir brauchen, um durch den harten Winter des Lebens zu kommen. Das Eichhörnchen hört jedoch instinktiv mit dem Nüssesammeln auf, wenn es genug zusammenhat, um den Winter zu überleben.

Wir können jedoch vorausdenken und uns überlegen, dass ja vielleicht ein fauleres Eichhörnchen kommen könnte, um unsere Nüsse zu klauen. Also sammeln wir mehr. Teilweise tun wir das beispielsweise, um andere Eichhörnchen zu bezahlen, die unseren Nussvorrat bewachen. Außerdem können wir uns vorstellen, dass ein Förster kommt und den Baum mit unserem Nussvorrat fällt. Also legen wir weitere Lager auf anderen Bäumen an; beispielsweise in Liechtenstein, wo es keine Förster gibt. Insgesamt ist es aber schlecht, zu viele Nüssen zu sammeln, die dann in Lagern verrotten, weil wir sie gar nicht aufessen können, denn ein Teil dieser Nüsse würde eigentlich benötigt, dass neue Bäume wachsen können, die dann wieder Nüsse spenden usw.

Als soziale Wesen sind wir zum Glück nicht völlig dämlich, sondern teilen wenigstens unsere Nüsse. Innerhalb der Familie, im Freundeskreis, und wenn dann noch was übrig ist, mit dem Rest des Dorfes. Aber nicht mit dem Nachbardorf, denn was haben wir mit den Fremden von dort zu schaffen? Dieser ursprünglich rein familiäre Bezug zum eigenen Rudel, der eigenen Sippe ist ein biologisches Erbe, das wir mit anderen Sippenwesen wie den Schimpansen teilen. Schimpansen sind rührend besorgt innerhalb der Sippe, Schimpansen ziehen gerne mal los und löschen eine benachbarte Sippe von Schimpansen aus (um an deren Nüsse zu kommen). Wie menschlich!

Jetzt haben wir uns aber außerdem noch zu ziemlich effektiver Intelligenz hinentwickelt ... und damit wird es fatal. Denn wir alleine können nun Nuss-Sammelmaschinen bauen. Und die sind in den letzten zweihundert Jahren unheimlich gut geworden. So gut, dass wir jetzt alle Nüsse des Waldes in Nullkommanix aufgesammelt haben. Ooops. Aber weil wir so schlau sind, haben wir natürlich auch erkannt, dass Letzteres ziemlich dämlich war. Also, schnell an die Vorratslager gegangen und die Hälfte der Nüsse wieder im Wald verteilen, damit neue Bäume angehen. Es bleibt ja genug übrig für den Winter!

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... aber wenn man das übertreibt, gibt es bald gar keine mehr.

Außer natürlich hinten, in der Schmuddelecke des Waldes, wo die Bäume sowieso nicht so schön wachsen. Da haben sie jetzt aber auch Nuss-Sammelmaschinen gebaut und stehen kurz davor, auch mal sorgenlos durch den Winter zu kommen. Bloß - wenn der Wald erhalten werden soll, dann ist es nötig, dass die da hinten ihre Maschinen nicht einsetzen. Und dass wir außerdem unseren halben Nussvorrat aufgeben. Wir alle! (Aber man hört, dass die da an der Teichschonung nur ein Viertel der Nüsse abgeben wollen. Und im Buchenhaag auf der anderen Waldseite, die wollen sogar gar nichts zurückgeben - sagt man.) Da können wir also leider auch nix abgeben, sonst wird unser Teil des Waldes vielleicht auch zur Schmuddelecke. Wir sind es unseren Kindern schuldig, die Nüsse zusammenzuhalten, denn die sollen mal ein besseres Leben haben!

Und deshalb scheiterte Kopenhagen ...

