Sorgen ums Buch? Nee!
Wäre ein Siegeszug des
E-Books aber wirklich so ein großer Kulturbruch? Was
macht denn ein Buch aus? Auch ich liebe die gute
Aufmachung eines Buches, gebunden natürlich,
Fadenheftung, möglichst mit Lesebändchen und
vielleicht auch Goldschnitt (obwohl ... der muss
nicht sein). Dann der Geruch! Besonders, wenn es
nicht gerade frisch aus der Druckerei kommt, sondern
schon so manches Jährchen auf dem Buckel hat.
Aufschlagen, umblättern und zu lesen beginnen ...
„Die Lebenserinnerungen Dieter Bohlens“ - würg!
Sie sehen, was ich meine? Es sind die Worte, die in
den Büchern stehen. Die Geschichten, die Meinungen,
die Fakten, die Ansichten, die Poesie und ihre
Ästhetik. Die werden zwar wunderbar eingerahmt von
einem liebevoll hergestellten Buch, aber essentiell
ist dieses Drumherum nicht. Ich kann Novalis auch auf
dem Kindle genießen und Lovecraft wird mir auch dort
angsteinflößend den Rücken hinaufkriechen. Sofern die
Technik stimmt, natürlich. Lesen auf meinem PDA ist
eine rechte Zumutung mit dem hellen, viel zu kleinen
Bildschirm und der hakeligen Bedienung. Aber der
Kindle beispielsweise soll ja wie Papier aussehen und
ohne Hintergrundbeleuchtung auskommen. Das reicht
mir.
Vor die Wahl gestellt, werde ich Novalis und
Lovecraft auch weiterhin als Buch lesen. Aber
Fachbücher? Wenn ich nur dran denke, wie einfach ich
im E-Book kommentieren, verschlagworten und vor allem
suchen könnte. Haben Sie schon einmal einen Aufsatz
geschrieben, in dem ein Zitat genau passen würde, das
aus einem Buch stammt, das Sie vor Jahren gelesen
haben? Mir passiert das dauernd und ich suche mich
dumm und dusselig, obwohl ich seit Jahren alle meine
Bücher mit Anmerkungen vollkritzele und kleine
Indizes auf den ersten oder letzten Seiten von Hand
anlege. Welch eine Wonne, ein digitales Dokument von
der Suchfunktion durchsuchen zu lassen ...
Wird dann das E-Book das ‚echte’ Buch irgendwann
verdrängen? Das mag wohl sein, und Sie können mir
glauben, dass ich das sehr (!) bedauern würde. Aber
ich werde es nicht mehr erleben. Auf Jahrzehnte
hinaus wird es gedruckte Bücher auch aller möglichen
Neuerscheinungen geben. Sie können als Bücherfreund
also ganz getrost weiterhin alle E-Book-Fans
bemitleiden. Ihre Kinder und Enkel allerdings ...
Mein Sohn etwa mag durchaus erleben, dass gedruckte
Bücher zur Ausnahmepublikationsform werden. Und er
wird es wohl auch bedauern, da er bei uns zuhause mit
vielen Büchern aufwächst. Aber er wird auch gelernt
haben, E-Books als vollkommen alltägliches
Handwerkszeug und Lektüremittel zu handhaben. Genauso
wie die E-Zeitung, die, ganz wie bei Harry Potter,
kleine Filmchen statt Fotografien abbilden wird.
Und die heutigen und kommenden Kinder werden auch
gelernt haben, die neuen Kulturtechniken ebenso
typisch menschlich anzuwenden wie die alten. Nein,
Herr Potthoff, Sie brauchen sich keine Sorgen zu
machen, dass die Widmung an den Freund oder die
Geliebte verloren geht. Sie wird nur anders aussehen.
Wie? Keine Ahnung! Aber mit Emoticons, Smileys,
Lautschriften, Neologismen, ASCII-Art und anderen
Dingen gelingt es den heute per Computer und
Netzwerken Kommunizierenden gut, das parfümierte
Briefpapier von einst zu ersetzen. Man schreibt
Liebesbriefe anders, aber man schreibt sie immer noch
und wird damit auch nie aufhören.
Wenn dann das Buch einmal ersetzt werden sollte und
nichts mehr gedruckt wird, so ist die Zeit halt über
die Printtechnik hinweggegangen. Schade, aber nicht
wirklich schlimm. Und die, die das erleben, werden
diesen Verlust auch nicht so empfinden wie wir, denn
sie sind unter ganz anderen Medienbedingungen groß
geworden. Wichtig ist, dass die Inhalte erhalten
bleiben, dass niemals Platon, Aristoteles, Augustin,
Dante, Shakespeare und all die anderen ebenso wie die
Gedanken von heute; dass all dies niemals vergessen
wird. Ist mir doch egal, ob es in Stein gehauen, auf
Papyrus gemalt, auf Papier gedruckt oder auf
Festplatten vorliegt - Hauptsache es ist zugänglich.
Nachtrag:
Gerade macht mich Friedhelm Schneidewind netterweise
auf einen guten Beitrag von Dennis Scheck im
Deutschlandradio aufmerksam, der erstens erklärt was
der Kindle ist und kann und zweitens die
Untergangsängste des Abendlandes angesichts des
digitalen Lesens auch eindrucksvoll relativiert:
bitte sehr.