Die Versucher - Cambridge II

Cambridge - Hort des Wissens und der Gelehrsamkeit - in Gedanken bin ich immer noch dort, wovon das Blog vor ein paar Tagen berichtete, als ich an dieser Stelle über die Physiker und ihre Rationalität sprach und darüber nachdachte, wie Spiritualität sich mit den Naturwissenschaften vereinbaren lässt. Aber es gab ja noch ,weit schlimmere‘ Welterklärer hier in Cambridge als die Physiker.

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The Eagle - Crick und Watsons Triumph

Wenn man vor dem King´s College links abbiegt und die Straße hinuntergeht, so fällt ein blutrotes Schild mit einem Adler und der Aufschrift „The Eagle, Cambridge“ drauf ins Auge - das ist der Pub, in dem James Watson und Francis Crick 1953 die Entdeckung der DNA bekanntgaben und somit dem Geheimnis des Lebens eine ganze Menge an Geheimnis nahmen. Und auch Darwin, der gefährlichste aller Biologen und Geheimnisentdecker der Lebenswissenschaften, hat hier in Cambridge gelehrt. Diese Lebenswissenschaftler haben uns ja noch viel schlimmere Kränkungen zugefügt als jene, die ,nur‘ die Erde aus dem Mittelpunkt des Kosmos verbannten.

Dass die unbelebte Natur nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten funktioniert, ist erstens beruhigend, denn es gibt doch eine gewisse Sicherheit, die der Glauben an wankelmütige Sturm- und Wettergötter so nicht bietet. Es ist zweitens zweckmäßig, denn auf diesen Gesetzmäßigkeiten kann man Häuser, Städte, Verkehrsmittel und vieles mehr aufbauen, die dann recht zuverlässig funktionieren werden und einem das Leben erleichtern. Drittens betrifft uns die unbelebte Natur nur indirekt, denn wir sind belebt und - so man daran glaubt, und das war immerhin jahrtausendelang weltweit Konsens - beseelt. Wir haben also eine nur lose Verbindung zur Natur, über die Forscherinnen und Forscher also ruhig herausfinden können, was immer sie mögen.

Diese relative bis absolute Unabhängigkeit von der Materie scheint nun aber gefährdet, wenn der Mensch qua wissenschaftlicher Erklärung wieder unmittelbar mit der ollen Materie in Zusammenhang gebracht wird. Schritt eins dahingehend war, dass Darwin die Evolution und die Abstammung des Menschen erklärte. Schritt zwei war dann, den Ursprung des Lebens, den schon Darwin in einer Ausgangsform allen Lebens vermutete, auch noch in Zusammenhang mit der Materie zu bringen, und das steckte hinter der Entdeckung der DNA.

Darwins Selektionstheorie mit der Vererbungslehre Gregor Mendels zu vereinen, das ging ja noch, ließ es den ganz Verzweifelten doch noch Platz, irgendeine distinkte Lebenskraft anzunehmen, auch wenn natürlich schon Darwin unter den heftigsten Anfeindungen zu leiden hatte. Aber dass die DNA aus Eiweißen besteht, die wiederum aus Aminosäuren bestehen, die wiederum aus stinkgewöhnlichen Molekülen und Atomen bestehen, die auch in Stein, Wasser und Schlamm stecken, und dass diese Zusammenhangskette in der umgekehrten Richtung zu sich replizierenden Gebilden führt die ... leben (!) ..., das war ein harter Schlag, denn damit war jegliche geheimnisvolle Lebenskraft erledigt und auch das Leben materiell erklärbar geworden.

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Ein Hörsaal in Cambridge - ein teuflischer Hort?

Da sitze ich jetzt also im „Eagle“, blicke durch den typisch englischen, dunkel-heimeligen Pub, und stelle mir die hagere Gestalt Francis Cricks vor wie er, das Bierglas erhoben, einem atemlosen akademischen Publikum von dem Triumph der wissenschaftlichen Erkenntnis berichtet. Sie werden das Foto vielleicht kennen, an das ich gerade denken muss.

War das also der Tod aller spirituellen und religiösen Hoffnung, wie beispielsweise Richard Dawkins (allerdings in Oxford) annimmt?

Das ist eine Glaubensfrage und jeglicher wissenschaftlicher Erklärung nicht zugänglich.

Dass das so ist, ist mir natürlich schon lange klar, aber hier im „Eagle“ erfahre ich die Sicht des Atheisten am eigenen Körper als Glaubenshaltung. Wieder berührt mich, wie schon bei Newtons Apfelbaum vor dem Trinity College, ein Schauder und ein Gefühl der Andacht ergreift mich - hier wurde Wissenschaftsgeschichte geschrieben! Obwohl das Ereignis im „Eagle“ wesentlich besser dokumentiert ist, als die Übergabe der Zehn Gebote an Mose auf dem Sinai, so kann das Gedenken daran doch ganz ähnlich wirken.

Was mein subjektives Gefühl mit Atheismus zu tun hat, fragen Sie? Wenig, denn es macht mir nur klar, dass auch Wissenschaft Ehrfurcht, sogar Andacht hervorrufen kann. Für mich ist das aber ein Hinweis auf eine gewisse Verwandtschaft zwischen zwei Wissensformen, die einander ansonsten diametral gegenüberstehen. Und in der Tat geht die Verwandtschaft noch weiter, wenn man diesen Gedanken einmal zulässt.

Genau wie Religion und Mythos kann Wissenschaft inspirierend und ehrfurchtgebietend wirken und beweist damit, dass sie Menschen am Kern ihres Wesens anzusprechen vermag. Vor den unüberwindbaren Mauern der Erkenntnis stehend, die der Anfang aller Zeiten, der Raum hinter dem Universum und die Räume kleiner als die erfassbare Materie darstellen, kann auch Wissenschaft nur noch spekulieren.

Dass die Erklärbarkeit der Aggregation von Materie zu Gestirnen und Planeten und die Organisation von Molekülen in Replikatoren und Organismen ein Beweis dafür sein soll, dass dies alles ist, was es gibt und dass kein Gott das alles veranlasst habe, ist nicht weniger Spekulation als das Gegenteil.

Mit gleichem Recht und prinzipiell nicht geringerer Überzeugungskraft kann der Gläubige darauf hinweisen, dass gerade die Aggregation von Materie zu Sonnen und mindestens einem Planeten, der Leben tragen kann, sowie die erstaunliche Fähigkeit unbelebter Materie, sich zur Lebensfähigkeit hin zusammenzufinden ein sicherer Hinweis darauf ist, dass es eine Wirkursache geben muss, die dieses an sich sehr unwahrscheinliche Geschehen zustande kommen lässt.

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Niemand kann beweisen, dass es ihn nicht gibt

Das erstaunliche Wunder der Komplexität des Seins lässt sich auf beide Weisen und wahrscheinlich mittels einer unlimitierten Anzahl weiterer Ansätze erklären. Doch sind das in allen Fällen eigentlich keine Erklärungen, sondern Auslegungen. Wessen man anhängt ist die Sache jedes Einzelnen. Verboten ist nur, jemanden anderen zur Übernahme der eigenen Auffassung zu zwingen.

Was ich in der Atmosphäre Cambridges allerdings außerdem irgendwie bestätigt gespürt habe, ist, dass die Wissenschaftler in den allerwenigsten Fällen zu missionieren versuchen und einen stattdessen üblicherweise nach eigener Façon glücklich werden lassen. Sich bitte zurückzunehmen, das muss man beiden Seiten sagen; allerdings stehen auf der einen Seite des Zauns nur ein paar Gestalten, aber auf der anderen Seite stehen ganze Horden.

Bitte? Ach, was richtig ist, wollten Sie noch wissen? Atheismus oder Theismus? Das fragen Sie doch bitte keinen Agnostiker ...



Zu Darwins Geburtstag

Am 12. Februar 1809, vor genau zweihundert Jahren wurde Charles Darwin geboren, wie Ihnen dieser Tage kaum entgehen dürfte. Auch wenn der britische Naturforscher also derzeit in aller Munde/in allen Medien ist, möchte auch ich ein paar Worte über diesen Mann verlieren, der die Welt verändert hat wie kaum ein Mensch vor ihm.

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„Darwin?“

Es gibt ein paar solcher Menschen - Kant, an dessen Denksystem sich alle ernsthafte Ethik messen lassen muss, Freud und Kopernikus, die dem Menschen neben Darwin seine anderen beiden ‚schweren Kränkungen‘ zufügten (davon gleich mehr), und vielleicht noch zwei, drei andere - deren Gedanken und Erkenntnisse der Evolution der Menschheit entscheidende Schübe oder Wendungen gaben.

Und mit dem Wort Evolution sind wir auch schon bei Darwins Verdienst, denn er beschrieb und bewies erstmals die grundlegenden Prinzipien der Evolution. Sicher war 1859, als die erste Auflage der Origin of Species erschien, die Zeit irgendwie auch reif für die Entdeckung der Evolution. Wäre es nicht Darwin gewesen, so hätte wahrscheinlich Alfred Russell Wallace innerhalb von zehn Jahren eine ganz ähnliche Publikation herausgebracht. Aber es war eben Darwin, der uns die Evolution erklärte.

Und wie er das tat! Lesen Sie einmal die Origin und Sie werden sehen, dass Darwin auch ein begnadeter Schriftsteller war. Kein Wunder, dass dies Buch überzeugte ... wer weiß, welchen Eindruck ein weniger versierter Schreiber gemacht hätte? Zunächst war es aber natürlich sein über mehr als zwanzig Jahre bedächtig zusammengetragenes Theoriegebäude, das die wissenschaftliche Welt fast mit einem Schlag überzeugte. Andere Forscher hätten vielleicht mehr Anläufe gebraucht, wenn sie unbedachter als Darwin vorgeprescht wären.

Auch Darwin war, wie man in dem exzellenten Buch von Jürgen Neffe jetzt wieder einmal nachlesen kann, schon auf seiner Weltumseglung klar geworden, wie Evolution im Prinzip funktioniert. Doch wog er mehr als zwanzig Jahre lang ab und sammelte Mosaikstückchen um Mosaikstückchen für eine lückenlose Argumentationskette. Manches, was ihm die Beweisführung erleichtert hätte - die gesamte Genetik beispielsweise -, konnte Darwin nicht kennen, anderes scheint ihm entgangen zu sein - J. Gregor Mendel und dessen Vererbungslehre etwa -; dass er trotzdem so schlüssig argumentieren konnte ist da nur umso beachtenswerter.

Und heute kann die Evolutionstheorie, in ihrer durch vor allem Ernst Mayr und Julian Huxley zusammengestellten Form der Synthetischen Evolutionstheorie, als die am besten nachgewiesene Annahme der Naturwissenschaften gelten. Die Evolutionstheorie ist schon seit vielen Jahren keine Theorie, sie ist eine Beschreibung des Faktischen.

(Dem obigen Absatz müsste ich jetzt eigentlich eine genau Erläuterung folgen lassen. Dann säßen Sie aber noch in drei Stunden hier vor dem Computer oder würden, worauf es mir heute ankommt, gar nicht mehr lesen. Wenn Sie sich über den Wert der Evolutionstheorie informieren wollen, so können Sie das als ersten Einstieg schon einmal gut bei Wikipedia tun. Oder Sie warten bis Oktober, dann wird ein Buch von Friedhelm Schneidewind und mir im Oldib-Verlag erscheinen, dass sich mit Evolutionstheorie und ihren Kritikern und besonders der Irrlehre des Intelligent Design beschäftigt - einfach den RSS-Feed abonnieren und Sie lesen hier sofort,wenn das Buch da ist.)

An der Faktizität schon der großen Mehrheit der frühen darwinschen Erkenntnisse ändern auch die Erweiterungen und kleineren Modifkationen nichts. Insbesondere in der Genetik werden zwar ständig neue Entdeckungen gemacht, auch was die einst als völlig beherrschende Rolle der Genetik angeht, die heute sehr viel differenzierter gesehen und als ‚unwichtiger‘ für das Evolutionsgeschehen angesehen wird (Stichwort: Epigenetik). Aber Darwin sprach ja auch nicht von Genetik, sondern wies das Evolutionsgeschehen nach, das wirklich passiert und nur noch nicht in den kleinsten Einzelheiten verstanden worden ist.

Dass es die Evolution aber gibt, war und ist für viele Menschen ein Problem, das für sie so groß werden kann, dass sie nicht in der Lage sind, die Evolution anzuerkennen. Evolution ist in den meisten Formen der Kritiker eine Kränkung des Menschen wie auch Gottes. Wir Menschen sind nun einmal etwas Besonderes, heißt es dann, etwas, das so nicht noch einmal vorkommt - das kann und darf doch nicht aus dem Tier entstanden sein. Wobei das Problem nicht das „kann nicht“ ist, sondern das „darf nicht“. Warum eigentlich darf es nicht?

Weil es die Sonderstellung des Menschen angreift. Einst war ja unsere ganze Welt etwas ganz Besonderes, denn das ptolemäische Weltbild stellte sie in den Mittelpunkt alles Seienden, die Erde war der Mittelpunkt des Kosmos. Und Menschen beherrschten diesen Mittelpunkt, hatten ja auch den Auftrag dazu: „Macht Euch die Erde [um die sich alles dreht] untertan!“. Doch dann kamen ein paar Naseweise mit den Namen Kepler, Brahe, Galilei und besonders Kopernikus und wiesen nach - nee, is´ nich´. Die Erde ist nur eine von vielen Kugeln im Universum. Das war die erste große Kränkung, der Mensch stand nicht mehr als Herrscher im Zentrum des Kosmos.

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Galapagos-Archipel


Und dann kam Darwin und erklärte uns zu Zufallsprodukten tierischer Herkunft - die zweite große Kränkung. (Ich weiß, in der Origin steht nur ein einziger - zurückhaltender! - Satz über den Menschen; aber natürlich war jedem Leser klar, was die Entwicklung der höheren Tiere, insbesondere der Affen, aus einem gemeinsamen Ursprung für den Menschen bedeutete.)

(Die dritte Kränkung durch Freud bestand dann - soviel nur der Vollständigkeit halber - darin, uns zu beweisen, dass wir nicht einmal Herr im eigenen Oberstübchen sind, sondern von unkontrollierbaren Affekten und anderen Einflüssen herumgeschubst werden.)

Gegen Ende des Neunzehnten Jahrhunderts war aus dem einstigen ‚Master of the Universe Mensch‘ ein recht insignifikantes Häufchen Elend geworden. Etwas einflussreicher als die ja auch nicht unverwandte Küchenschabe zwar, aber dies nur auf einem unbedeutenden kleinen Sandkorn im All (und im Anschluss an Freud kann die Küchenschabe zumindest noch als zielstrebiger denn der Mensch angesehen werden).

Der einzige, der uns daraus noch erretten kann, ist Gott. Und zwar dann, wenn Er uns absichtsvoll erschaffen und mit einer Aufgabe versehen hat. Deshalb darf der Mensch nach Ansicht der Tiefgekränkten nicht einfach ein mit der Schabe verwandtes Zufallsprodukt sein, sondern muss von Anfang an eine Sonderrolle einnehmen - am besten, indem er am siebten Tag, als Krönung der Schöpfung und unbefleckt vom restlichen tierischen Morast, das Licht der Welt erblickte.

Dass die Evolutionstheorie eine alternative Erklärung zu dieser Ausformung des Schöpfungsgedankens anbietet, ist, was sie für viele so besonders inakzeptabel macht. Mit Kopernikus haben wir schnell problemlos leben gelernt, zumal noch immer keine um Gottes Gunst rivalisierende Aliens hier aufgetaucht sind. Freud, naja, Gott hat uns eben imperfekt geschaffen und das soll halt unsere Prüfung sein (und außerdem wurde der olle Freiberger in ganz vielen Aspekten schon widerlegt). Aber Darwin? Darwin ist viel „gefährlicher“ (wie völlig zurecht Daniel Dennett sagt).

Aber warum ist das so? Was ist denn so schlimm daran, dass wir evolutionär entstanden sind? In welcher Weise setzt uns das denn herab? Warum sollte Gott nicht diesen Weg gewählt haben? Und warum - wenn es denn unbedingt sein muss - sollten wir nicht trotzdem „Krone“ der Schöpfung sein? Ist doch egal, auf welchem Wege wir bewerkstelligt wurden, wenn wir denn bewerkstelligt wurden.

Die Evolutionstheorie Darwins und aller nachfolgenden Forscher - das kann man gar nicht oft genug sagen - richtet sich in keiner Weise gegen den Glauben. Sie ist völlig kompatibel mit dem Glauben. Nichts spricht dagegen, dass Gott das alles in Gang gesetzt hat. Es ist eben eine Glaubensfrage. Und ja - die Theorie erlaubt in der Tat, eine Menschenentwicklung plausibel zumachen, die ohne Gott funktioniert. Aber hey - das kann dem Gläubigen doch wohl egal sein, oder? Ihr schert euch doch nicht darum, was so ein ‚armer Atheist‘ behauptet ...

Was allerdings nicht mehr geht, ist, dass eine Weltanschauungsweise die alleinige Deutungshoheit beansprucht. Es gibt jetzt einen Grund, in dem vorstellbare Alternativerklärungen wurzeln können. Atheistische Weltbilder, aber auch andere spirituelle Glaubensgefüge und Spekulationen. So könnte es doch sein, dass Geist oder Chi sich ebenfalls evolutionär entwickelten, genauso, wie der erste Replikationsmechanismus aus unbelebten Bestandteilen entstand - die Emergenztheorie ist ein spannendes, plausibles Annahmengebilde.

Mit den Alternativen ist nun eine gewisse Beliebigkeit eingetreten. Ihnen gefällt das Wort nicht, denn Sie hängen einer Weltanschauung an? Diese ist für Sie natürlich in keinster Weise beliebig, klar. Aber dass Sie gerade von dieser, Ihrer Weltanschauung überzeugt sind, liegt doch in Ihrer Biographie begründet. Andere Biographien führen zu anderen Weltanschauungen und das ist, sorry, eine Art von Beliebigkeit. Von außen betrachtet, und das tue ich hier.

Ich schränke ja niemandes Überzeugungen ein. Denn es kann ja durchaus sein, dass eine bestimmte Weltanschauung richtig und alle anderen falsch sind. Oder dass allen Weltanschauungen ein echter wahrer Kern unterliegt, der dann die (u.U. noch nicht erkannte) Wahrheit darstellt. Aber bis wir das wissen, ist alles möglich ... Dass wir es jemals zweifelsfrei wissen werden, ist höchst unwahrscheinlich.

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Schönheit der Natur, egal woher


Beliebigkeit, oder vielleicht besser Alternativenreichtum ist natürlich gefährlich. Aber er setzt Sie ja nicht gefangen, im Gegenteil wurden Sie befreit.

Sie sind Christ? Dann hat kein Atheist das Recht, Ihnen vorzuschreiben, an eine nicht geschöpfte Welt zu glauben. Ihr christlicher Glaube ist frei! Sie sind Muslim? Dann hat Darwin auch Sie in Teilen davon befreit, sich irgendwelchen Kreuzfahrerlehren unterwerfen zu müssen. Wenn Sie Atheist sind, wissen Sie sowieso, was ich meine, müssen aber daran denken, dass Sie nicht das Recht haben, jemandem seine Überzeugung zu entreißen - Sie sind frei, er ist frei.

In diesem Sinne stimmt es dann einmal: Wahrheit macht frei. Frei zu glauben, aber auch frei vom Zwang zu einem bestimmten Glauben.

Wahrscheinlich ist es diese Freiheit, die den Kreationisten ein Dorn im Auge ist. Deshalb kommen die heute, wo das mit dem auf-den-Scheiterhaufen-schmeißen nicht mehr ganz so einfach geht, auch wissenschaftlich daher und stellen eine sogenannte Alternativtheorie zur Diskussion: die Lehre vom Intelligent Design, ID.

ID besagt, dass bestimmte Aspekte des Kosmos und des Lebens besser durch eine intelligente Ursache (i.e. Gott) erklärt werden als durch andere Theorien, insbesondere besser als die Annahme, dass Leben sich durch den ungerichteten Zufall entwickelt habe. So, sinngemäß, etwa das Discovery Institute, eine führende us-amerikanische ID-Institution (die es sich auch nicht nehmen lässt, gerade heute, an seinem Geburtstag, kräftig gegen Darwin zu polemisieren).

Es gibt viele Probleme, die die Heilslehre des ID zeitigt. Andererseits ist ID aber auch überhaupt kein Problem - in bestimmter Hinsicht. Denn was ID zu sein vorgibt, ist es schlicht nicht, kann es schlicht nicht sein. ID ist nämlich keine rivalisierende wissenschaftliche Theorie, denn ID stellt sich außerhalb der Wissenschaften, da seine Annahmen prinzipiell nicht nachprüfbar sind.

Die der Evolutionstheorie hingegen schon, denn in die noch vorhandenen sowie eine Vielzahl vermeintlicher Lücken dieser Beweise stößt ID ja andauernd hinein. Natürlich ist ID herzlich eingeladen, auf diese Lücken aufmerksam zu machen; jeder ist aufgefordert, Wissenschaft durch Kritik weiterzubringen. Unredlich aber ist es, sich hinter dem Pulverrauch der vorgebrachten Kritik selbst als Wissenschaft zu gerieren, wenn man doch nichts weiter anbietet als Glaubensinhalte.

Klar ist es denkbar, dass Gott das Universum so geschaffen hat, wie es denn aussieht, und auch, dass er es nur geschaffen hat, um den Menschen darin zu platzieren. Nur überprüfbar ist das eben nicht und deshalb ist ID eine Heilslehre (wenn man denn von „Heil“ reden kann), keine Wissenschaft. Mit der gleichen Plausibilität, die das ID vertritt, kann man davon ausgehen, dass hinter allem Sein das Fliegende Spaghettimonster steckt. Und das ist mir viel sympathischer, wettert es doch wenigstens nicht gegen alle Freiheiten, die mühsam gegen die Kirchenfundamentalisten erkämpft wurden.

Was Darwin demgegenüber anzubieten hatte, war eine lange Kette von empirischen Beweisen. Was er schuf war gute, nein, allerbeste Wissenschaft, so wie sie zu sein hat. Ja, Darwin war Atheist - später. Aber der Weg dorthin war nicht leicht für ihn und die Beweise für die Evolution fand und interpretierte er schon zu Zeiten als er noch Christ war. Warum auch nicht, widersprüchlich ist beides ja eben gerade nicht.

Darwin 2009
Darwin 2009


Charles Darwin, geboren am 12. Februar vor 200 Jahren.
Herzlichen Glückwunsch und vielen Dank für alles!



Neues Buch begonnen

Warum auf einmal, nach längerer Zeit der fast ausschließlichen Beschäftigung mit literarischen Themen, auf einmal der Umweltschutz und die Bioethik wieder als Thema auf polyoinos auftauchen, fragen Sie?

Beschäftigt habe ich mich damit immer. Aber jetzt habe ich konkret die Arbeit an einem neuen Buch aufgenommen, dass ich mit meinem Freund und Kollegen Friedhelm Schneidewind zusammen für den Oldib-Verlag schreibe. Es wird eine Arbeit über Evolution und gegen die Lehren des Kreationismus und des intelligent design werden. Es basiert damit auf Überlegungen, die ich auf polyoinos hier und hier schon vor einiger Zeit veröffentlicht habe. Wenn alles gut läuft, ist das Buch im Sommer 2009 fertig.

Die Enzyklopädie des Lebens

Am Montag, den 19. Mai beginnt in Bonn die Artenschutzkonferenz der Vereinten Nationen. Es geht um die Bestandsaufnahme der Entwicklung des Lebens auf der Erde in den letzten 20 jahren und in der Zukunft. Denn um die ist es schlecht bestellt, das dauernd Tier- und Pflanzenarten aussterben weiß jedes Kind. Na und?

Was ist eigentlich der Wert der Biodiversität, also des Umstandes, dass das Leben in unterschiedlichen Formen und Arten auftritt? In allererster Linie liegt der Wert möglichst verschiedenartiger Lebensformen darin, dass das Leben dadurch insgesamt auf stabilerer Basis steht, denn Krankheiten sind meist spezialisiert auf bestimmte Lebensformen oder Gruppen von Lebensformen und die unterschiedlichen Arten bestehen gegenüber schädlichen Umwelteinflüssen mal besser, mal schlechter, aber je unterschiedlicher das Leben auftritt desto größer ist sein Chance, Krankheiten und Umweltverschmutzung zu widerstehen. Monokulturen, das haben viele Epidemien gezeigt, gehen sehr leicht unter. Dazu kommt, dass Biodiversität für den Menschen auch in mindestens dreierlei Hinsicht wichtig ist: wir leben von Lebensformen, also ist es besser für uns, wenn es deren mehrere und gesündere gibt; wir lernen von Lebensformen in den Ingenieurs-, Bio-, und Medizinwissenschaften und je mehr da ist, von dem wir lernen können, desto besser ist es für unser Überleben; aber auch der ästhetische Wert intakter Natur für unsere seelische Gesundheit darf nicht unterschätzt werden. Als vierter Punkt wird in jüngerer Zeit auch der ökonomische Wert einer effektiveren Ausnutzung der Biodiversität betont, der dann gegeben ist, wenn aus größerer Vielfalt gewählt werden kann, um vermarktbare Produkte zu entwickeln.

Leider geht der Mensch äußerst effizient gegen die noch bestehende Biodiversifikation vor, indem er die Meere und Länder verschmutzt, urwüchsige Pflanzenwelt im Austausch für Felder und Weiden abholzt und zugunsten des Gewinns nichtorganischer Bodenschätze das Leben verdrängt. Wie reich das Leben (noch) ist, können Sie jetzt nach und nach mitverfolgen, wenn Sie die Website der Encyclopedia of Life (www.eol.org) im Auge behalten. Das hochambitionierte Projekt, das der Insektenforscher, Begründer der Soziobiologie und Umweltexperte Edmund O. Wilson ins Leben gerufen hat, verfolgt das Ziel, alle auf der Erde vorkommenden Lebensformen in einer riesigen Datenbank (Schätzungen gehen von bis zu 100 Millionen Tier-, Pflanzen- und Pilzarten aus) mit je eigener Seite vorzustellen und zu beschreiben. Derzeit sind 25.000 Tier- und Pflanzenarten beschrieben und für 1 Million weitere liegen Grundinformationen vor; täglich werden es mehr. Ein wertvoller Wissensquell für alle Menschen, die am Leben und seinen Erscheinungsformen interessiert sind!